An der Zielgruppe vorbei
Wenn ein Wirtschaftsmagazin wie „Forbes“ sich Filme anschaut, dann geht es ums Geschäft - nicht in erster Linie um Kultur oder gar um Gerechtigkeit. Selbst dann nicht, wenn sich ein Redakteur über die Fixiertheit Hollywoods auf männliche Jugendliche wundert.
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Journalist Scott Mendelson schließt dabei an die Debatte über PG-13-Filme an. Sprich: Filmemacher setzen bei ihren Actionfilmen, endlosen Comicfilmreihen etc. den Gewaltlevel genau so an, dass die Filme nicht „Kinderfilme“ sind, was ihnen an der Kasse schaden könnte, aber auch die Jugendlichen nicht per Gesetz ausschließt. Grade so viel Mord und Totschlag, dass ein 13-Jähriger ins Kino geht eben.
Der Frauen- und der Männerfaktor
Mendelson rechnet vor, dass die Zielgruppe der jungen Burschen, der die Branche damit nachläuft, insgesamt nur acht Prozent der Gesamteinnahmen bringt. Und von hier an begibt er sich auf dünnes Eis und führt den Begriff „frauenzentrierte Filme“ ein. Die Unterteilung in Männer- und Frauenfilme gilt jedoch längst als verpönt - in der Kulturberichterstattung. Wirtschaftlich gesehen lohnt sich laut „Forbes“ ein zweiter Blick.
Um eine echte Definition der „frauenzentrierten Filme“ drückt sich Mendelson herum. Er meint Filme, die Frauen im Kino wirklich anschauen. Nicht nur Filme, die für Frauen gedacht sind. In erster Linie sind das Filme mit Frauen in Hauptrollen - entgegen dem Vorurteil quer durch alle Genres (auch Action, Science-Fiction etc.) -, erst in zweiter Linie Filme mit romantischem oder zumindest sentimentalem Inhalt und solche, in denen man recht oft hübsche männliche Darsteller mit entblößten, trainierten Oberkörpern sieht. Seine These jedenfalls lautet: In Summe gesehen ließe sich mit dem „Frauenfaktor“ mindestens genauso viel Geld verdienen wie mit dem „Männerfaktor“.
Die dunkle Fee als Kassenmagnet
Genau das werde in der öffentlichen Debatte aber ignoriert - und die Filmstudios reagierten zu langsam darauf, wodurch ihnen zusätzliche Einnahmen entgingen. Als Beispiel für die Zugkraft von Frauenfilmen werden etwa „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (Hauptrolle: Shailene Woodley) und „Maleficent - Die Dunkle Fee“ (Hauptrolle: Angelina Jolie) angeführt. „Maleficent“ spielte bereits an seinem ersten Wochenende 170 Millionen Dollar (127 Mio. Euro) ein - womit die astronomischen 175 Millionen Dollar Produktionskosten fast schon wieder hereingespielt waren. Mittlerweile haben die Einnahmen 700 Millionen Dollar erreicht.

AP/Disney, Frank Connor
Angelina Jolie in „Maleficent“
Der Film wird am Ende in jedem Fall einer der Top-Drei-Kassenschlager des Jahres 2014 gewesen sein. Ein knappes Rennen liefert sich „Maleficent“ mit „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“, der die Männer zwar schon im Titel trägt, aber mit Jennifer Lawrence zumindest eine Superheldin in einer der Hauptrollen zu bieten hat.
Jennifer Lawrence und Cameron Diaz
Auch was speziell die Jugendlichen betrifft, sieht sich Mendelson bestätigt und führt neben der „Twilight“-Saga die Verfilmung der „Tribute von Panem“ ins Rennen - hier spielt Lawrence die Hauptrolle. Dass Actionfilme sich mit Frauen in den Hauptrollen verkaufen, sei die eine Sache. Aber auch in anderen Genres zeige sich dasselbe Bild. „Die Bestimmung - Divergent“, ein Jugend-Science-Fiction-Film, spielte 274 Millionen Dollar ein, bei Produktionskosten von 85 Millionen Dollar. Hauptrolle: Wieder Woodley, wie bei „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“.

AP/Lionsgate, Murray Close
Jennifer Lawrence in „Die Tribute von Panem“
Ein weiteres Beispiel: die „Schadenfreundinnen“ mit Cameron Diaz in der Hauptrolle. In dem Film verbünden sich diverse Freundinnen ein und desselben betrügerischen Mannes, um Rache an ihm zu üben. Einnahmen an der Kinokasse: 193 Millionen Dollar; Produktionskosten: 40 Millionen Dollar.
Viele „taffe Mädels“
Überhaupt „nur“ 20 Millionen Dollar kostete „Tammy - Voll abgefahren“ - und brachte 71 Millionen Dollar ein. Das Magazin „Der Spiegel“ (Onlineausgabe) fragte rhetorisch, ob es die weibliche Alltags-Rambo-Hauptrolle von Melissa McCarthy (hier an der Seite von Susan Sarandon und Kathy Bates) wirklich schon wieder brauche - nach „Taffe Mädels - The Heat“ (an der Seite von Sandra Bullock) und „Brautalarm“.

Warner Bros Entertainment
Melissa McCarthy in „Tammy - Voll abgefahren“
Und der „Spiegel“ beantwortete sich die Frage selbst: „(...) Wenn man sich fragt, ob noch ein Film mit noch so einer weiblichen Hauptrolle nötig ist, muss man nur die ersten Kommentare im Internet zum Trailer lesen, die beispielsweise giften, wo so ein Nilpferd überhaupt zur Schauspielschule gehen dürfe. Und dann weiß man: Solange es solche Reaktionen noch gibt, sollte Melissa McCarthy noch Hunderte solcher Filme machen.“ Wer McCarthy nicht kennt: Sie ist übergewichtig.
Mehr als „Gucci-Feminismus“
McCarthy spielt die polternde Frau, die sagt, was Sache ist, ohne sich dabei an gesellschaftliche Konventionen zu halten. Die „Berliner Zeitung“, die sonst nicht gerade dafür bekannt ist, Loblieder auf Blockbuster-Komödien zu singen, schrieb anlässlich von „Brautalarm“: „Was den vieldiskutierten weiblichen Humor angeht, ist es schlicht gut zu wissen, dass zwischen romantischer Komödie und dem Gucci-Feminismus von Sex and the City noch eine gewaltige Lücke klafft. Wer sich mit beidem nicht anfreunden kann, ist bei Brautalarm goldrichtig.“
Lücken sind es auch, die Mendelson in seinem „Forbes“-Artikel anprangert. Er geißelt die Branche dafür, dass sie an dem alten Irrglauben festhält, dass Männer keine Filme über Frauenthemen sehen wollen, Frauen aber sehr wohl Filme über Männerthemen, solange der männliche Held eine Romanze mit einer Frau hat. Beispiel: Regisseur Peter Jackson wollte, um Zuschauerinnen anzulocken, in „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ eine weibliche Hauptrolle mitkämpfen lassen. Die Studiobosse hätten jedoch darauf bestanden, heißt es, dass sie irgendeine Art von Romanze mit einem der männlichen Helden haben muss.
Nur 15 Prozent weibliche Hauptrollen
Das krasse Gegenteil davon ist Luc Bessons Film „Lucy“, ein knallharter Actionfilm mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle. Hier ist die Frau kein Beiwerk zum Film. Die Frau ist der Film. Der Streifen lief dieses Wochenende in den USA an - und spielte mit 44 Millionen Dollar gleich mehr ein, als seine Produktion gekostet hatte (40 Mio. Dollar). Bezeichnenderweise hängte er damit deutlich den klassischsten aller „Männerfilme“ ab: „Hercules“ (29 Mio. Dollar).
Das Problem sei, so Mendelson, dass man es überhaupt als Sonderfall erwähnen müsse, dass bei „Lucy“ eine Frau die Actionheldin sei, die einen Film allein auf ihren Schultern trage. Insgesamt, quer durch alle Genres, sieht man nur in 15 Prozent der Hauptrollen Frauen. Eine Branche produziert an ihrer Zielgruppe vorbei. Sie verschenkt damit Geld.
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