Essensmarken nur bei Jubel für Erdogan?
Dass türkische Gewerkschaften und die parlamentarische Opposition die Verantwortung für das Minenunglück von Soma der Betreibergesellschaft und der Regierungspartei AKP geben, ist zumindest nachvollziehbar. Noch bis zuletzt brüstete sich der politisch bestens vernetzte Firmenchef Alp Gürkan mit seiem rigiden Sparkurs.
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Die früher staatliche Mine in Soma wurde im Zuge des Privatisierungsprogramms von Premier Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2005 an die Soma Kömür A.S. Holding übertragen. Deren Chef Gürkan verwies in einem Interview vor zwei Jahren auf erreichte Kostensenkungen, etwa durch die Anstellung von gewerkschaftlich nicht organisierten Leiharbeitern über Subfirmen und den Einsatz von selbst gebauten Transformatoren unter Tage. Ein Transformator dieser Bauart dürfte für das Unglück verantwortlich gewesen sein.
Eine Firma, zwei Gesichter
Die selbst gebauten Transformatoren seien viel billiger als die vormals importierten, so Gürkan in einem Interview mit der Zeitung „Hürriyet“ im Jahr 2012, das nun in der englischsprachigen „Hürriyet Daily News“ zitiert wurde. Auch die Einsparungen bei den Trafos machte er dafür verantwortlich, dass er die Produktionskosten pro Tonne Kohle von zuvor bis zu 100 Euro auf nun knapp 17,50 Euro senken habe können. Am Dienstag dürfte einer der unterirdischen Großtrafos explodiert sein.
Soma Kömür war freilich auch für die hohen Förderkosten verantwortlich: Schon seit 1984 förderte die Firma als Dienstleister dort Kohle für den Staat. Die Kostensenkungen traten erst ein, als die Firma in die eigene Tasche wirtschaften konnte. Den Zusammenhang zwischen Einsparungen, höheren Profiten und der Privatisierung stellte Gürkan in dem Interview auch gar nicht in Abrede: „Wenn es anders wäre, hätten wir und andere private Firmen gar nicht damit angefangen.“
Aufstieg an der Seite Erdogans
Soma Kömür hat parallel zu Erdogans Aufstieg in den letzten Jahren stark expandiert, das Tätigkeitsfeld inzwischen von Rohstoffförderung auch auf Hoch- und Tiefbau ausgedehnt und beschäftigt laut eigenen Angaben an die 6.000 Leute. Mit 5,5 Millionen Tonnen Jahresproduktion ist die Firma einer der größten Kohleproduzenten der Türkei. In dem Bergwerk in der Provinz Manisa werden monatlich an die 250.000 Tonnen Kohle abgebaut.
Türkische Gewerkschaften beklagen seit Jahren, dass die Regierung die Betreiber privater Minen zu wenig kontrolliert. Es herrsche eine jahrelange Praxis der Beschäftigung von nicht ausreichend eingeschulten Arbeitern. Die staatliche Sozialversicherungsgesellschaft SGK will ebenfalls eine Untersuchung einleiten. Unter den Toten des Unglücks soll sich ein 15-Jähriger befinden. Unter Tage dürfen aber laut Gesetz nur Erwachsene arbeiten.
Verflechtungen mit AKP
Aktuelle Statements aus der Firma, insbesondere zu den Vorwürfen hinsichtlich ungenügender Sicherheitsstandards, sind rar. Die Homepage des Unternehmens, nach dem Unglück offline, öffnet nun mit der Botschaft, dass das Unglück „trotz höchster Sicherheitsmaßnahmen und ständiger Kontrollen“ passiert sei. Eine Untersuchung sei eingeleitet worden. Für darüber hinausgehende Äußerungen sind Vertreter des Unternehmens Medienangaben zufolge nicht erreichbar.
Gürkan sei aber gemeinsam mit Erdogan am Mittwoch in Soma gewesen, berichtete die Berliner „taz“ am Donnerstag - und zitierte zudem einen lokalen Linkspolitiker mit dem Vorwurf, dass Gürkan während des Kommunalwahlkampfs im März seine Arbeiter genötigt habe, zu Erdogans Kundgebung in Manisa zu gehen. Ihnen seien ihre Essenskarten weggenommen worden – und nur wer bei der Kundgebung anwesend gewesen sei, habe sie danach wieder abholen können. Gürkans Frau ist AKP-Mandatarin im Stadtparlament.
Todesrate steigt
In der Türkei wurden laut Angaben des Energieministeriums im Jahr 2012 rund 78 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut. Der Bergbau ist auch die Branche mit der höchsten Unfallrate. Jeder zehnte Arbeitsunfall im letzten Jahr ereignete sich im Bergbau. Seit 1941 gab es 3.000 Tote bei Bergbauunfällen. Im Jahr 2008 haben für den Abbau einer Million Tonne Kohle rechnerisch gesehen 7,22 Menschen ihr Leben verloren, so das türkische Wirtschaftsforschungsinstitut TEPAV. Die Zahl ist seit 2004, wo die Todesrate bei 5,14 lag, wieder im Steigen begriffen.
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