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Rettungsarbeiten wegen Rauchs gestoppt

Nach dem Grubenunglück in Soma im Westen der Türkei ist die Zahl der Todesopfer auf 274 gestiegen. Das teilte Energieminister Taner Yildiz am Mittwochabend mit. Damit ist die Katastrophe von Soma das schwerste Grubenunglück in der Geschichte des Landes. Die Hoffnung auf Überlebende schwindet von Minute zu Minute.

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„Das Problem ist ernster, als wir dachten. Es entwickelt sich zu einem Unfall mit der höchsten Zahl getöteter Arbeiter, die die Türkei bisher erlebt hat“, sagte Yildiz an der Unglücksstelle in Soma. Zuvor hatte er gesagt, in der Kohlegrube in Soma hätten sich zum Zeitpunkt der Explosion Dienstagnachmittag 787 Bergarbeiter aufgehalten. Es sei gerade Schichtwechsel gewesen, daher sei die Zahl so hoch. Noch rund 120 Kumpel seien unter Tage eingeschlossen, sagte Erdogan laut Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu am Ort der Katastrophe.

Minenarbeiter und Rettungskräfte

APA/AP/Emre Tazegul

Rund 400 Helfer sind an den Rettungsmaßnahmen beteiligt

Dreitägige Staatstrauer ausgerufen

Das bisher schwerste Grubenunglück in der Türkei ereignete sich 1992 in der Provinz Zonguldak am Schwarzen Meer. Damals kamen durch eine Gasexplosion 263 Arbeiter ums Leben. In derselben Region wurden im Mai 2010 bei einer weiteren Gasexplosion 30 Bergleute getötet. Die türkische Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land würden am Mittwoch die Flaggen auf halbmast gesetzt, teilte das Büro des Premierministers mit. Premier Recep Tayyip Erdogan besuchte am Mittwoch den Unglücksort.

„Zeit arbeitet gegen uns“

Kurz brandete Mittwochfrüh Jubel auf, als mehr als 18 Stunden nach der Explosion eines Umspannwerks und einem dadurch ausgelösten Brand sechs Überlebende geborgen wurden. Unklar sei, ob die Männer verletzt sind, berichtete die Zeitung „Hürriyet“ (Onlineausgabe). Damit steigt die Zahl der geretteten Bergmänner auf rund 450, 80 davon sind zum Teil schwer verletzt.

Eine Grafik zeigt den Ort des Minenunglücks in der Türkei

APA/ORF.at

Soma liegt rund 250 Kilometer südlich von Istanbul

„Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir befürchten, dass die Totenzahl weiter steigt", sagte Yildiz. Auch aus den umliegenden Minen wurden Arbeiter abgezogen, um bei der Rettung zu helfen. Einer der Kumpel berichtete der Agentur AP, er sei auf der Suche nach seinem Bruder in die Mine gegangen, habe aber nach 150 Metern umdrehen müssen. „Es gibt keine Hoffnung mehr.“

Masken reichen nur für 45 Minuten

Auch der Bergmann Sami Kilic, der neun Jahre in der Zeche arbeitete und bei den Rettungsarbeiten hilft, sagte dem Sender CNN-Türk, bei einer Explosion funktioniere die Stromversorgung nicht mehr. Ventilatoren könnten nicht mehr arbeiten, der Luftstrom werde unterbrochen. „Auch wenn die Männer Masken haben sollten, wird eine Rettung schwierig. Die Masken, die wir erhalten haben, reichten für 45 Minuten Frischluft. Aber innerhalb von 45 Minuten kann man nicht die eineinhalb Kilometer nach oben kommen.“ Er rechne mit bis zu 400 Toten.

Noch immer steigt Rauch aus der Mine auf, ein Zeichen, dass der Brand nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte. „Die Rettungsarbeiten werden fortgesetzt, sobald sich der Rauch und der CO2-Gehalt in der Luft reduzieren“, sagte Yilmaz. Derzeit werde Sauerstoff in die Stollen gepumpt, um die Chancen für mögliche Überlebende zu erhöhen. Die meisten Opfer, die bisher geborgen wurden, seien an Kohlenmonoxidvergiftungen gestorben, wie das Ministerium mitteilte.

Trauernde Minenarbeiter und Angehörige

APA/AP/Emrah Gurel

Angehörige und Freunde der Vermissten sind verzweifelt

Noch während die Rettungsarbeiten im vollen Gange sind, hat die Debatte über die Gründe für das Unglück begonnen. Behörden und Grubenleitung sprachen von einem tragischen Unfall und betonten, das Unglück sei „trotz höchster Sicherheitsstandards und ständiger Kontrollen“ passiert. Sie kündigten eine Untersuchung an.

Gewerkschaft spricht von „Massaker“

Das Arbeitsministerium erklärte, die Mine sei seit 2012 fünfmal kontrolliert worden, zuletzt im März 2014. Es habe keinen Anlass zur Beanstandung gegeben. Türkische Medien berichteten jedoch, die Regierungspartei AKP habe in den vergangenen Monaten eine Forderung der Opposition nach Überprüfung der Grube zurückgewiesen. Ein Bergmann sagte indes der Nachrichtenagentur AFP: „Es gibt in diesem Bergwerk keine Sicherheit. Die Gewerkschaften sind Marionetten, und die Geschäftsführung kümmert sich nur ums Geld.“

Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Privatisierung vieler ehemals staatlicher Bergbaufirmen in den vergangenen Jahren die Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen ignoriert zu haben. Für den linken Gewerkschaftsbund DISK ist das Unglück von Soma deshalb ein „Massaker“, wie der Vorsitzende Kani Beko sagte. In Gruben wie in der von Soma seien ganze Ketten von Subunternehmern am Werk, die nicht vernünftig kontrolliert würden. Sicherheitsvorschriften würden außer Acht gelassen: „Es geht nur um den Gewinn.“

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