Berliner Schelte für Washington
Als Konsequenz aus der neuen Spionageaffäre hat die deutsche Bundesregierung den CIA-Statthalter in Berlin zum Verlassen des Landes aufgefordert. Das erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstag nach einer Sitzung des Geheimdienstausschusses des Bundestags.
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„Der Repräsentant der US-Nachrichtendienste an der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika wurde aufgefordert, Deutschland zu verlassen“, berichtete Seibert. Er soll die beiden mutmaßlichen Spione geführt haben. Sollte er der Aufforderung zur Ausreise nicht nachkommen, würde er von der Regierung zur unerwünschten Person („persona non grata“) erklärt. Dann müsste er innerhalb einer Frist - normalerweise 72 Stunden - zwingend das Land verlassen. Das wäre dann eine auch formelle Ausweisung.
„Vergeudung von Kraft“
Kanzlerin Angela Merkel übte am Donnerstag zudem scharfe Kritik am Partner USA: Angesichts großer Herausforderungen etwa im Nahen Osten sei das Ausspionieren von Verbündeten „eine Vergeudung von Kraft“, sagte Merkel in Berlin. Finanzminister Wolfgang Schäuble warf den Amerikanern „Dummheit“ vor. Das Weiße Haus wollte sich in einer ersten Reaktion zu der Ausweisung nicht äußern. Es sei „entscheidend, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland“ fortgesetzt wird, hieß es lediglich.
Merkel hatte zuvor so deutliche Worte wie noch nie seit Aufkommen der NSA-Affäre um Edward Snowden vor mehr als einem Jahr gefunden. Selbst als öffentlich wurde, dass die USA ihr Handy abgehört hatten, hatte Merkel höchst gelassen reagiert. Am Donnerstag beklagte sie jedoch ungewohnt offen: „Wir haben so viele Probleme. Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren“, sagte sie mit Hinweis auf Syrien und den Irak.
„Leben im 21. Jahrhundert“
Das scheine bei den nun diskutierten Fällen von Spionage in Deutschland aber nicht der Fall zu sein. Merkel sagte weiter, es müsse nicht alles getan werden, was technisch machbar sei, „so dass man am Schluss den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“.
Es gebe einen „sehr unterschiedlichen Ansatz, was die Aufgabe von Geheimdiensten nach Ende des Kalten Krieges ist“, sagte die Kanzlerin. Indirekt warf sie den US-Geheimdiensten vor, im Denken des 20. Jahrhunderts zu verharren. Es gehe nicht mehr darum, einander generell zu misstrauen. „Heute leben wir im 21. Jahrhundert. In diesen Zeiten kommt es sehr entscheidend darauf an, dass Vertrauen entsteht zwischen Verbündeten. Mehr Vertrauen bedeutet mehr Sicherheit.“
Baldiges Gespräch von Steinmeier und Kerry
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein US-Kollege John Kerry werden sich nach Angaben der Regierung in Washington bald über die Spionageaffäre austauschen. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki sagte am Donnerstag, sie erwarte, dass Kerry und Steinmeier „in den kommenden Tagen“ die Möglichkeit zu einem Gespräch haben werden. Psaki erklärte, dass die US-Regierung mit Deutschland „eine Reihe von Diskussionen“ über „diplomatische Kanäle“ führe, um die Angelegenheit zu klären.
Zu den Spionagevorwürfen selbst nahm das Außenministerium in Washington erneut keine Stellung. Auch die Entscheidung der Bundesregierung, den obersten Vertreter der US-Geheimdienste in Deutschland zur Ausreise aufzufordern, kommentierte Psaki nicht. Wie schon zuvor das Weiße Haus sprach das Außenministerium lediglich von „Berichten“ üb´er die geforderte Ausreise, obwohl dieser Schritt von deutscher Seite offiziell bekanntgegeben worden war.
Psaki wies die Darstellung zurück, dass die USA ihre Verbündeten bespitzelten. Außerdem erinnerte sie an die „intensive Überprüfung“ der Geheimdienstarbeit, die Präsident Barack Obama nach den Enthüllungen zu den Überwachungsprogrammen der NSA im vergangenen Jahr angeordnet habe. Dabei seien „neue Prinzipien“ eingeführt worden, sagte sie.
Deutsche Beamte als Spione geführt
In den vergangenen Tagen war bekanntgeworden, dass US-Geheimdienste vermutlich zwei Mitarbeiter deutscher Behörden als Spione führten. Es handelt sich um einen Sachbearbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, und einen zivilen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. Die neuen Spionagefälle strapazieren die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die wegen der NSA-Affäre ohnehin belastet sind.
Innenminister Thomas de Maiziere sagte, über mögliche Konsequenzen aus den Fällen könne er noch nicht öffentlich sprechen. Nach den bisherigen Erkenntnissen seien die durch die mutmaßliche Spionage gewonnenen Informationen „lächerlich“, sagte der Minister. Der politische Schaden sei dagegen unverhältnismäßig und schwerwiegend. Ganz ähnlich äußerte sich auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Da sagt mir mein gesunder Menschenverstand, dass zwischen befreundeten Nationen auf diese Art und Weise gar nicht so viele Informationen, die relevant sind, gesammelt werden können, wie auf der anderen Seite Vertrauen zerstört wird.“
Spionageabwehr wird gestärkt
De Maiziere kündigte einen Ausbau der deutschen Spionageabwehr an. „Ein wirksamer Schutz gegen Angriffe auf unsere Kommunikation ebenso wie eine effektive Spionageabwehr sind unverzichtbar für unsere wehrhafte Demokratie“, sagte er. „Wir sind dabei, beides zu stärken und weiter auszuweiten.“ Der Minister betonte, dass er die beiden bekanntgewordenen Fälle von Spionageverdacht nur vorläufig bewerten könne. „Vor allem Umfang und mögliche Tatbeteiligung sind noch nicht klar“, erklärte er. „Gespräche mit den USA gibt es auf verschiedenen Ebenen.“
Zweiter Verdächtiger in U-Haft
Der Innenminister äußerte sich nach Bekanntwerden eines neuen Verdachts auf Spionage durch die USA. Der Verdacht richtet sich gegen einen Mitarbeiter im Verteidigungsministeriums. Zudem sitzt seit vergangener Woche ein Beamter des BND in Untersuchungshaft, weil er interne Dokumente an die USA weitergegeben haben soll.
Bei dem mutmaßlichen Spion im Verteidigungsministerium handelt es sich nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht um einen Soldaten. Der unter Spionageverdacht stehende Mann sei ein ziviler Mitarbeiter des Ministeriums, hieß es am Donnerstag. Er sei als Länderreferent in der Abteilung Politik eingesetzt gewesen und habe sicherheitspolitische Themen bearbeitet. Der Spionageverdacht sei durch Beobachtungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) entstanden. Der Militärgeheimdienst ist für die Sicherheitsüberprüfung der Angehörigen von Bundeswehr und Ministerium und die militärische Spionageabwehr zuständig.
Schwierige Beweislage
Im Fall des Referenten im Verteidigungsministerium sei die Beweislage äußerst schwierig und nicht eindeutig, sagte der Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger (CDU), am Donnerstag nach einer Unterrichtung durch die Spitzen der deutschen Geheimdienste in Berlin.
Im Fall des vor gut einer Woche inhaftierten Beamten des BND, der für die USA spioniert haben soll, bescheinigte Binninger dem BND, dessen Schutzmaßnahmen hätten nicht versagt. Sie seien aber an ihre rechtlichen Grenzen gestoßen, weil Mitarbeiter - etwa beim Verlassen des Geländes - nicht auf geschmuggelte Dokumente durchsucht werden dürften.
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