Der atomare Overthrill
Mutig: Warner hat Gareth Edwards, der bisher erst einen einzigen Spielfilm („Monsters“) gedreht hatte, eine riesige Stange Geld überlassen, damit er mit aufwendigen 3-D-Effekten und einem Ensemble erstklassiger Schauspieler den „Godzilla“-Stoff neu verfilmt.
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Ein heikles Terrain - es gibt wenige Themen, über die sich cineastische Liebhaber von Genrefilmen so gerne auslassen wie über Godzilla. Um es kurz zu fassen: Godzilla ist ein hauptsächlich japanisches Phänomen, mit vielfach geschmähten Hollywood-Ausreißern. Der ersten japanischen Filmfassung von 1954 liegen die Atombombenangriffe auf Japan im Zweiten Weltkrieg und Atomversuche im Pazifik zugrunde. Japan war in Angst vor atomarer Energie. Godzilla versprüht gebündelte radioaktive Strahlen.
Dutzende weitere Filme folgten. Legendär sind die grottenschlechten deutschen Synchronisationen. Nachdem die Filme auf Postern mit anderen in Deutschland populären Monstern (etwa King Kong) beworben worden waren, wurden diese durch falsche Synchronisation in die Handlung integriert. In Japan jedenfalls war Godzilla immer wieder ein Vehikel, um Kritik an der Bedrohung der Natur durch den Menschen anzubringen.
„Biotech is Godzilla!“
Das spiegelt etwa eine eingehende intellektuelle Auseinandersetzung mit der Thematik vonseiten der brasilianischen Heavy-Metal-Boygroup Sepultura aus dem Jahr 1993 wieder: „Biotech, Biotech, Biotech - say what? (...) Biotech, Biotech, Biotech is Godzilla!“ Dann wird es noch konkreter: „Biotech-Firmen scheren sich einen Dreck darum, wenn viele Menschen an dem Zeug sterben, das sie produzieren.“
Auch im neuen Godzilla-Film wird Atomenergie als tödliche Gefahr angeprangert, vor der nur die Helden der US-Armee die Welt retten können. Ansonsten versucht es der Film allen recht zu machen - und überzeugt trotz böser Logiklücken gerade noch. Freude bereitet zunächst das handverlesene Team an Schauspielern. Bryan Cranston, bekannt als Walter aus der Serie „Breaking Bad“, spielt hier wieder einen verstockten Wissenschaftler. Wer „Breaking Bad“ gesehen hat, meint zunächst, ein naher Verwandter erschiene auf der Leinwand. Man wartet ständig, dass Jesse Pinkman um die Ecke biegt und sagt: „Walter, lass uns kochen.“

2014 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. & LEGENDARY PICTURES PRODUCTIONS LLC
Im Hintergrund zu sehen: Godzillas hübscher Rücken
Juliette Binoche irritiert
Aber Walter White heißt hier nicht Walter White, sondern Joe Brody, und ist Atomwissenschaftler, verheiratet mit seiner Kollegin Sandra, gespielt von niemand Geringerem als Juliette Binoche - bekannt aus Filmen der größten Regiestars der letzten 30 Jahre, wie Jean-Luc Godard, Krzysztof Kieslowski, Michael Haneke, Olivier Assayas, Abbas Kiarostami und David Cronenberg. Ihr Auftritt verleitet dazu, tiefergehenden Sinn oder doppelte Böden zu suchen. Aber chancenlos: Der Action-Monsterfilm bleibt ein Action-Monsterfilm ohne jegliche Arthouse-Anklänge, Binoche hin oder her.
Joe und Sandra jedenfalls leben in Japan. Als es nach seltsamen Eruptionen zu einem Atomunfall kommt, den Sandra nicht überlebt, macht Joe sich große Vorwürfe, weil er seine Liebste nicht beschützen konnte. Schnitt. 20 Jahre später. Der Sohn der beiden, Ford, wird von „Kick-Ass“-Star Aaron Taylor-Johnson gespielt, der einzigen „klassischen“ Action-Besetzung. Ford lebt in San Francisco und ist mit Elle verheiratet, die wiederum von Elizabeth Olsen dargestellt wird, die Cineasten aus dem feinen Independent-Hit „Martha Marcy May Marlene“ kennen - eine Hollywood-massentaugliche Schönheit, und dennoch aus dem Charakterfach.
Logiklücken überbrücken
Also: Ford verabschiedet sich von Frau und Kind, um seinen Vater in Japan zu besuchen, der halb paranoid noch immer nach der Ursache für das Atomunglück von damals sucht. Und plötzlich treten wieder ähnliche Eruptionen wie vor 20 Jahren auf. Jetzt ist es an Vater und Sohn, die Welt zu retten, der Vater als Wissenschaftler, der Sohn als ein mit allen Wassern gewaschener US-Militär-Bombenentschärfer. Die Eruptionen entpuppen sich als - was eigentlich?
Der Film hat einige Logiklücken, die man jedoch als Zuseher mit ein wenig Mühe und viel gutem Willen überbrücken kann. Die Eruptionen zum Beispiel dürften irgendetwas mit der akustischen Kommunikationsform zwischen Mutos zu tun haben. Mutos sind Riesenmonster, die seit der Prä-Dinosaurier-Zeit unter der Erde schlafen und auf Radioaktivität als Nahrung angewiesen sind.
Nachwuchs für Familie Muto
Die Natur hat in grauer Vorzeit durch die Erschaffung eines anderen Monsters dafür gesorgt, dass die Mutos nicht die Weltherrschaft übernehmen: Godzilla. Der schwimmt in den tiefsten Tiefen des Meeres herum. Das Ehepaar Muto bekam genügend Radioaktivität durch den Atomunfall in Japan, um nach Tausenden von Jahren aufzuwachen und in Sachen Familienplanung einen entscheidenden Schritt weiterzugehen. Nachwuchs ist unterwegs. Nur, die Menschheit fiebert der Geburt der Babys genauso wenig entgegen wie Godzilla. Die Mutos sind nicht gerade Will und Kate.

2014 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. & LEGENDARY PICTURES PRODUCTIONS LLC
Brian Cranston und Aaron Taylor-Johnson als Vater und Sohn
Das Ganze läuft dann so: Godzilla ist der Gute und jagt die Mutos. Die Menschen jagen nicht nur die Mutos, sondern auch Godzilla, weil sie nicht wissen, dass er der Gute ist. Beziehungsweise wollen die Experten (darunter, wie immer großartig, Sally Hawkins als Dr. Vivienne Graham) auf den Einzigen, der das durchblickt, nicht hören: Dr. Ishiro Serizawa, dargestellt von Ken Watanabe („Der letzte Samurai“, „Inception“). Das eigentliche Problem ist dabei gar nicht der Kampf zwischen Godzilla und Familie Muto. Auch nicht der Wunsch der Mutos nach der Weltherrschaft oder ihr Hunger nach atomarem Technik-Schnickschnack.
Achtloses Herumtapsen
Das eigentliche Problem scheint die Rücksichtslosigkeit Godzillas und der Mutos zu sein. Sie alle sind riesengroß, und wo sie tollpatschig drüberstapfen, wächst kein Gras mehr. So werden aufgrund des achtlosen Spazierengehens halbe Städte zerstört. Hochhäuser fallen um wie Dominosteine, wenn „Godzi“ sie im Vorbeigehen streift. Seinen Schwanz hat der Gute auch nicht ganz im Griff. Und die US-Armee ist mit ihren Flugzeugen, Bomben und Kanonen wie gewohnt nicht zimperlich, was Kollateralschäden betrifft.
In einem der von Godzilla im Vorbeigehen zerstörten Hotels läuft noch das Radio, es spielt einen Song von Elvis: „Walk like an angel, (...) You’re the devil in disguise (...).“ Ein als Engel getarnter Teufel also. Mehr solcher Momente mit Augenzwinkern wären wünschenswert gewesen, dafür weniger Soldatenheldenkitsch. Für den entschädigen jedoch die feinen 3-D-Animationen, unterstützt von wummernden Bässen, die den Kinosaal und den Brustkorb erzittern lassen. Der Kampf der Giganten ist „breathtaking“ im Wortsinn. Und diesem Ensemble an Schauspielern sieht man ohnehin gerne zu, wobei auch immer.
Simon Hadler, ORF.at
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