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Eis und Einheit

Die Auswüchse der Eiskompositionen werden immer kreativer, ja wilder. Doch nicht nur in Österreich, auch im Mutterland des Eises, Italien, ist die Ausrichtung der Geschmäcker weiter konservativ. Die meistverkauften Eissorten bleiben Vanille, Milcheis, also Fiocco oder Fior di Latte, Stracciatella - und daneben Schokolade und Schoko-Nuss-Mischungen.

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Die Verbreitung des italienisches Eises in der Welt fällt zeitlich beinahe mit dem Einigungsprozess Italiens zusammen - was eigentlich ein historischer Zufall ist und in der aufkommenden Mode des Eisessens im Norditalien des späten 19. Jahrhunderts begründet liegt. Beim Eis, so zeigt der Blick, spielt auch die Abneigung zwischen dem unabhängiger werdenden Italien und der Habsburgermonarchie keine Rolle. Denn das italienische Eis sollte einen Siegeszug durch die Welt antreten.

Camillo Benso Graf von Cavour

Public Domain

Gesellschaftlicher Eistiger: Graf Cavour, Motor hinter der italienischen Einheit

Zoppe di Cadore, am Fuße der Dolomiten in der italienischen Provinz Belluno, ist einer der Orte, nach denen man Ausschau halten muss, wenn man der Geschichte der Verbreitung des italienischen Eises, vor allem außerhalb Italiens, auf die Spur kommen möchte.

Eistiger des 19. Jahrhunderts

Donata Panciera, Eismacherin und Autorin zahlreicher Standardwerke zum Thema italienisches Eis, beschreibt die Verbreitung der Eismacher aus dem norditalienischen Belluno nach Mitteleuropa. Zwar hätten die Eismacher das Grundrezept von Eis aus Süditalien übernommen - Eis war aber gerade zur Zeit der italienischen Einheitsbildung ein großer Trend.

Camillo Benso Conte di Cavour beklagte etwa, dass ein Glas Granita das Dreifache eines Kaffees kostete. Doch so wie Giuseppe Verdi - der sich in seinem Gut Sant’Agata einen eigenen Eiskeller leistete, auch um dieser Leidenschaft zu frönen - konnte Cavour seiner Leidenschaft schwer widerstehen.

150 Jahre italienisches Eis in Österreich

1865 soll der erste Eismacher aus Zoppe - wo die Herstellung des Produkts unter Zuhilfenahme von Eisblöcken aus den Bergen erleichtert wurde - nach Wien übersiedelt sein und in der Kaiserstadt eine Konzession zum Verkauf von Eis auf einem Handwagen im Prater bekommen haben. Die wirtschaftliche Not brachte andere Italiener nach Wien, die den Trend zu Gefrorenem bedienten und bald den Wiener Handel aufregten. Dieser setzte sich dafür ein, dass Eis nur in eigenen Geschäften verkauft werden durfte. Und so ist die italienische Gelateria noch zu Zeiten der Monarchie auf Wiener Boden entstanden.

Das Zoldotal in den italienischen Dolomiten

ORF/Laufbildgesellschaft

Das italienische Val di Zoldo in den südlichen Dolomiten

Remo Molin Pradel, Besitzer des gleichnamigen Eissalons auf dem Schwedenplatz und Obmann der rund 50 italienischen Eissalons in Wien, blickt ebenfalls auf eine Auswanderergeschichte aus dem Val di Zoldo zurück. Sein Vorfahre Arcangelo Molin Pradel wanderte zunächst als Holzfäller aus dem Belluno Richtung Transsilvanien aus und strandete durch den Konkurs seiner Vertragsfirma in Wien - für die kompletten Rückreise reichte sein Budget nicht aus.

Aus dem „Eismachertal“ Val di Zoldo

Freunde aus dem Friaul verschafften Pradel zunächst einen Job als Marmorschleifer und Salamiverkäufer, bevor die fixe Idee reifte, in Wien einen Eissalon nach den Rezepten aus dem Val di Zoldo aufzuziehen. Auch in Deutschland deutet die Geschichte des italienischen Eises zurück auf das Val di Zoldo. Heute schätzt man, dass etwa in Deutschland zwei Drittel der italienischen Eisverkäufer bzw. Eissalonbesitzer ihren familiären Hintergrund im Belluno und den zwei „Eismachertälern“, Val di Zoldo und Val di Cadore haben.

Historischer Eiswagen

ORF/Laufbildgesellschaft

Eishersteller im Val di Zoldo mit Eiswagen

Grund für die Verbreitung des italienischen Eises bleibt die Armut der Bauern im Belluno. Und bevor die Emigration nach Österreich und Deutschland einsetzte, gab es auch eine Binnenimmigration vom oberen Veneto in andere Provinzen Italiens. Die ersten Orte, die die Eismacher aus dem Belluno ansteuerten waren nach italienischen Quellen die Städte Mailand, Como, Genua und Savona. 1903 soll Italo Marchioni - den manche als Eismacher aus dem Val di Zoldo führen, andere wiederum als Eishersteller, der aus den Marken stamme - in New York die Eistüte eingeführt haben, die sich in Italien erst in den 1920er Jahren als „Cono“ durchzusetzen begann.

Zerrissene Schokolade im Fior di Latte

Die in Österreich neben dem Vanilleeis zurzeit beliebteste Eissorte Stracciatella stammt wiederum aus dem italienischen Bergamo. Enrico Panattoni, der Erfinder der Sorte und Inhaber der legendären La Marianna, ist erst im Vorjahr im Alter von 85 Jahren gestorben. Seine Kreation aus der Milcheissorte Fior di Latte und eingerührter Schokolade, die durch die Kälte zerreißt (Stracciatella leitet sich ab von „stracciare“, „zerreißen“), wurde im Jahr 1962 das erste Mal serviert.

Stracciatella-Suppe

Corbis/Mascarucci

Eintropfsuppe mit Ei: Stracciatella muss nicht süß sein.

Eigentlich bezieht sich das Wort Stracciatella ja auf eine römische Eintropfsuppe („Stracciatella alla romana“): eine Fleischbrühe, in die frisches Ei hineingequirlt wird. Die Legende will es, dass die Erfindung des Stracciatellaeises eigentlich die Rache Panattonis an seinen Kunden und seine Abneigung gegen das Eier quirlen in die römische Eintropfsuppe gewesen ist.

Fior di Latte, Stracciatella, Mozzarella

Stracciatella und die Grundeissorte Fior di Latte beziehen sich auch auf die verschiedenen Etappen der Mozzarellaherstellung, haben zunächst also mit Eis gar nichts zu tun. In Österreich hat es der Zungenbrecher Stracciatella nach jüngster Umfrage mit Vanille jedenfalls zur beliebtesten Eissorte des Landes geschafft. 2013 rangierte die Sorte noch auf Platz fünf der Beliebtheitsskala der eisschleckenden Österreicherinnen und Österreicher.

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