Von Transparenz bis Zinspolitik
Der europäische Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Jean-Claude Juncker, und sein Konkurrent Martin Schulz von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), haben sich Donnerstagabend in ihrem von ORF und ZDF veranstalteten TV-Duell Donnerstagabend in Berlin einen sachlichen und fairen Schlagabtausch geliefert.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
In vielen Positionen waren sich die beiden altgedienten EU-Politiker einig, doch auch einige Unterschiede in entscheidenden Fragen für die EU und ihre künftige Ausrichtung kristallisierten sich in der harmonisch verlaufenen Konfrontation heraus. Juncker stehe für ein Europa, das hinter verschlossenen Türen tage, so Schulz. Er hingegen stehe für mehr Transparenz. Er habe Schulz hinter verschlossenen Türen kennengelernt, konterte Juncker. Doch auch Juncker war der Meinung, dass Europa mehr Transparenz brauche.

APA/AP/Markus Schreiber
ZDF-Moderator Peter Frey, Martin Schulz, Jean-Claude Juncker und ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher
Geschäftsbanken hätten die letzte Krise verursacht, so Schulz, die nur durch Niedrigzinspolitik der EZB zu retten gewesen sei. Die Banken sollten, wenn sie so billig Geld bekämen, mit dem sie dann spekulierten und Gewinne von sechs, sieben Prozent erhielten, die Zinsen für die Sparer erhöhen.
Duell um Posten als EU-Kommissionspräsident
Die beiden Politiker sind die aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Der Nachfolger des Portugiesen Jose Manuel Durao Barroso wird vom Europaparlament gewählt. Die Europawahl findet am 25. Mai statt. Die Fragen wurden neben ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher und ZDF-Chefredakteur Peter Frey auch aus dem Publikum gestellt sowie von TV-Zuschauern über die Sozialen Medien Facebook und Twitter.
Streit über Steuerflucht von Großkonzernen
Juncker sprach sich für eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung in der EU aus. Es müsse dafür gesorgt werden, dass „Betriebe und Großkapital nicht von einem Steuersystem ins andere hüpfen können“, um sich die günstigsten Bedingungen auszusuchen, sagte Juncker. Deswegen brauche es in den EU-Staaten eine „koordinierte, wenn nicht harmonisierte“ Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen. Er sei aber weiter für einen Steuerwettbewerb der Länder. Allerdings offensichtlich auf einem angeglichenen Niveau. Ein Steuerwettbewerb sei auch nicht zu verhindern.
„Entschieden anderer Meinung“ war hingegen Schulz. „Da werden Betriebe verlagert in ein Land, weil die Steuern niedriger sind.“ Davon hätten die Bürger die Nase voll. „Der gegenseitige Wettbewerb der Staaten um die niedrigste Steuer bringt nur einem Gewinn: den großen Kapitalbesitzern“, sagte Schulz. Er sprach sich dafür aus, dass dort, wo die Gewinne anfielen, auch besteuert werde, um eben jene „Steuerflucht“ der Großkonzerne zu verhindern.
Ukraine: Verhandlungen und Sanktionen
In der Frage der Ukraine setzen beide EU-Politiker auf die Diplomatie und sprachen sich dezidiert gegen einen Militäreinsatz aus. Im Konflikt mit Moskau sprachen sich sowohl Juncker als auch Schulz für Verhandlungen aus, schlossen Sanktionen aber nicht aus. Juncker forderte eine EU-weite Solidarität, wenn etwa einige Mitgliedsländer härter als andere von den Folgen der Wirtschaftssanktionen getroffen würden. Auch an der Freizügigkeit von Arbeitnehmern etwa aus Osteuropa wollen beide nicht rütteln.
Gegen baldige EU-Erweiterung
Beide Politiker lehnten die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in die Europäische Union in den kommenden Jahren ab. „In den nächsten fünf Jahren wird weder die Ukraine noch ein anderes europäisches Land der EU beitreten können“, sagte Juncker. „Es wird in den nächsten fünf Jahren kein 29. Mitgliedsland der Europäischen Union geben“, fügte der Luxemburger hinzu. „Ich glaube, dass wir in absehbarer Zeit keine Erweiterungsrunden verkraften werden“, sagte Schulz, aktuell Präsident des Europaparlaments. Dazu seien die Menschen in den EU-Mitgliedstaaten derzeit nicht bereit.
Schulz kritisierte, dass das EU-Kandidatenland Türkei derzeit dabei sei, sich aus dem Beitrittsprozess „zu verabschieden“. Auch Juncker kritisierte die Regierung in Ankara. „Die Türkei ist nicht beitrittsreif.“ Die Verhandlungen mit dem Land sollten aber weiterhin geführt werden, trotz aller aktueller Kritik an der rechtsstaatlichen Lage in dem Land, sagte der frühere luxemburgische Regierungschef und Ex-Chef der Euro-Gruppe. Auf die Einigkeit in einigen Fragen angesprochen, sagte Juncker: „Ich verstehe Wahlkampf nicht als das Organisieren von Massenschlägereien ohne Grund.“
Schulz will mehr Frauen in EU-Kommission
Schulz forderte, die künftige EU-Kommission zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Im Falle einer Wahl zum Kommissionspräsidenten werde er es nicht akzeptieren, wenn die Regierungen der Mitgliedsstaaten nur männliche Kandidaten nach Brüssel schickten. „Ich will eine Kommission, die zur Hälfte aus Männern und Frauen besteht“, sagte Schulz. Erstmals streiten sich zwei Spitzenkandidaten um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Ob aber wirklich einer der beiden das wichtigste Amt in der EU übernimmt, ist noch längst nicht ausgemacht.
TV-Hinweis:
ORF III überträgt am 15. Mai ab 21.00 Uhr die Diskussionsrunde der Spitzenkandidaten aller europäischen Parteien für den Kommissionsvorsitz.
Jugendarbeitslosigkeit und stabile Finanzen
Die Staats- und Regierungschefs müssen das Ergebnis der Europawahl am 25. Mai berücksichtigen, mehr nicht. Wer das Ergebnis nicht akzeptiere, „verübt einen Anschlag gegen die europäische Demokratie“, so Schulz. Und Juncker warnt vor einer institutionellen Krise, wenn das Ergebnis der Wahl nicht akzeptiert wird.
Was denn das allerwichtigste Ziel sei im Amt des Kommissionspräsidenten, wurden die beiden zum Abschluss noch gefragt. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, sagt Schulz. Dauerhaftes Wachstum und stabile Staatsfinanzen, meint Juncker.
Links: