Wasserversorgung hat Priorität
Wegen des Hochwassers auf dem Balkan befürchten die Behörden in Bosnien-Herzegowina den Ausbruch von Seuchen. Bei steigenden Temperaturen könnte von Tierkadavern verunreinigtes Wasser zum Ausbruch von Krankheiten wie Typhus und Hepatitis führen, sagte der Leiter des Gesundheitsamts in Sarajevo am Montag dem bosnischen Fernsehen.
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In erster Linie gehe es nun darum, eine sichere Wasserversorgung zu gewährleisten. In der Region Banja Luka im Norden des Landes wurden nach dem Sinken des Wasserstandes Hunderte Tierkadaver entdeckt. Bei dem Hochwasser in Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina sind bisher mindestens 45 Menschen ums Leben gekommen. In Bosnien warnten die Behörden auch vor Gefahren durch das Freispülen von Minenfeldern aus dem Bosnien-Krieg (1992-1995). Schätzungen zufolge dürften noch rund 120.000 Minen nicht geräumt sein.

APA/ORF.at
Das Minenaktionszentrum MAC warnte die Bevölkerung, dass die Sprengkörper Hunderte Kilometer unter anderem bis zum Schwarzen Meer geschwemmt werden könnten. Die Gegenden um die Städte Doboj und Olovo, die jetzt besonders hart vom Hochwasser betroffen sind, sind noch stark vermint.

AP/Darko Vojinovic
Die Rettung muss angesichts der Überflutungen mit dem Schlauchboot erfolgen
Mehr als 20 Tote in Doboj
In der bosnischen Ortschaft Savac kam ein Mensch ums Leben, wie Bürgermeister Savo Minic am Montag mitteilte. Zudem gebe es zwei Vermisste. Aus dem Ort im Norden Bosniens waren nahezu alle 26.000 Einwohner mit Hubschraubern und Schlauchbooten vor den Wassermassen in Sicherheit gebracht worden. Wie Dutzende andere Orte im Nordosten Bosniens stand Savac am Montag weiter unter Wasser.
In Doboj wurden laut Angaben von Bürgermeister Obren Petrovic mehr als 20 Tote in die örtliche Leichenhalle gebracht. Man müsse herausfinden, wie viele Menschen in den Fluten umkamen: „Es werden viele Tote sein.“ Aus anderen Landesteilen wurden mindestens sieben weitere Tote gemeldet.
Pegelstände beginnen zu sinken
Durch das Hochwasser waren an mehreren Stellen der bosnischen Region Bijeljina die Deiche der Save gebrochen. 6.000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Flüchtlinge, deren Häuser überschwemmt wurden, berichteten von einem drei Meter hohen Pegel. Die Stadt Bijeljina rief Freiwillige auf, bei der Sicherung der Deiche durch Sandsäcke zu helfen.
In den weiter südlich gelegenen, völlig überschwemmten Orten Maglaj und Doboj zog sich das Wasser langsam zurück. Dort hatte der Pegel zum Teil die oberen Stockwerke der Häuser erreicht. Am Montag herrschte trockenes und sonniges Wetter in der Region, in vielen kleinen Flüssen sanken die Pegelstände.
Save: Zehntausende mussten Häuser verlassen
Die Lage am Fluss Save, der durch den Norden Bosniens und den Westen Serbiens fließt, blieb am Sonntag vielerorts kritisch. Zehntausende Menschen in beiden Ländern mussten ihre Häuser verlassen. Eine Entspannung der Lage ist noch nicht in Sicht. „Was uns widerfährt, geschieht nur einmal in tausend Jahren, nicht hundert, sondern tausend“, sagte der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic. Die größten Probleme gebe es entlang der Save. Über den betroffenen Gebieten waren in den vergangenen Tagen die heftigsten Regengüsse seit mehr als 120 Jahren niedergegangen.

APA/AP/Darko Vojinovic
Hilfe per Bulldozer in Obrenovac
Sorge um Kraftwerke
16 Tote verzeichneten die serbischen Rettungsteams, darunter zwölf in der Stadt Obrenovac unweit von Belgrad. Dort bestand Gefahr für das Kraftwerk Nikola Tesla, das einen Gutteil der Stromproduktion Serbiens sicherstellt. Auch das Kraftwerk in Kolovac nahe Belgrad versuchte man mit Sandsäcken vor den Wassermassen zu schützen. Zwar hieß es bereits, beiden Kraftwerken drohe keine Gefahr mehr, doch wartet man nun auf eine mögliche zweite Flutwelle. Schon jetzt sind laut Reuters 40 Prozent der Stromerzeugung Serbiens ausgefallen, das Land muss Energie importieren.
Ausmaß der Schäden enorm
Das Ausmaß der Schäden ist kaum abzuschätzen. Viele Landwirtschaftsflächen sind verwüstet. Ministerpräsident Vucic bezifferte den finanziellen Schaden allein durch die Überflutung der Grube von Kolubara, dem größten Kohlebergwerk von Serbien, auf 100 Millionen Euro. In Sremska Mitrovica und anderen serbischen Städten wurde eine Million Sandsäcke aufgetürmt, um die Wassermassen zurückzuhalten. In der Hauptstadt Belgrad waren Tausende Freiwillige zur Verstärkung der Uferbefestigungen im Einsatz. Dort mündet die Save in die Donau.
Im Osten Kroatiens sind etwa 15.000 Menschen vom Hochwasser bedroht, viele von ihnen mussten ihre Häuser verlassen. Am Wochenende starb ein Mann, zwei Menschen gelten als vermisst. Die Hochwassergefahr sei noch nicht gebannt, sagte Ivica Plisic, Generaldirektor der Wasserwirtschaftsbehörde. Evakuierungen sind noch im Gange. In zahlreichen Ortschaften in Slawonien im Osten des Landes brachen die Dämme der Save. Bilder aus der Krisenregion zeigten, dass das Wasser ganze Orte verschluckt hat, teilweise, etwa in Gunja, ragten nur die Dächer hervor. In Slavonski Brod wurden in der Nacht auf Montag präventiv 715 Menschen in Sicherheit gebracht.
Wahlveranstaltungen abgesagt
Kroatische Hilfsmannschaften, Freiwillige sowie die Armee, Feuerwehr und Rettungskräfte waren seit Freitag laut Medienberichten rund um die Uhr im Einsatz, sowohl in Kroatien als auch in den Nachbarländern Bosnien-Herzegowina und Serbien.Im Landesteil Slawonien-Baranja bleiben die Schulen in dieser Woche geschlossen. Die Regierungspartei SDP sagte wegen des Hochwassers alle Wahlveranstaltungen zur EU-Wahl am Sonntag ab, die Opposition zog nach.

Reuters/Dado Ruvic
Wasser, so weit das Auge reicht - hier bei Brcko in Bosnien-Herzegowina
Spendenkonten
Caritas Österreich, „Hochwasserhilfe Südosteuropa“, PSK, IBAN: AT92.6000.0000.0770.0004, BIC: OPSKATWW
Österreichisches Rotes Kreuz, „Flut in Südosteuropa“, Erste Bank, IBAN: AT57.2011.1400.1440.0144, BIC: GIBAATWWXXX
Diakonie Katastrophenhilfe, „Fluthilfe“, Erste Bank, IBAN: AT85.2011.1287.1196.6333, BIC: GIBAATWWXXX
Malteser Hospitaldienst Austria, „Hochwasserhilfe Südosteuropa“, PSK, IBAN: AT43.6000.0000.0100.0999, BIC: OPSKATWW
Volkshilfe Nothilfe, „Hochwasser am Balkan“, PSK, IBAN: AT77.6000.0000.0174.0400, BIC: OPSKATWW
Unterstützung aus EU-Staaten und Russland
Vucic bedankte sich am Sonntag für die seinem Land bisher geleistete internationale Hilfe und erwähnte in diesem Zusammenhang namentlich Russland und Österreich. Die österreichische Regierung habe große Hilfe und Sondermannschaften geschickt, so Vucic. Der Regierungschef musste wegen der Überschwemmung einen Besuch in Österreich absagen. Die Hilfe sei praktisch von allen Staaten in der Region und darüber hinaus gekommen, so Vucic.
„Es hat sich gezeigt, dass die Politik der Freundschaft und der Zusammenarbeit in der Region dem Land viel bedeutet und man dank schneller Maßnahmen schwerere Folgen abwenden konnte (...) Wir werden die geleistete Hilfe gut in Erinnerung bewahren und sie erwidern“, sagte Vucic. Ausländische Rettungsteams seien angesichts der sich beruhigenden Situation nicht mehr notwendig, dafür aber Hilfslieferungen.
EU verstärkt Hilfe
Die EU verstärkte ihre Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe in Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgijewa sagte am Montag in Brüssel, die Hilfe gehe mittlerweile über das hinaus, was ursprünglich von den beiden Ländern erbeten wurde. Derzeit hätten 14 Staaten Hilfe eingeleitet, etwa 450 Helfer aus den EU-Ländern seien bereits an Ort und Stelle. „Es ist schnell klar geworden, dass der Bedarf so riesig ist, dass wir die Hilfe aufstocken mussten“, sagte sie.
Derzeit leiste die EU vor allem akute Nothilfe, doch werde es in Zukunft auch um den Wiederaufbau in den beiden Balkan-Staaten gehen. Der Einsatz in Bosnien-Herzegowina sei „sehr komplex“: Das liege nicht nur an der Teilung des Landes in verschiedene ethnische Gruppen, sondern auch daran, dass die Schäden zum Teil in Gebieten entstanden seien, die bisher noch nicht von Landminen freigeräumt worden seien.
Serbien, das ein potenzielles EU-Beitrittsland ist, könne Geld aus dem europäischen Solidaritätsfonds beantragen, falls die Schäden höher als 0,64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts seien. Für Bosnien-Herzegowina würden andere Möglichkeiten der Finanzhilfe geprüft.
Österreichische Retter im Einsatz
Derzeit sind laut Außenministerium Mitglieder der österreichischen Wasserrettung und Feuerwehren aus Wien, Niederösterreich und Kärnten im Einsatz. Sie haben Boote, Versorgungswagen, Fahrzeuge und Pumpen dabei - mehr dazu in noe.ORF.at und kaernten.ORF.at.
Vier Bundesheerhubschrauber brachten in Bosnien in den vergangenen Tagen in 160 Einsätzen mehr als 800 Personen in Sicherheit. Drei Alouette 3 und ein Black Hawk flogen laut Verteidigungsministerium am Sonntag seit Tagesanbruch in Maglaj, Tuzla und Zenica Schwangere, Dialysepatienten und vom Hochwasser eingeschlosse Frauen, Männer und Kinder aus. Ein Ende des Einsatzes ist derzeit nicht absehbar.
Papst gedenkt der Opfer
Papst Franziskus gedachte unterdessen bei seinem Mittagsgebet auf dem Petersplatz der Opfer der schweren Hochwasserkatastrophe. Vor mehreren zehntausend Gläubigen verwies er am Sonntag auf die Überschwemmungen vor allem in Serbien und Bosnien und empfahl die Opfer der Barmherzigkeit Gottes. Zugleich bekundete er seine Verbundenheit mit allen Menschen, die dort derzeit in Angst und Sorge lebten.
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