Junge Demokratie mit 250 Mio. Menschen
Mit Indonesien wählt am Mittwoch ein Land einen neuen Präsidenten, das in Europa meist unter dem medialen Radar bleibt - die Zeit nach dem Tsunami 2004 und regelmäßig feuerspuckende Vulkane ausgenommen. Dabei ist der riesige Inselstaat mit seiner jungen Demokratie, vor allem wirtschaftlich, auf dem Weg zur Großmacht. Die Wahl dürfte für den mittelfristigen Weg, den er einschlägt, maßgeblich sein.
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Im Rennen sind zwei Kandidaten, die jeweils ein Bündnis aus fünf bzw. sechs Parteien hinter sich haben: der Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, Joko Widodo alias „Jokowi“, und Prabowo Subianto, reicher Geschäftsmann und früher General der Streitkräfte. Im Wahlkampf war vor allem dieses Kapitel seiner Biografie Thema, während es um Joko, der als „Macher“ gilt, eher ruhig war. Er stand bis vor kurzem als der praktisch schon fixe Sieger da, doch das Blatt hat sich gewendet, trotz aller Vorwürfe gegen seinen Herausforderer.
Dieser musste sich gegen Anschuldigungen, in seiner Zeit in der Armee Entführungen in Auftrag gegeben und für Folter und Mord zumindest mitverantwortlich gewesen zu sein, verteidigen. Der 62-Jährige, ein Schwiegersohn des bis 1998 autoritär regierenden Präsidenten Suharto, war Kommandant in mehreren Spezialverbänden in der Armee.

Reuters/Beawiharta
Die Spitzenkandidaten Joko Widodo („Jokowi“) und Prabowo Subianto
Unternehmensimperium und umstrittene Biografie
Die Vorwürfe gegen den Ex-General beziehen sich auf seine Zeit in (dem damals annektierten) Osttimor und Papua in den 70er und 80er Jahren und die Maiunruhen von 1998. Nach dem Sturz des autoritär regierenden Präsidenten Suharto im selben Jahr ging Prabowo, mittlerweile wegen der Vorwürfe gegen ihn aus der Armee entlassen, ins Exil nach Jordanien. Nach seiner Rückkehr baute er sich sukzessive ein Unternehmensimperium (u. a. Energieversorgung, Palmöl, Fischverarbeitung) auf und gründete 2008 die Gerindra-Partei (Bewegung großes Indonesien).
Ein „Himmler“ als Wahlkampfhelfer
Prabowo ist jedoch nicht nur wegen seiner Vergangenheit eine umstrittene Figur. In seinem Wahlkampf tauchten immer wieder Bilder von ihm in Militäruniform auf, was manche um die Zukunft der noch recht jungen Demokratie fürchten lässt. In einem Wahlwerbevideo des indonesischen Popstars Ahmad Dani ist Prabowo fast durchwegs als Soldat zu sehen, zuletzt legte der Sänger noch eines drauf: In einem Videoclip taucht er selbst in einer Fantasieuniform auf, die - nicht nur - den „Spiegel“ frappant an die des Naziverbrechers und SS-Führers Heinrich Himmler erinnerte.
Der Artikel des deutschen Nachrichtenmagazins von Ende Juni sorgte auch in der indonesischen Presse für einigen Wind. Der Popstar, einer der populärsten Indonesiens, wies die Kritik an seinem Auftritt via Kurzmitteilungsdienst Twitter als „albern“ zurück. Via „Jakarta Globe“ beschwerte sich über fehlendes journalistisches Ethos in den Berichten über ihn.
Wer hat Angst vor dem General?
Das US-Magazin „Time“ widmete den beiden Präsidentschaftskandidaten zuletzt ausführliche Porträts, wobei Prabowos sich um die Frage nach seinen Chancen und die, ob man vor dem Ex-General tatsächlich Angst haben müsse, drehte. Vor allem die jungen Indonesier würden einer starken und entschlossenen Figur regelrecht hinterherrennen, schrieb das Magazin. Außerdem habe eine Umfrage ergeben, dass die meisten Indonesier nichts von seiner Vergangenheit wüssten.

Reuters
Prabowo (rechts) bei seiner Beförderung zum Generalleutnant durch den früheren Streitkräftekommandanten General Wiranto kurz vor seinem Rücktritt im Mai 1998
Dazu komme, dass die Menschenrechtsfrage in einem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung trotz starken Wirtschaftswachstums bestenfalls in einfachen Verhältnissen lebt, eine Art „Mittelklasseangelegenheit“ sei, zitierte „Time“ Dodi Ambardi, den Leiter des Indonesian Survey Institute (LSI). Prabowo positioniere sich erfolgreich als „Volksheld“ und Kandidat der muslimischen Bevölkerungsmehrheit.
Der „Obama“ von Jakarta
Der jugendlich wirkende „Jokowi“ würde oft mit US-Präsident Barack Obama verglichen, schrieb „Time“. Beide hätten mit ihrem „Ja, wir können“-Geist „Legionen von Fans gewonnen und Wähler mobilisiert“. Der 53-Jährige, der seine höhere politische Laufbahn als Gouverneur der zentraljavanischen Stadt Surakarta (Solo) begann, gilt als „Macher“ mit starkem sozialpolitischem Engagement - und nicht zu Unrecht: Er sagte in der Stadt mit über 500.000 Einwohnern Korruption und Nepotismus den Kampf an, sanierte ganze Stadtviertel, modernisierte die öffentlichen Verkehrsmittel und führte Krankenversicherungsprogramme ein.

AP/Dita Alangkara
Land voller Gegensätze: Wirtschaftsaufschwung und Armut sehr nahe beieinander
Mit Vorschusslorbeeren war die internationale Presse nicht sparsam: Der britische „Economist“ nannte ihn einen „Auserwählten“, der australische „Sydney Morning Herald“ („SMH“) einen „Mann mit einer Mission“ und größte Hoffnung des Landes. Dasselbe ist er für ausländische Investoren in dem riesigen Schwellenland.
Egal, ob Joko nun ein zweiter Obama ist oder nicht („Time“ sagt Nein, Anm.), in seinem Wahlkampf hatte er tatsächlich ein sehr ähnliches Problem wie seinerzeit der „echte“ Obama: Das gegnerische Lager hatte ihn beschuldigt, kein Muslim und außerdem kein echter Indonesier, sondern chinesischer Abstammung zu sein. Wie seinerzeit der US-Präsident im Wahlkampf 2008 seine Geburtsurkunde veröffentlichte, um Vorwürfe von republikanischer Seite, er sei nicht in den USA geboren und in Wahrheit Muslim, zu parieren, musste „Jokowi“ auf ähnliche Art den Gegenbeweis antreten - mit einem Faksimile seiner Heiratsurkunde.
Auch Vize hat Probleme mit Geschichte
Mit dem 72-jährigen Jusuf Kalla habe sich Joko seinen „indonesischen Joe Biden“ (US-Vizepräsident, Anm.), einen politisch erfahrenen Stellvertreter, an Bord geholt. Kalla war von 2004 bis 2009 indonesischer Vizepräsident und Vorsitzender der Golkar-Partei, seine Präsidentschaftskandidatur 2009 scheiterte. Allerdings scheint auch er ein Problem mit der Geschichte zu haben. Laut „Time“ hängt ihm nach, dass er einst Milizen, die in den 1960er Jahren mordend durch das Land gezogen waren, gelobt hatte. Zwischen 1965 und 1966 verübten Teile der indonesischen Armee unter dem damaligen General Suharto gemeinsam mit paramilitärischen Gruppen Massaker an Anhängern der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) und der chinesischstämmigen Minderheit im Land. Die Opferzahlen gingen nach Schätzungen in die Hunderttausende.
Der Vizepräsidentschaftskandidat neben Prabowo, Hatta Rajasa, verfügt politisch über weitaus mehr praktische Erfahrung als der Ex-General. Er war zuletzt Minister im Bereich wirtschaftliche Angelegenheiten, früher Staatssekretär, Minister für Transport, Forschung und Technologie. Seine politische Heimat ist die moderatislamische PAN-Partei. Im Wahlkampf machte er so gut wie keine (internationalen) Schlagzeilen, meist sprach auch Prabowo für seinen Vize.
Aufgabenpensum „anscheinend unlösbar“
Wer immer auch der neue Präsident Indonesiens wird, es warten keine einfachen Aufgaben auf ihn: Das Wirtschaftswachstum ist zwar aus europäischer Sicht stark, aber hat sich seit 2011 abgeschwächt, es stehen heikle Verhandlungen über einen gesetzlichen Mindestlohn ins Haus. Die „Financial Times“ („FT“) erinnerte zuletzt noch an „astronomische“ Kosten für Treibstoffsubventionen, die den Staatshaushalt belasten und eine lange Liste weiterer Herausforderungen.
Der nächste Präsident werde „anscheinend unlösbare strukturelle Probleme bewältigen müssen: endemische Korruption, fehlende Infrastruktur, wachsende soziale Ungleichheit, fehlende Rechtssicherheit und ein nicht funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem. Er wird außerdem die Verantwortung dafür tragen, eine dynamische junge Demokratie auf ein festes Fundament zu stellen.“

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Diesen Aufgabenberg kann wohl niemand in einer Regierungsperiode bewältigen. Allerdings scheint die Sorge berechtigt, dass viele der Errungenschaften der Zeit nach Suharto - das Zurückdrängen der Macht des Militärs und korrupter Eliten, Pressefreiheit und andere mehr - unter Ex-General Prabowo wieder in Gefahr geraten könnten. Die Wahl in dem riesigen Land mit seinen rund 250 Millionen Menschen ist erst die dritte seit der Unabhängigkeit 1945 bzw. 1949. Wie sie ausgeht, ist offen. Noch vor Monaten lag Joko mit 40 Prozent der Stimmen um gut 20 Prozent vor seinem Herausforderer Prabowo, zuletzt verkürzte sich der Vorsprung allerdings auf nur noch einige wenige Prozentpunkte. Einzelne Umfragen sahen den Ex-General zuletzt schon vor dem bisherigen Favoriten.
Georg Krammer, ORF.at
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