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Eine „sensationelle“ Debatte

„Später Ruhm“ ist der längste durchgängige zuvor unveröffentlichte Text von Arthur Schnitzler, der seit dessen Tod vor 82 Jahren erschienen ist. Die Geschichte der Novelle ist so packend wie ihr Inhalt - vom Verschwinden in der Schublade bis zur skurrilen gegenwärtigen Debatte über das Buch.

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Arthur Schnitzler, 1862 geboren, maturierte mit Auszeichnung. Der Vater war erfolgreicher Facharzt für Kehlkopfkrankheiten, der Weg seines Sohnes schien vorgezeichnet. Der junge Schnitzler studierte Medizin und wurde im Alter von 23 Jahren Assistent beim Herrn Papa. Aber da war noch die Literatur, die ihn nicht losließ. Schnitzler wollte schreiben - und er schrieb.

Im Cafe Griensteidl saß er mit Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann und einigen anderen hoffnungsfrohen angehenden Schriftstellern zusammen. Sie bildeten gemeinsam die Gruppe „Jung-Wien“. Der Durchbruch stand noch aus. 1893 schrieb Schnitzler den „Anatol“, mit der „Liebelei“ wurde er zwei Jahre später einem großen Publikum bekannt. In der Zeit des „Dazwischen“, des Zweifels, ob es reichen wird oder ob sich die jungen Freunde gegenseitig etwas vormachen, und der Zeit des Zauderns, ob er als Arzt Karriere machen oder sich aufs Schreiben konzentrieren soll, schrieb Schnitzler 1894 die Novelle „Später Ruhm“.

Arthur Schnitzler

Public Domain

Arthur Schnitzler, ca. 1912, Fotografie von Ferdinand Schmutzer

Zwischen Beisl und Literaturcafe

Die Geschichte umfasst so, wie sie nun bei Zsolnay erschienen ist, 135 Seiten. Es geht darin um Eduard Saxberger, einen Beamten, der kurz vor der Pensionierung steht. In jungen Jahren hatte er Gedichte geschrieben, die in ein paar Zeitschriften publiziert wurden, und es schließlich sogar zu einer Buchveröffentlichung gebracht. Doch die Resonanz auf sein lyrisches Schaffen hielt sich in Grenzen.

Saxberger spielt am Abend im Wirtshaus Karten oder Billard, untertags leitet er eine Abteilung im Amt. Frau hat er keine. Sein Leben ist ruhig und beschaulich, auf die Literatur hat er längst vergessen. Bis eines Tages ein Jungspund auftaucht und ihm eröffnet, dass er, Saxberger, der heimliche Star einer kleinen, noch unentdeckten Schar an Literaten ist. Sie nennen sich „Die Begeisterten“ und laden ihn fortan regelmäßig zu ihrer Kaffeehausrunde ein.

„Scheint nicht übel gelungen“

Eigentlich war Saxberger vom Typ her gar nicht der verkannte Literat. Aber nun straft er seine alten Bekannten mit Verachtung und lässt sich von dem eingeschworenen Grüppchen von Möchtegernschriftstellern, kaum publizierten Kritikern und strauchelnden Schauspielern als Held feiern. Die Handlung läuft auf einen Höhepunkt zu: Saxberger soll nach so vielen Jahren wieder etwas Neues schreiben - für einen Vortragsabend, der den „Begeisterten“ endlich zum verdienten Erfolg verhelfen soll. Doch als Leser fühlt man eine Katastrophe dräuen.

Buchhinweis

Buchcover

Zsolnay Verlag

Arthur Schnitzler: Später Ruhm. Zsolnay, 157 Seiten, 18,40 Euro. Hörbuch: Gelesen von Udo Samel. Drei CDs, Hamburger Hörbuch Verlag, 19,99 Euro.

Schnitzler war mit der Novelle zunächst recht zufrieden. In sein Tagebuch schrieb er nach dem Durchkorrigieren: „Las den ‚Späten Ruhm‘ durch; scheint nicht übel gelungen.“ Und später noch einmal: „Las Nachmittag für mich meine Novelle Geschichte von einem alten Dichter. Eindruck: Hübsch, einige sehr gute Stellen.“ Hermann Bahr hatte Schnitzler um einen Beitrag für die Zeitschrift „Die Zeit“ gebeten. Schnitzler schickte ihm „Später Ruhm“.

Bahr lehnte mit dem Hinweis ab, die Geschichte würde ihren Reiz verlieren, wenn man sie auf mehrere Ausgaben zerstückelt. Schnitzler selbst fand die Story dann auch „im ganzen etwas langweilig“ und mit einigem Zeitabstand ließ er sie, wie die „Tiroler Tageszeitung“ recherchierte, mit „höflichstem Missfallen“ in der Schublade verschwinden. Dort verstaubte sie bis nach Schnitzlers Tod.

Vergessen, aber nicht verschollen?

In ihrem lesenswerten Nachwort zu „Später Ruhm“ schreiben die Herausgeber Wilhelm Hemecker und David Österle, dass die Novelle mit Schnitzlers gesamtem Nachlass in einer abenteuerlichen Aktion vor den Nazis gerettet wurde und in die Bibliothek der Universität von Cambridge aufgenommen wurde. Dort stand sie bis zuletzt unbeachtet im Regal. Es war bekannt, dass es sie gab, sie war im Onlinekatalog gelistet, und in den 70er Jahren wurde sogar ein noch von Schnitzler selbst angefertigtes vierseitiges Exzerpt publiziert. Aber für die große Öffentlichkeit war „Später Ruhm“ niemals zugänglich - der Text war schlicht und einfach in Vergessenheit geraten.

Der Zsolnay Verlag kündigte die Veröffentlichung lautstark an: „Eine sensationelle Entdeckung - erstmals veröffentlicht“ hieß es und „Eine literarische Sensation. Entstanden im Frühjahr 1894, im Nachlass vergessen, jetzt erstmals veröffentlicht: Arthur Schnitzlers frühes Meisterwerk“. Aufgrund dieser in der Buchbranche durchaus üblichen Marktschreierei entstand eine Debatte, die Schnitzler zu Lebzeiten als Grundlage für eine weitere Novelle hätte dienen können.

Sensation oder nicht?

Ö1 und die „Tiroler Tageszeitung“ zitierten die Germanistin und Präsidentin der Wiener Arthur-Schnitzler-Gesellschaft, Konstanze Fliedl, die erklärte, dass man in der Literaturwissenschaft von der Existenz des Textes wusste. Die Zeitung titelte mit „Keinesfalls ein Sensationsfund“ und zahlreiche Medien zogen nach. Am Ende blieb stehen: Ein 135-seitiger, neuer Schnitzler-Text ist keine Sensation in einem Land, in dem jeder Arthur Schnitzler kennt und er als Säulenheiliger und Sigmund Freuds Bruder im Geiste gilt, weil Literaturwissenschaftler von der Existenz dieses Textes wussten - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Dann heißt es noch allerorten: Und überhaupt, von einer literarischen Sensation könne nicht gesprochen werden, weil Schnitzler weit Besseres verfasst habe. Das trifft zwar zu, aber wenn man die Novelle in den Kontext der aktuellen Bestsellerlisten mit ihren brustschwachen Befindlichkeitsautoren, windigen Ratgebern, manierierten Witzbolden und den immer gleichen Thrillern stellt: Schnitzler lesen zahlt sich aus, auch dieses Buch.

Zeitloser Humor

„Später Ruhm“ ist vielleicht in seinem Setting etwas hermetisch und hätte als Theaterstück besser funktioniert. Aber die Geschichte entwickelt auch so ihren Sog: In konzentrischen Kreisen, mit repetitiven Elementen, steuert sie auf ihren Höhepunkt zu. Man kann die Katastrophe mit Händen greifen - ob sie denn kommt, sei dahingestellt. Eitelkeiten, Mitläufertum und eine verkorkste Gruppendynamik führt Schnitzler auf vollkommen zeitlose Weise vor.

Dass er dabei seine Freunde aufs Korn nahm, die heute jeder als Teil des Kanons heimischer Kulturgeschichte kennt, ist ein zusätzlicher Reiz der Novelle. An dieser Stelle sei empfohlen, das Nachwort als Vorwort zu lesen. Abgesehen davon hat Schnitzler Humor. Wie die Gruppe selbstverliebter Möchtegernliteraturstars das Ego von Saxberger mit heißer Luft aufbläst und seine alten Beislkumpane ihn wieder herunterzuholen versuchen, ist witzig.

Leider nicht aus Kellerloch in China

Freilich, falls es nur dann eine Sensation sein kann, wenn Schnitzlers heimlich geschriebenes, unbekanntes, im Tagebuch niemals erwähntes, 450-seitiges Haupt- und Meisterwerk aus einem Kellerloch in China ausgegraben wird: Dann ist die Publikation von „Später Ruhm“ tatsächlich keine Sensation. Herausgeber Hemecker kommentierte die Debatte in der ZIB emotionslos: „Die Verlagsgesetze sind natürlich andere als die Gesetze des Wissenschaftlers.“

Simon Hadler, ORF.at

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