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Kosovarische Justiz lasch und langsam

Vorwürfe über Kriegsverbrechen durch hochrangige Mitglieder der ehemaligen paramilitärischen Kosovarischen Befreiungsarmee (UCK) im Kosovo-Krieg 1998 und 1999 gibt es schon lange. Sonderermittler berichteten von Mord, Verschleppung und Organhandel. Viele führende Ex-UCK-Kommandanten sind mittlerweile kosovarische Spitzenpolitiker. Zur Rechenschaft gezogen wurde bisher kaum einer.

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Zwar richtete die kosovarische Regierung schon 2011 das Kosovo War Crime Institute ein, das Fälle von Kriegsverbrechen sammeln, protokollieren und klassifizieren soll. Erreicht hat es bisher wenig. „Das Institut entstand ohne vorausgegangene Debatte, ohne Kooperation mit der Zivilgesellschaft. Der Vorgang war sehr intransparent“, zeigt sich Bekim Blakaj, Direktor des Humanitarian Law Centre (HLC) im Kosovo, im ORF.at-Interview verärgert.

Über sechs Jahre unabhängig

Stand das Kosovo nach dem Krieg unter UNO-Verwaltung, erklärte es 2008 seine Unabhängigkeit. Diese erkennen die serbische Regierung und die Kosovo-Serben nicht an. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Prishtina und Belgrad ist aber Voraussetzung für den von Serbien und dem Kosovo angestrebten EU-Beitritt.

Das HLC beschäftigt sich selbst intensiv mit der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und sammelte Daten auf zivilgesellschaftlicher Ebene: „Die Erwartungen an das Institut waren hoch. Ergebnisse lieferte es bisher aber keine.“ Die Regierung habe bisher wenig Interesse an der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auch auf albanischer Seite gezeigt, so Blakaj.

15 Jahre, 15 Urteile

Viele Fälle kommen für das Internationale Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag nicht infrage, da das Mandat nur Fälle von Kriegsverbrechen umfasst. „Im Kosovo wurden aber viele auch noch kurz nach dem Krieg getötet und verschleppt.“ Das kosovarische Justizsystem machte bisher kaum Fortschritte, die Verfahren waren langwierig. „Lokale Richter haben Hemmungen, möglicherweise auch aus Angst, Schuldsprüche zu sprechen. Internationale Richter wiederum können oft nicht die Art des Verbrechens und die Umstände verstehen“, analysiert der Menschenrechtsexperte.

Das Ergebnis der letzten 15 Jahre: 15 Urteilssprüche für Kriegsverbrechen. Ein Bruchteil des tatsächlichen Ausmaßes. Im Kosovo-Krieg starben rund 13.500 Menschen. Nach wie vor gelten 1.700 Personen als vermisst, darunter knapp 500 Serben und Roma. Aufgrund von Menschenrechtsverletzungen der damaligen jugoslawischen Armee sah sich die NATO legitimiert, zur Unterstützung der UCK Luftangriffe zu fliegen. Premier Hashim Thaci bestritt immer wieder eine Mitverantwortung der UCK an Kriegsverbrechen. Die Regierung gab sich bei der Aufarbeitung bis zuletzt zögerlich.

Tribunal „Beleidigung für Kosovo“

Im April wurde der internationale Druck offenbar doch zu groß. Das Parlament stimmte der Einrichtung eines Sondertribunals zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg zu. Geplant sind jeweils ein Standort in Prishtina und im niederländischen Den Haag, wo der Zeugenschutz besser ist. Noch vor der Abstimmung meinte Thaci, dass die Tribunalbildung „unfair und eine Beleidigung für das Kosovo“ sei. Doch er appellierte dennoch an „alle Parlamentarier aller Parteien“, ihre Stimme für das Tribunal abzugeben, auch wenn das für sie eine schwierige Entscheidung sei.

Hashim Thaci umgeben von UCK-Soldaten

AP/Visar Kryeziu

Premier Hashim Thaci (M., sitzend) war 1999 noch einer der Führer der UCK

„Wir haben nicht viele Möglichkeiten. Die einzige Option ist es, mit den USA und der Europäischen Union zusammenzuarbeiten und das Tribunal zu bilden“, so der Premier. Thaci war von der Opposition attackiert worden, gegen die Interessen des Kosovo zu handeln. Doch der internationale Druck, sich ernsthaft mit der Aufarbeitung der Verbrechen während und kurz nach dem Krieg auseinanderzusetzen, wurde zu groß. Andernfalls hätte der UNO-Sicherheitsrat ein Tribunal etabliert. Die kosovarische Justiz hatte hier bisher wenig erreicht.

Neuer Bericht über UCK-Verbrechen

Inhaltlich neu sind die Vorwürfe gegen ehemalige UCK-Mitglieder nicht. Schon Ende 2010 gab es einen später vom Europarat angenommenen offiziellen Bericht des Schweizer Sonderermittlers Dick Marty, der hochrangigen UCK-Mitgliedern Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarf. Marty vermutete Organhandel in Hunderten Fällen und beschuldigte hierfür eine UCK-Gruppe aus der zentralkosovarischen Region Drenica. Thaci war damaliger Anführer dieser Gruppe. Direkt machte Marty ihn aber nicht verantwortlich. Wieder fehlten Beweise.

Im Auftrag der EU ermittelte nun ein Team unter Leitung des US-Juristen Clint Williamson. Dieser stellte seinen Bericht Ende Juli vor. Dass es Beweise für Kriegsverbrechen durch die UCK gibt, lässt er außer Zweifel. Es habe Morde, Verschleppungen, Vertreibungen, sexuelle Gewalt und die Zerstörung von Kirchen gegeben, so Williamson - und gezielte Verbrechen gegen Angehörige ethnischer Minderheiten. Die Vorwürfe zum Organhandel schwächte er allerdings – aus Mangel an Beweisen – ab. Es habe Organentnahmen in „weniger als zehn“ Fällen gegeben. Im Zusammenhang mit seinen Ermittlungen kritisierte er auch die anhaltende Einschüchterung von Zeugen.

US-Diplomat Clint Williamson

AP/Virginia Mayo

US-Jurist Williamson untersuchte Kriegsverbrechen der UCK im Kosovo-Krieg

Konkrete Namen nannte Williamson bisher nicht. Es seien aber Anklagen gegen ehemalige hochrangige UCK-Kommandeure aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gerechtfertigt. Immer wieder wird spekuliert, dass neben Thaci auch Ex-UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj, Chef der Oppositionspartei Allianz für die Zukunft (AAK), und Thacis ehemaliger Weggefährte Fatmir Limaj auf der Anklagebank landen könnten. Die Regierung des Kosovo erklärte, dass sie Williamsons Bericht zur Kenntnis genommen habe und weiter mit den internationalen Ermittlern zusammenarbeiten werde.

Innenpolitische Pattsituation

Fraglich ist aber, welche Regierung es nun sein wird, die die Aufarbeitung der Verbrechen im und kurz nach dem Kosovo-Krieg vorantreibt. Denn bei der Parlamentswahl im Juni wurde zwar Thacis PDK stärkste Partei. Doch ein Bündnis mehrerer Oppositionsparteien reklamiert nun die Mehrheit der Sitze für sich und will Haradinaj als Premier sehen. Eine Pattsituation. Zwei ehemalige UCK-Kommandeure beanspruchen nun das Amt des Premiers für sich.

Sowohl Thaci als auch Haradinaj wird immer wieder im Zusammenhang mit Ermittlungen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit genannt. Beweise gab es bei keinem von beiden. Haradinaj war kaum 200 Tage als Ministerpräsident im Amt, als er 2005 wegen einer ICTY-Anklage seinen Posten räumen musste. Ihm wurden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo-Krieg vorgeworfen. Wegen Mangels an Beweisen wurde er aber Ende 2012 freigesprochen. Fast 20 Belastungszeugen kamen im Laufe des Verfahrens auf mysteriöse Weise ums Leben.

„Kultur der Straflosigkeit“ vermeiden

Nun versucht er, Thaci von seinem Posten zu stoßen. Das Verfassungsgericht legte Mitte Juli alle Entscheidungen des neuen Parlaments für zwei Monate auf Eis. Am 18. September soll es eine endgültige Entscheidung geben. Je länger die Bildung einer neuen Regierung dauert, desto mehr verzögert sich die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit. Es stehen sogar Neuwahlen im Raum. Derzeit ist geplant, das Tribunal bis 2015 einzurichten.

Aber dass es kommen wird, daran herrsche kein Zweifel, ist Blakaj überzeugt – trotz einiger bürokratischer Hürden. Dafür sei der internationale Druck zu hoch. Das geplante internationale Tribunal sei notwendig, um im Kosovo nicht eine „Kultur der Straflosigkeit“ einkehren zu lassen.

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