Themenüberblick

„Niemand hat Interesse an einem Stopp“

Die Gasversorgung Europas aus Russland bleibt nach Einschätzung von Experten trotz des Ukraine-Konflikts in nächster Zeit intakt. „Meine Erwartung ist, dass es keine Unterbrechung geben wird, weil beide Seiten zu viel zu verlieren haben“, sagte Stefan Judisch, Chef der Handelssparte des deutschen Energieversorgers RWE, am Mittwoch bei einer Branchenkonferenz in Amsterdam.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Ähnlich äußerte sich Alexander Kurdin, der die russische Regierung in Energiefragen berät: „Niemand hat ein Interesse an einem Stopp der Gaslieferungen. Russland und der Versorger Gasprom wollen nicht die Situation von 2009 wiederhaben, weil das Vertrauen sehr wichtig ist.“ Damals war es wegen des Streits zwischen der Ukraine und Russland über den Gaspreis zu Lieferunterbrechungen gekommen.

EU pocht auf zugesicherte Gasmengen

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso schrieb am Mittwoch einen Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, in dem er ihn auf die Verantwortung des staatlich kontrollierten Gasprom-Konzerns hinwies. Dieser müsse die vertraglich zugesicherten Mengen nach Europa liefern.

Falls es dennoch absehbare Probleme gebe, so müsse Russland den Frühwarnmechanismus aktivieren, fügte der Kommissionspräsident hinzu. Der Mechanismus wurde nach früheren Krisen um russische Gaslieferungen an die EU eingerichtet, um bei drohenden Engpässen ein schnelles Gegensteuern zu ermöglichen.

Pläne für den Winter

Im Falle von Lieferstörungen im nächsten Winter sollen die EU-Staaten ihre Speicher aufstocken, nationale Notfallpläne erstellen und Gaslieferungen Richtung Osten nach dem Vorbild der Slowakei ermöglichen. Sie sollten auch heimische Energiequellen besser nutzen. Das steht in einem Entwurf für eine Mitteilung der EU-Kommission zur Versorgungssicherheit der EU.

Das besondere Augenmerk liegt auf osteuropäischen Staaten, die in ihrer Gasversorgung teilweise zu hundert Prozent von Russland abhängig sind. Dazu zählen etwa Estland und Bulgarien; in Polen sind es etwa 60 Prozent. Das Kapitel heißt: „Sofortmaßnahmen, um die Fähigkeit der EU zu steigern, eine größere Störung im Winter 2014/2015 zu überwinden“.

Das Papier werde „in ein oder zwei Wochen“ vorgestellt, kündigte EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Mittwoch an. Mit dem Thema werde sich auch der EU-Gipfel Ende Juni befassen. Oettinger sagte: „Es geht um Diversifikation von Quellen, von Routen, von Anbietern.“ Zu wenige Pipelines und Stromnetze in Europa könnten „zu Abhängigkeit und Erpressbarkeit führen“. Energie dürfe kein Instrument der Politik sein, sondern müsse „eine Ware, ein Produkt, eine Dienstleistung in offenen Märkten“ sein.

Mitterlehner erinnert an 2009

Für Österreich hatte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) vorige Woche erklärt, dass Gasprom Erdgas über die „Nord Stream OPAL“-Pipeline nach Österreich liefern werde, sollten Gaslieferungen durch die Ukraine nach Österreich ausfallen. Das sei schon 2009 geschehen. Damals hatte Russland wegen unbezahlter Rechnungen der Ukraine das Gas zeitweilig abgedreht, was zu Engpässen auch in der EU geführt hatte.

„Ich rechne damit, dass es in den nächsten Wochen passieren könnte, sollte die Ukraine die offenen Gasrechnungen nicht begleichen“ sagte Mitterlehner, wie die APA berichtete. Österreichs Erdgasspeicher seien derzeit zur Hälfte gefüllt, so Mitterlehner, „diese Menge reicht für mehrere Monate“. Auch Gasprom lagere Gas in Österreich ein.

Kritik von Greenpeace

Kritik kam von der Umweltorganisation Greenpeace. Ihrer Ansicht nach bleibt die EU-Kommission eine Antwort auf die drängenden Probleme schuldig. „Wenn Europa seine Abhängigkeit von Energieimporten wirklich anpacken will, gibt es nur einen Weg. Es muss seinen Energieverbrauch massiv senken und auf Erneuerbare umstellen“, sagte Franziska Achterberg von Greenpeace in Brüssel. Die Kommission spreche „aber lieber über neue Gasleitungen und Lieferanten“.

Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland, davon einen Teil durch Transitleitungen über die Ukraine. Diese streitet inmitten des Konflikts um die Abspaltung der Krim und prorussische Separatisten im Osten des Landes mit Russland um die Gaspreise. Laut russischen Angaben hat die Ukraine mittlerweile Schulden von 3,5 Milliarden Dollar.

Links: