Erfinder und Unternehmer
„Nestle’s Kindermehl: Das älteste und bewährteste Ersatzmittel der Muttermilch“ - so wurde jene Erfindung weltweit berühmt, die im Europa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Anteil an der Verringerung der Kindersterblichkeit hatte.
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Diese Erfindung - das Babymilchpulver - wurde auch zur Basis für einen Weltkonzern, der heute von Cerealien über Schokoriegel bis hin zu in Plastikflaschen abgefülltem Wasser die Supermarktregale füllt. Der Milchpulver-Erfinder, Henri Nestle, wurde vor genau 200 Jahren, am 10. August 1814, in Frankfurt am Main geboren. Den Erfolg des Unternehmens sah er wohl nicht voraus - vom weltweiten Siegeszug seiner Erfindung war der Apothekergehilfe, der sich nach Wanderjahren im Schweizer Vevey niederließ, dagegen von Beginn an überzeugt.
Möglicherweise war die Nähe seiner Familie zu Frankfurter Liberalen mit ein Grund für seinen Wechsel in die Schweiz. Dort fand er am Ufer des Genfer Sees im Apotheker Marc Nicollier jedenfalls einen wichtigen Förderer. Nicollier, der beim deutschen Chemiker Justus von Liebig gelernt hatte, gab sein dort erworbenes Wissen über moderne Forschungsmethoden und die Arbeit im Labor an Nestle weiter. Liebig, der auf dem Feld der Säuglingsnahrung „Pionierarbeitet leistete“, inspirierte Nestle auch bei dessen späteren Forschungen, so die „Neue Zürcher Zeitung“.
Öl, Essig und Gas für Lampen
Dank Nicolliers Fürsprache und der finanziellen Unterstützung durch eine seiner Tanten konnte Nestle 1843 ein eigenes Unternehmen starten. Dabei produzierte er Öl für Lampen, Essig und Mineraldünger, stellte später vorübergehend Mineralwasser und Limonade her. 1858 gewann Nestle einen Auftrag der Stadt Vevey, diese mit Gas für die öffentlichen Laternen zu beliefern. Als die Stadt ein eigenes Gaswerk gründete, musste Nestle nach einer neuen Einnahmequelle suchen. Neben Versuchen mit Zement für die Bauwirtschaft konzentrierte sich Nestle bei seinen Tüfteleien nun auf Versuche in Kindernahrung.

Nestle
So ließe sich heute Babynahrung nicht mehr erfolgreich bewerben
Hohe Kindersterblichkeit
Das Thema drängte sich auf: Laut „NZZ“ starben damals in Europa 15 bis 25 Prozent der Kinder im ersten Lebensjahr. Für Frauen aus wohlhabenden Kreisen galt Stillen als unschicklich, Frauen der Arbeiterschicht konnten oft nicht stillen, weil sie arbeiten mussten oder häufig auch krank waren. Das führte dazu, dass in vielen Teilen Europas nur rund 15 Prozent der Säuglinge gestillt wurden. Doch gab es damals für Kleinkinder keine passende Ersatznahrung - dazu waren Lebensmittel, mit Ausnahme von gesundheitlich ebenfalls bedenklichen Konserven (damals Gefahr der Bleivergiftung, Anm.), kaum haltbar und allgemein die hygienischen Verhältnisse mehr als unzureichend.
Dass in manchen Schweizer Regionen die Kindersterblichkeit deutlich niedriger war, brachte Nestle mit der Qualität der Kuhmilch in Zusammenhang. Daher suchte er nach einem Mittel auf Milchbasis. In mehrjährigen Versuchen entwickelte Nestle zunächst eine Milchpaste, die ihn aber nicht zufriedenstellte. Erst als Liebig eine Säuglingssuppe entwickelt hatte, machte Nestle einen neuen Anlauf. Wie er dann zum Kindermehl gelangte, ist nicht bekannt. Nestle selbst datierte die Erfindung, die ihn rasch berühmt machte, auf das Jahr 1867. Gutachten mehrerer Ärzte, die das Mittel an Kleinkindern ausprobierten, sorgten für eine rasche Verbreitung des Produkts und dessen Erfolg.

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Ein echter Wonneproppen als Nestle-Werbesujet
Rasanter Erfolg
Und von diesem war der Erfinder selbst von Anfang an überzeugt: „Meine Entdeckung wird eine große Zukunft haben, denn es gibt bis jetzt kein vergleichbares Nahrungsmittel, das sich mit meinem Kindernährmittel vergleichen lässt.“ In der Folge musste Nestle seine Produktion immer wieder ausweiten und neue Maschinen anschaffen, um mit der rasant steigenden Nachfrage mithalten zu können. Dabei dachte Nestle unternehmerisch modern und dachte von Beginn an an den Aufbau einer Marke - etwa indem er sich bewusst für ein unverwechselbares Symbol, einen Vogel in einem Nest in Anlehnung an das Familienwappen, entschied.
Nestle verkaufte nur wenige Jahre nach der Erfindung des Kindermehls sein Unternehmen und die Marke - inklusive seiner Unterschrift, die sich auf dem Produkt befand -, da die nötig gewordene neuerliche Expansion nicht mehr ohne Fremdkapital finanzierbar war. Die Käufer gründeten rasch eine Aktiengesellschaft und legten so ökonomisch den Grundstein für den Aufstieg zum künftigen Weltkonzern.
Vom Babyretter zum „Baby Killer“
Seit den 1970er Jahren sehen sich Nestle und andere Konzerne immer wieder mit teils schweren Vorwürfen konfrontiert, des Geschäfts wegen aggressiv für ihre Produkte und gegen das Stillen zu werben. Die britische NGO War on Want wurde mit ihrem Bericht „The Baby Killer“ über die Marketingmethoden in Afrika zu einem Beispiel dafür, dass ein breit angelegter Protest auch multinationale Konzerne erfolgreich unter Druck setzen kann. Derzeit ist Asien - und hier insbesondere China - der große Hoffnungsmarkt, wo entsprechend massiv geworben wird.
Auch in Europa stehen Nestle und Co. gerade wegen ihrer Kleinkindnahrung und der stark zuckerhaltigen Cerealien und Süßigkeiten immer wieder am Pranger: So waren Nestle und Danone in Deutschland etwa 2012 wegen ihrer Kleinkindmilch-Produkte vom Verbraucherschutz kritisiert worden, wie damals die Schweizer „Handelszeitung“ berichtete. Die Unternehmen mussten daraufhin irreführende Beschreibungen ihrer Produkte ändern, die laut Tests des deutschen Verbraucherschutzes aus dem Jahr 2011 keineswegs besser sind als Kuhmilch, aber um ein Vielfaches teurer.
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