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Geschickter Stratege

Der Weg des ägyptischen Militärchefs Abdel Fattah al-Sisi ins höchste Staatsamt war eigentlich schon vorgezeichnet, als er am 3. Juli des Vorjahres den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtete. Dieser war zwar erst ein Jahr zuvor demokratisch gewählt worden, doch stieß seine Herrschaft die Mehrheit der Ägypter so vor den Kopf, dass eindrucksvolle Massenproteste dem Militärcoup vorausgingen.

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Doch schon in den ersten Stunden dieses neuerlichen Umsturzes - im Februar 2011 hatte eine Revolution den Langzeitherrscher Hosni Mubarak aus dem Amt gefegt - tauchten überall Sisi-Bilder auf. Die Medien entfachten einen richtiggehenden Personenkult um den starken Mann des Militärs - und der Nation. Sisi wurde als „Retter“ des Landes, ja nahezu als Messias verehrt. Der Ruf nach seiner Präsidentschaftskandidatur wurde unüberhörbar.

Nach Umsturz im Hintergrund agiert

Sisi selbst hatte sich nach dem Juli-Umsturz wieder in den Hintergrund gespielt. Die Macht legte er formell in die Hände einer Übergangsregierung. An die Schalthebel der Macht kehrten Leute aus dem Mubarak-Regime zurück, denen die Militärführung vertraute. Nicht Sisi entschied, was die neue Führung tat. Sie tat aber wohl auch nichts, was seinem Willen zuwidergelaufen wäre.

Der 59-Jährige gehört einer Generation von Stabsoffizieren an, die anders als der ehemalige Luftwaffenpilot Mubarak an keinem der Kriege aktiv teilnahmen, in die Ägypten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstrickt war. Er besuchte die Militärakademie und reihte sich dann in die Infanterie ein. Noch unter Mubarak wurde er Kommandeur des Armeebereichs Nord mit Sitz in Alexandria.

Nach dem Sturz Mubaraks rückte er im Range eines Generalobersten an die Spitze des Militärgeheimdiensts. Auch gehörte er dem Oberkommando der Streitkräfte an, das unter dem Namen Oberster Militärrat (SCAF) nach dem Abgang Mubaraks die Macht im Lande übernahm.

Befürworter grausamer „Jungfräulichkeitstests“

In dieser Zeit trat er lediglich ein einziges Mal hervor - und das in unrühmlicher Weise, wie sich viele junge Ägypter erinnern. Als im März 2011 Militärpolizisten jugendliche Demonstranten vom Tahrir-Platz in den Keller des Ägyptischen Museums verschleppten und dort misshandelten, unterzogen sie die Mädchen und jungen Frauen unter ihnen einer besonders grausamen und erniedrigenden Behandlung - den sogenannten Jungfräulichkeitstests.

Es war Sisi, der diese Praxis einige Wochen später gegenüber westlichen Medien zu begründen versuchte: Die Frauen hätten gemeinsam mit jungen Männern auf dem Tahrir-Platz campiert, und damit sie nicht später sagen würden, sie seien von Militärpolizisten vergewaltigt worden, hätte man eben ihre „Jungfräulichkeit“ geprüft, behauptete er zynisch.

Von Mursi zum Minister ernannt

Der in Kairo geborene Sisi gilt als fromm. Seine Frau soll Gesichtsschleier tragen. Möglicherweise aus diesem Grund ernannte ihn der damalige Präsident Mursi im August 2012 zum Verteidigungsminister und Oberkommandierenden der Streitkräfte. Doch Sisi stand der Muslimbruderschaft und ihrer Ideologie des politischen Islam in keiner Weise nahe.

Als Mursis Herrschaft immer mehr in islamistische Machtspiele ausuferte, begann Sisi im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Er traf sich insgeheim mit Politikern, Wirtschaftskapitänen und Meinungsführern des Gegenlagers, um den Rückhalt für einen eventuellen Coup auszuloten. Eine neue Jugendbewegung mit dem Namen Tamarud (Rebellion) formierte sich, die Millionen Unterschriften sammelte, mit denen sie den Rücktritt Mursis und Neuwahlen forderte.

Drahtzieher von Mursi-Sturz

Mursi zeigte sich stur und uneinsichtig. Sisi konnte sich ausrechnen, dass es so kommen würde. Die Falle schnappte zu. Millionen gingen gegen Mursi auf die Straße. Bedächtig setzte ihn Sisi schachmatt. Der Militärchef, der kurz vor Bekanntwerden seiner Präsidentschaftskandidatur und dem damit einhergehenden Abschied vom Dienst noch schnell zum Feldmarschall befördert wurde, ist nun der nächste König auf Ägyptens schwankendem Schachbrett.

Gregor Mayer, dpa

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