„Kleiner Bäcker“ vs. Immobilienbesitzer
Nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl: Drei Wochen nach dem Urnengang für das Europaparlament sind die heimischen Parteien längst wieder im innenpolitischen Alltag angekommen. Dieser sieht, zumindest was die beiden Regierungsparteien betrifft, deutlich weniger harmonisch aus als noch davor. Die Profilierungstaktik, die SPÖ und ÖVP dabei verfolgen, geht aber offenbar nicht immer auf.
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Die tiefen Gräben, die sich in der hitzigen Debatte über die Steuerreform offenbaren, sind alles andere als neu. Zumindest was die beiden Regierungsparteien betrifft, hat man sich nach der Europawahl inhaltlich kaum neu orientiert, am wenigsten die SPÖ, wie der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at analysiert.
„Beinahe wortgleiche“ Botschaften
Die SPÖ habe mit der Steuerdebatte einen „mehr als altbekannten Klassiker“ aufs tagespolitische Tapet gebracht: die Verteilungsgerechtigkeit, und das „beinahe wortgleich“ wie vor dem letzten Parteitag. Abgezielt werde ganz klar auf die Kernwähler, was laut Filzmaier auch recht gut funktioniert. Selbst dieselben Begriffe würden verwendet wie noch vor der Regierungsbildung. Egal wie das inhaltlich zu bewerten sei, die Strategie sei schlüssig.
So bemühte Kanzler Werner Faymann (SPÖ) erst jüngst das Bild des „kleinen Bäckers“, der die große Steuerlast schultern müsse, ganz im Gegensatz zum großen Immobilienbesitzer, der von „enormen Wertsteigerungen“ bei Zinshäusern profitiere. Auf ÖVP-Seite hingegen verwehrt sich Parteichef Vizekanzler Michael Spindelegger vehement dagegen, Immobilienbesitzer und Vermögende stärker zur Kasse zu bitten.
„Klingt für jeden gut, ist für niemanden konkret“
Bezüglich der ÖVP zeigt sich Filzmaier sehr „verwundert“. Während die Volkspartei üblicherweise den Gegenslogan der Leistungsgerechtigkeit bemühte, poche man in der derzeitigen Diskussion lediglich darauf, keine neuen Steuern zu wollen. Das glaubten die Wähler nur bedingt, so der Politologe. Viel zu gewinnen gebe es auch mit dem Versprechen der Verwaltungsreform nicht, tauche dieser doch schon seit Jahrzehnten auf und sei eher negativ besetzt.
Mit einer Debatte über Leistungsgerechtigkeit würde man vielleicht eher punkten. Für Filzmaier ist deshalb auch nicht ganz klar, wen die Volkspartei mit dieser Strategie ansprechen möchte. „Keine neuen Steuern klingt für alle gut, ist aber für niemanden konkret genug.“
Geht Wertedebatte für ÖVP nach hinten los?
Einen neuen Kampf um das bürgerliche Lager haben indessen ÖVP und NEOS begonnen. Wurde NEOS vor der Wahl noch zugetraut, der ÖVP in dieser Wählerschicht eine große Konkurrenz zu sein, zeigte sich am Wahlabend, dass die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden konnten. Dass nach dem Auswechseln des NEOS-Religionssprechers zwischen den beiden Parteien über religiöse Werte debattiert wird, hält Filzmaier eher nicht für eine geplante Strategie. Mit einer Wertedebatte lasse sich nicht viel gewinnen, so der Politologe.
Das sei so, weil (religiöse) Werte immer mehr an Bedeutung verlieren und weil das ausgerechnet für die ÖVP ein Spagat sei, nämlich zwischen bürgerlich-konservativem Wählerlager in den Städten und der eher traditionell-konservativen Landbevölkerung. NEOS, dessen Publikum beinahe ausschließlich liberal-städtisch orientiert ist, tue sich da leichter. Filzmaier glaubt, dass die ÖVP die Schüsse gegen NEOS eher als eine allgemeine Angriffschance genutzt hat. Gerade in der Konfrontation mit NEOS könnte die ÖVP aus seiner Sicht nämlich mit Leistungsgerechtigkeit punkten, um damit im gemeinsamen Wählerpool der Selbstständigen und Unternehmer zu punkten.
FPÖ-Wählerschaft wächst von alleine
Abseits der Regierungsparteien sei die Frage, so Filzmaier, ob die Oppositionsparteien derzeit überhaupt etwas tun müssten, um sich zu profilieren. Denn bei den Streitereien der Koalitionspartner könnten sich diese auch einfach zurücklehnen. Vor allem die FPÖ: Sie habe gar kein Themensetting nötig, die Positionierung im Protest reiche vollkommen aus. Neue, vormals verlorene Wähler bekomme man automatisch von Team Stronach (TS) und BZÖ zurück, so Filzmaier. Die Zielgruppe werde damit automatisch größer.
Grüne wollen älter werden
Ein Wandel bei den Zielgruppen sei spätestens nach der Wahl im Mai hingegen bei den Grünen zu erkennen. Man bewege sich zunehmend vom unmittelbar städtischen hin zum kleinstädtischen Bereich. Außerdem versuche die Partei die Altersgruppe nach oben hin auszuweiten und nicht nur junge Menschen anzusprechen. Inhaltlich, so Filzmaier, konzentriere sich die Partei derzeit in der Kommunikation weniger auf die klassischen Umweltthemen, eher auf Korruption.
Auch wenn zunehmend Aussagen zu hören sind, die man eher dem roten Lager zuschreiben würde - der stellvertretende Klubobmann Werner Kogler polterte zuletzt etwa gegen Österreich als „Höchststeuerland für Arbeiter und Selbstständige“ und „Niedrigststeuerland für Superreiche, Milliardenerben und Stiftungsmilliardäre“: Eine Neuausrichtung der Grünen hin zur verstärkten Ansprache von Arbeitern sieht Filzmaier nicht - „das ist eher ein Medienphänomen“.
NEOS: „Ich bin neu“ reicht bald nicht mehr
Alles andere als eindeutig sieht Filzmaier die inhaltliche Positionierung von NEOS. Nachdem sich die junge Partei nach der EU-Wahl eingestand, sich verzettelt zu haben, indem man sich zu sehr auf Nebenschauplätzen aufhielt, fragt sich der Politologe, was NEOS jetzt als Thema setzt. Die Partei müsse erst ihre zwei, drei zentralen Themen finden, das sei derzeit außer in Ansätzen noch nicht zu sehen, meint Filzmaier. Die EU-Wahl sei bereits ein Warnsignal gewesen. Denn die Nachwahlbefragungen zeigten, dass viele NEOS-Wähler von der Themenkompetenz der Partei nicht wirklich überzeugt waren. Filzmaier rät deshalb zur Eile - „das Image ‚ich bin neu‘ wird mit jedem Tag weniger wirksam“.
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