Tragweite des Fundes erst jetzt erkannt?
Bei einem vor der Küste von Haiti entdeckten Schiffswrack soll es sich um die „Santa Maria“ handeln, mit der Christoph Kolumbus 1492 Amerika entdeckte. Alle geografischen, archäologischen und topographischen Analysen deuteten stark darauf hin, dass es sich um das Flaggschiff von Kolumbus handle, sagte der US-Forscher Barry Clifford am Dienstag (Ortszeit).
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Das Wrack war schon vor elf Jahren in einer Gegend gefunden worden, wo die „Santa Maria“ nach Kolumbus’ eigenen Angaben auf Grund gelaufen war. Die damalige Untersuchung von Fundstücken - unter anderem einer Kanone - habe falsche Ergebnisse gebracht, sagte Clifford dem Sender CNN. Erst vor zwei Jahren, nachdem er das Wrack selbst erforscht habe, sei es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. „Ich wachte mitten in der Nacht auf und sagte: ‚O mein Gott‘.“

AP/Amilcar de Leon
Eine Kopie der „Santa Maria“, die 1991 in Barcelona in See stach
„Mount Everest unter den Schiffwracks“
Er sei dann mit einem Expertenteam erneut zum Wrack gefahren und habe weitergeforscht und sei sich inzwischen sicher: „Das ist das Schiff, das den Gang der Menschheitsgeschichte veränderte. Für mich ist es der Mount Everest unter den Schiffswracks.“ Auch der Meeresarchäologe Charles Beeker hält Cliffords Angaben für glaubwürdig. Zwar stehe noch eine detaillierte wissenschaftliche Analyse aus, doch gebe es schon anhand der Fotos von 2003 und jüngster Aufklärungstauchgänge „überzeugende Hinweise, dass es sich tatsächlich um die ‚Santa Maria‘ handelt“, sagte er dem britischen „Independent“.
Kolumbus war mit dem Dreimaster 1492 auf der Suche nach „Ostasien“ in See gestochen, doch führte ihn seine erste Expedition statt nach Indien auf die Bahamas. Am 25. Dezember soll die „Santa Maria“ auf eine Sandbank vor der Insel Hispaniola aufgelaufen sein. Auf der Insel liegen heute die Dominikanische Republik und Haiti.
Das älteste Wrack der Neuen Welt?
Clifford, dessen Untersuchung vom US-Sender History Channel gesponsert wird, sagte, dass er bereits bei der haitianischen Regierung angefragt habe, das Wrack zu konservieren. „Der nächste Schritt ist die sorgfältige und gründliche Ausgrabung“, so Clifford. Laut Salim Succar, Berater der haitianische Regierung, werde alles getan, was notwendig ist, um den Fundort zu sichern, während überlegt wird, welche die beste Möglichkeit ist, das Wrack auszustellen. Sollte das Schiff wirklich die „Santa Maria“ sein, wäre sie das älteste bekannte europäische Schiffswrack in der Neuen Welt und von großer archäologischer Relevanz.
Wissenschaftler äußerst skeptisch
Wissenschaftler und Experten sind allerdings skeptisch gegenüber dem Fund. Es sei noch zu früh, Aussagen über das Schiff zu machen, vor allem, weil von dem Schiff kaum etwas übrig geblieben sei, wie Roger C. Smith, Leiter der Wasserarchäologie im US-Bundesstaat Florida, ausführte. Einerseits sank das Schiff langsam, und die Mannschaft konnte daher alles Wertvolle in Sicherheit bringen. Andererseits sind die Teile im Wasser nicht sehr gut erhalten und von in tropischen Gewässern häufig vorkommenden Mollusken zerfressen. Doch auch Mannschaftsmitglieder, die an Land zurückgelassen worden sein könnten, hätten sich Unterkünfte aus dem Holz bauen können.
Smith, der bereits in Haiti, der Dominikanischen Republik, Jamaika und Panama nach dem Wrack der „Santa Maria“ gesucht hat, hält es für möglich, dass Clifford Kolumbus’ Flaggschiff entdeckt hat. Doch er verweist auch auf einen Fund, der zuvor für die „Santa Maria“ gehalten worden war, sich jedoch als Schiff aus einer späteren Epoche entpuppte. Kevin Crisman, Direktor des Zentrums für Unterwasserarchäologie und Konservierung der Universität Texas, gibt sich ebenfalls äußerst vorsichtig und zurückhaltend. Hunderte spanische Schiffe seien vor Hispaniola gesunken. Es werde daher schwer zu beweisen sein, dass es sich bei dem Wrack um die „Santa Maria“ handle.
In Vergessenheit geraten
Als Kolumbus am 20. Mai 1506 in der spanischen Stadt Valladolid starb, war der berühmte Entdecker schon halbwegs in Vergessenheit geraten. Man ließ nicht einmal seinen letzten Willen gelten, in Übersee begraben zu werden. Stattdessen wurde der Leichnam in Spanien beigesetzt.
Schon als junger Mann war Kolumbus von der Idee besessen, über die Westroute nach Asien zu gelangen. Aus Indien und dem Kaiserreich China bezogen die Europäer Gewürze, Seide und andere Reichtümer. Der Vormarsch der Osmanen versperrte ihnen den Landweg nach Fernost. Die Idee von Kolumbus war für die damalige Zeit revolutionär, aber nicht aberwitzig. Unter den Gelehrten hatte sich längst die Ansicht durchgesetzt, dass die Erde eine Kugel ist.
Portugal wollte nicht, Spanien zögerte
Als Kolumbus in Portugal, der wichtigsten Seemacht, seinen Plan dem König darlegte, ging es nicht darum, ob er am Rand der Welt in ein Nichts abstürzen würde. Es ging um konkrete Fragen: Wie lange würde die Überfahrt dauern? Würden die Schiffe genügend Proviant und Süßwasser laden können? Die Portugiesen lehnten es schließlich ab, das Vorhaben zu finanzieren. Sie setzten darauf, über die Route um Afrika nach Asien zu gelangen.
Auch die Spanier zögerten, aber Königin Isabella sagte nach längerem Hin und Her ihre Unterstützung zu. Am 3. August 1492 stach Kolumbus mit drei Schiffen von Palos de la Frontera in See. Am 12. Oktober ertönte der ersehnte Ruf: „Land in Sicht.“ Der Admiral hatte die Neue Welt erreicht und ging auf einer Bahamas-Insel an Land. Wenig später entdeckte er Kuba und schuf auf Hispaniola (heute Haiti und Dominikanische Republik) die erste spanische Kolonie in Übersee. Bei seiner Rückkehr nach Spanien wurde er begeistert gefeiert.
Hölle statt Paradies
Die anderen Reisen verliefen weniger glorreich. Zwar entdeckte Kolumbus noch viele andere Karibik-Inseln und erkundete die Festlandküste Mittelamerikas. Aber aus dem gefeierten Entdecker wurde immer mehr ein Gescheiterter. Die erhofften Reichtümer blieben aus. Als Vizekönig der spanischen Besitzungen erwies er sich als Versager; das erhoffte Paradies in der Neuen Welt wurde zu einer Hölle, in der Gewalt und Krankheiten herrschten. Den Eingeboren, denen die Spanier das Christentum bringen sollten, brachten sie Tod und Versklavung.
Von der dritten der insgesamt vier Entdeckungsreisen kehrte Kolumbus wie ein Krimineller in Ketten nach Spanien zurück. Dort wurde er zwar vom Königshaus halbwegs rehabilitiert, aber seine Zeit war im Grunde um. Er starb in dem Glauben, den Seeweg westwärts nach China und Indien gefunden zu haben. Erst der Florentiner Seefahrer Amerigo Vespucci (1451-1512) lieferte die entscheidenden Anhaltspunkte dafür, dass es sich in Wirklichkeit um einen neuen Kontinent handelte. Nach ihm wurde Amerika dann auch benannt.
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