„Eine erhebliche Verantwortung“
Der Sammler Cornelius Gurlitt hat seinen millionenschweren umstrittenen Bilderschatz dem Kunstmuseum in Bern vermacht. Das bestätigte das Museum am Mittwoch. Die Nachricht sei für das Museum „wie ein Blitz aus heiterem Himmel“ gekommen, hieß es in einer Mitteilung des Museums.
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Es hätten vorher nie Beziehungen zu Gurlitt bestanden, so die Mitteilung. Stiftungsrat und Direktion des Museums seien dankbar und freudig überrascht. Das Vermächtnis bürde ihnen aber auch „eine erhebliche Verantwortung und eine Fülle schwierigster Fragen auf“. Dabei gehe es um Fragen rechtlicher und auch ethischer Natur.
Man sei am selben Tag vom Rechtsanwalt des am Dienstag verstorbenen Gurlitt informiert worden, dass dieser „die privatrechtliche Stiftung Kunstmuseum Bern zu seiner unbeschränkten und unbeschwerten Alleinerbin eingesetzt“ habe, so die Mitteilung. Mit zahlreichen Werken von Paul Klee, Pablo Picasso, Ferdinand Hodler und Meret Oppenheim gilt das Museum als eine Institution von Weltruf.
Wie viele Werke sind NS-Raubkunst?
Gurlitt, der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der als einer von vier Kunsthändlern Adolf Hitlers für das NS-Regime mit Kunst handelte, war am Dienstag mit 81 Jahren in München gestorben. Er war im Herbst 2011 zufällig ins Visier der Justiz geraten. Bei einer Durchsuchung in seiner Schwabinger Wohnung entdeckten die Ermittler dann im Februar 2012 rund 1.300 Meisterwerke, von denen viele seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galten - darunter Bilder von Picasso, Marc Chagall, Henri Matisse, Max Beckmann und Emil Nolde.

APA/dpa/Marc Müller
Gurlitts Wohnung in Schwabing
Unter dem Verdacht der Unterschlagung beschlagnahmten die Behörden damals die Bilder, von denen mehrere Hundert in die Kategorie NS-Raubkunst fallen könnten. Die Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ geht davon aus, dass 458 Bildern unter NS-Raubkunstverdacht stehen. Gurlitt und seine Anwälte sprachen stets von nur rund 40 Werken. Erst im April hatte die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahmung nach einer Einigung mit Gurlitt wieder aufgehoben.
Dass die Sammlung nach dem Willen Gurlitts ins Ausland gehen soll und nicht in Deutschland bleibt, kam nach Ansicht von Raubkunstexperten nicht überraschend. Gurlitt sei bis zu seinem Tod „empört“ darüber gewesen, wie man mit ihm in Deutschland umgegangen sei, hieß es.
Leichnam wird obduziert
Die Staatsanwaltschaft München will den Leichnam obduzieren lassen, weil eine eindeutige Todesursache nicht habe festgestellt werden können. Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden gebe es allerdings nicht, so Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. „Nach den uns vorliegenden Informationen war zum Todeszeitpunkt kein Arzt dabei“, sagte Steinkraus-Koch. Gurlitts Anwälte hatten dagegen mitgeteilt, Gurlitt sei im Beisein seines Arztes und eines Pflegers in seiner Münchner Wohnung gestorben.
Nur entfernte Verwandte
Gurlitt hat keine eigenen Nachkommen. Seine einzige Schwester verstarb im Jahr 2012. Ihr Mann, der in der Nähe von Stuttgart lebt, soll Kontakte zu Gurlitt unterhalten haben. Außerdem soll es einen mehr als 90 Jahre alten Cousin in Spanien geben, der auch Nachkommen habe. Gurlitt, der auch über Barvermögen verfügt habe, legte den Angaben zufolge fest, dass keiner seiner entfernten Verwandten Anspruch auf Teile der Sammlung bekommen solle.
Nachdem bekanntgeworden war, dass die Sammlung testamentarisch einer Kunstinstitution außerhalb Deutschlands vermacht worden sei, war in den Medien unter anderem mit dem Lentos Kunstmuseum in Linz spekuliert worden. Lentos-Leiterin Stella Rollig dementierte jedoch gegenüber der APA.
Besitzverhältnisse müssen geklärt werden
Das Kunstmuseum in Bern hat nun bis zu einem halben Jahr Zeit, das Erbe offiziell anzutreten. Mit wem soll in der Zwischenzeit verhandelt werden? Bei einem der wertvollsten Bilder des Schwabinger Kunstfundes war eine Einigung mit Gurlitt bereits in greifbare Nähe gerückt: Das Gemälde „Sitzende Frau“ von Henri Matisse soll an die Erben des jüdischen Kunsthändlers Paul Rosenberg zurückgegeben werden.
Gurlitt hatte noch vier Wochen vor seinem Tod eine Vereinbarung mit dem Bund und Bayern geschlossen. Darin sicherte er zu, seine Sammlung von Provenienzexperten untersuchen zu lassen und „faire und gerechte Lösungen“ nach den Washingtoner Prinzipien insbesondere durch Restitution zu ermöglichen. Klar ist unter Rechtsexperten, dass das Museum Bern als Erbe diese eingegangene Verpflichtung des Verstorbenen übernimmt.
Auch die Schweiz hatte 1998 die Washingtoner Erklärung zur Rückgabe von NS-Raubkunst unterzeichnet. Dennoch müssten Anspruchsteller damit rechnen, dass die Verhandlungen mit dem neuen Vertragspartner wieder „bei null“ beginnen, meint der auf NS-Raubkunst spezialisierte Kölner Publizist Stefan Koldehoff.
Schatten auf Salzburger Fund
Offene Fragen gibt es vor allem über jenen Teil der Sammlung, der in einem verwahrlosten Haus in Salzburg sichergestellt wurde. Dieser nach allgemeiner Expertenmeinung weitaus wertvollere Teil der Kollektion fällt nicht unter Gurlitts Vereinbarung mit dem Bund und Bayern. Das heißt diese über 200 Bilder - darunter ein auf eine hohe zweistellige Millionensumme geschätztes Ölgemälde von Monet sowie andere Impressionisten-Werke - sind nicht den Taskforce-Experten zur Untersuchung gegegeben worden.
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