Mutanten, die sich noch nicht kannten
Die X-Men sind zurück, nach einer Trilogie, zwei Prequels und einem Wolverine-Ableger. „Zukunft ist Vergangenheit“ bietet eine vergleichsweise aufgeräumte Geschichte und feine Superhelden-Action.
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Die britische Presse ist gespalten: Qualitätsmedien („The Independent“, „The Telegraph“) schreiben, dass der Plot viel komplizierter ist als bei den Vorgängerfilmen. Die Yellow Press (etwa der „Daily Mirror“) gibt sich begeistert und lobt gerade die nachvollziehbare Handlung. Wer sich einem radikalen Selbsttest unterziehen möchte, dem sei folgendes Vorgehen empfohlen: zur Auffrischung der Erinnerung alle Inhaltsangaben der bisherigen X-Men-Verfilmungen auf Wikipedia lesen. Dann in den neuen Film gehen.
Dabei stellt sich heraus: Der Verlauf des Geschehens von „Zukunft ist Vergangenheit“ wirkt im Vergleich nachgerade simpel. Für alle, die mit X-Men gar nichts anfangen können: Es handelt sich dabei um die Verfilmung einer Comicreihe, die es mit Unterbrechungen und in Abwandlungen seit den 60er Jahren gibt. Die grundsätzliche Idee: Menschliche Mutanten mit Superkräften weilen unter uns. Sie können wahlweise entweder in Superheldengestalt oder als Menschen auftreten.

2014 Twentieth Century Fox
Wolverine (Hugh Jackman) - der Mann zum Rückenkratzen
Die Integrationsdebatte
Manche dieser Mutanten wollen sich in die menschliche Gesellschaft integrieren. Andere sind dagegen. Diese beiden Gruppen kämpfen um die Vorherrschaft. Und die Menschheit richtet sich oft (aber nicht immer) unterschiedslos gegen alle Mutanten. Von diesem Hin und Her handeln die bisherigen Teile. Der neue Film spielt in einer Zukunft, in der die Menschen samt ihren Robotern drauf und dran sind, die Mutanten endgültig auszulöschen.
Einer von ihnen, Wolverine (Hugh Jackman), wird deshalb in die Vergangenheit geschickt. Er soll in den 70er Jahren verhindern, dass die Mutantin Mystique (Jennifer Lawrence) jenen skrupellosen Wissenschaftler (Peter Dinklage) tötet, der die Roboter mit Mutantenfähigkeiten entworfen hat - die den Mischwesen später zum Verhängnis werden sollen. Denn die Ermordung dieses Wissenschaftlers bestätigt die Regierungen der Erde erst recht darin, ihren Kampf gegen die Mutanten voranzutreiben. Gleichzeitig soll Wolverine verhindern, dass die Roboter in Serie gehen.

2014 Twentieth Century Fox
Mystique (Jennifer Lawrence) - die Kunst des Bodypainting
Ein 70er-Jahre-Gesicht
Wer diesen Grundgedanken verstanden hat, der sollte der Handlung mit ihren Nebensträngen problemlos folgen können. Wolverine kann die Aufgabe nicht alleine schultern. Deshalb muss er seine Mutantenfreunde von später, die in der Vergangenheit noch jung sind, aufsuchen; sie überzeugen, dass er tatsächlich aus der Zukunft kommt; davon, dass ihnen eine schreckliche Zukunft droht; und schließlich: dass sie ihm helfen müssen. Die postpubertären Mutanten sind wenig begeistert, was einiges an Komikpotenzial birgt - das von Regisseur Bryan Singer zumindest teilweise genutzt wird.
Einmal mehr darf man sich im Kino auch über 70er-Jahre-Mode, 70er-Jahre-Musik, das Computerspiel „Pong“ und sogar über 70er-Jahre-Gesichter freuen. Denn Peter Dinklage, den man als grandiosen Tyrion Lannister aus „Game of Thrones“ kennt, ist die Schnauzbart- und Scheitel-Rolle samt Nerdbrille aufs Antlitz geschrieben. Apropos Kostüme und Make-up: Lawrence sieht in blauem Bodypainting genauso großartig aus wie Jackmann mit Einschusslöchern im Brusthaar (die ihm nichts anhaben können) und wie das ebenfalls blaue Biest (Nicholas Hoult) mit Hipster-Vollbart.

2014 Twentieth Century Fox
Peter Dinklage - das Gesicht für einen bösen 70er-Jahre-Wissenschaftler
Was Mutanten eben so machen
Und, für viele Fans wird das die Hauptsache sein: Sonst machen die Mutanten mit Superheldenkräften Sachen, die Mutanten mit Superheldenkräften eben machen. Magneto (Michael Fassbender) etwa reißt ein riesiges Football-Stadion aus der Verankerung und fliegt damit herum. Mystique verwandelt sich in hübsche Frauen und alte Bettler und übt sich beeindruckend in asiatischer Kampfkunst. Wolverine schlitzt mit seinen Krallen alles auf, was sich ihm in den Weg stellt.
Am überzeugendsten ist jedoch ein neuer Charakter: Quicksilver (Evan Peters). Er kann für seine Umwelt die Zeit verlangsamen. Das heißt: Während jemand auf einen Gegner schießt, kann er in seinen Speed-Modus wechseln und seelenruhig zur fliegenden Kugel gehen und sie verschieben. Das sorgt in einer Massenschlachtszene für tolle Effekte. Begleitet von Musik aus dem Walkman stellt Quicksilver die ganze Slow-Motion-Szenerie, in der sich alles um ihn herum langsam bewegt, seelenruhig um.
Solides Handwerk
Die Mischung alter und neuer Charaktere, Schauspieler wie die bereits erwähnten, dazu noch Halle Berry, Patrick Stewart, James McAvoy und Ian McKellen: Nicht, dass der Film jemanden, der Comicverfilmungen, Superhelden und Science-Fiction überhaupt nicht aushält, überzeugen wird. Für alle anderen jedoch bietet „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ handfeste Unterhaltung, gute Special Effects und eine Story, die wirklich nicht „absurd verwirrend“ („The Independent“) ist.
Simon Hadler, ORF.at
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