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„Ständig steigende Bedrohung“

Nach acht Tagen Geiselhaft in der Ostukraine sind die internationalen Militärbeobachter, die unter einer OSZE-Vereinbarung die militärische Lage in der Ukraine prüften, wieder in Freiheit. Sie landeten am Samstagabend unversehrt mit einer deutschen Regierungsmaschine auf dem Berliner Flughafen Tegel.

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Dort wurden sie von der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sowie deren Amtskollegen aus Tschechien und Dänemark, Martin Stropnicky und Nicolai Wammen, empfangen. Sie sei „erfüllt von großer Erleichterung“, dass die Männer „unversehrt und wohlbehalten hier gelandet sind“, sagte Von der Leyen in einer kurzen Erklärung.

Das Inspektorenteam, darunter vier Deutsche, war am Vormittag von seinen prorussischen Geiselnehmern auf freien Fuß gesetzt worden. Die Separatisten hatten sie über eine Woche lang in der zuletzt stark umkämpften Stadt Slawjansk in der Gewalt gehabt. Dem Team gehörten auch ein Tscheche, ein Däne und ein Pole an. Fünf Ukrainer, die das Inspektorenteam begleiteten, waren zuvor von der deutschen Bundeswehr nach Kiew gebracht worden. Ein kranker Schwede war schon vor einigen Tagen freigekommen.

Ankunft der OSZE-Beobachter am Berliner Flughafen

Reuters/Fabrizio Bensch

Die Beobachter werden freudig von der deutschen Verteidigungsministerin und ihrem tschechischen und dänischen Amtskollegen begrüßt

„Anspannung war enorm“

Von der Leyen sagte in Berlin-Tegel, sie empfinde tiefe Dankbarkeit für die internationale Kooperation. Die Zusammenarbeit innerhalb der OSZE habe gut funktioniert. Der Leiter des Inspektorenteams, der deutsche Oberst Axel Schneider, berichtete von schweren Kämpfen. Sie seien am Abend zuvor „noch mitten im Feuer“ gewesen. „Wir sind alle sehr, sehr froh. Wir haben unsere Familien gesehen. Das hatten wir gestern Abend so nicht gedacht.“

In einem zuvor bei einem Zwischenstopp in Kiew aufgenommenen und vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Statement sagte Schneider: „Von uns fällt im Moment ein beträchtlicher Druck.“ Und: „Die Anspannung war enorm.“

„Ausgesprochen diszipliniert“

In den vergangenen Tagen habe es für das Team eine „ständig steigende Bedrohung“ gegeben. Nach Beginn der Offensive von Regierungseinheiten gegen die prorussischen Separatisten „kam sprichwörtlich das Feuer von Handwaffen und von Artillerie immer näher. Und wir waren hier zur Untätigkeit verurteilt“. Das Inspektorenteam sei „ausgesprochen diszipliniert“ gewesen. „Das hat uns durch die Tage gebracht.“

Ankunft der OSZE-Beobachter am Berliner Flughafen

Reuters/Fabrizio Bensch

Die Erleichterung über das gute Ende des Geiseldramas ist Schneider bei der Ankunft in Berlin anzusehen

Auch der polnische Offizier in der Gruppe zeigte sich nach seiner Rückkehr erleichtert. „Es gab viele Momente, in denen ich mich bedroht gefühlt habe“, sagte Major Krzysztof Kobielski einem Reporter des polnischen TV-Senders TVN24. Es sei schwierig davon zu sprechen, „Gast“ zu sein, wenn man die ganze Zeit von Männern mit Gewehren in der Hand bewacht werde, meinte Kobielski. Die Separatisten hatten wiederholt betont, ihre Geiseln seien bei ihnen „zu Gast“.

Dass sich die Militärbeobachter mehrfach in Lebensgefahr gefühlt hätten, berichtete der tschechische Offizier. Die Bewacher hätten vor den mit verbundenen Augen auf dem Boden Sitzenden immer wieder hörbar mit ihren Waffen gespielt. Auch hätten sie mehrfach gedroht, ihre Opfer als lebende Schutzschilde einzusetzen.

Steinmeier: „Schwierige Verhandlungen“

Steinmeier hatte zuvor betont, die Verhandlungen zur Freilassung der Männer seien „schwierig“ gewesen und seien „mehrfach auf der Kippe“ gestanden. Die Milizen hatten die Geiseln als „Kriegsgefangene“ bezeichnet und ursprünglich einen Austausch mit inhaftierten Gesinnungsgenossen gefordert. Nach Angaben des Sondergesandten von Russlands Präsident Wladimir Putin, Wladimir Lukin, fand aber kein Gefangenenaustausch statt. Die Freilassung sei ein „humanitärer Akt des guten Willens“.

US-Außenminister Kerry sagte, die USA seien „sehr zufrieden“. Die Freilassung der OSZE-Inspektoren sei „ein Fortschritt“ in der Ukraine-Krise.

Prorussischer Milizführer Vacheslav Ponomarev

AP/Alexander Zemlianichenko

Der prorussische Milizenführer von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow

Kreml: Keine russischen Soldaten in Ostukraine

Prorussische Milizen halten in zahlreichen Städten im Osten der Ukraine Polizeiwachen und Regierungsgebäude weiter besetzt. Kiew und die westlichen Staaten werfen Moskau vor, die Aktionen zu steuern und mit eigenen Spezialkräften zu unterstützen, um wie auf der ukrainischen Halbinsel Krim die Abspaltung der Region vorzubereiten. Russlands Präsident Wladimir Putin gab zwar inzwischen zu, dass auf der Krim russische Soldaten im Einsatz waren, doch beharrt der Kreml weiter darauf, dass dies im Osten der Ukraine nicht der Fall sei.

US-Außenminister John Kerry forderte Moskau am Samstag erneut auf, mehr zu tun, um die Spannungen in dem Land abzubauen. Konkret verlangte Kerry, der Kreml müsse seine „Unterstützung für die Separatisten“ in der Ostukraine aufgeben. In einem Telefongespräch mit Kerry forderte der russische Außenminister Sergej Lawrow umgekehrt die USA auf, „das Regime in Kiew zu zwingen“, den Militäreinsatz in der Ostukraine zu stoppen. Die ukrainische Regierung führe einen „Krieg gegen das eigene Volk“.

Sorge nach Eskalation in Odessa

In der Schwarzmeerstadt Odessa im Süden des Landes war die Gewalt am Freitag eskaliert. Bei Straßenschlachten zwischen Anhängern der Regierungen in Kiew und Moskau sowie einem Brand in einem Gewerkschaftshaus wurden mindestens 42 Menschen getötet, der Großteil von ihnen prorussische Demonstranten. Übergangspräsident Oleksander Turtschinow ordnete zum Gedenken an die Opfer an eine zweitägige Staatstrauer. Die Übergangsregierung in Kiew sprach von „krimineller Brandstiftung“. Nach Ansicht Kiews wurde die Gewalt durch prorussische Demonstranten aus dem nahegelegenen benachbarten Moldawien provoziert. Die meisten der bisher identifizierten Opfer stammen demnach von dort.

Die EU rief am Samstag alle Seiten zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ auf. Die „Tragödie“ dürfe nicht instrumentalisiert werden, um den Konflikt im Osten der Ukraine weiter anzuheizen und noch „mehr Hass, Spaltung und sinnlose Gewalt“ zu schüren, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Samstag in Brüssel. Ashton forderte zudem eine „unabhängige Untersuchung“ des Brands.

Kurz ruft zur Deeskalation auf

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der zuletzt am 30. April als Vorsitzender des Europarates in Kiew mit Regierungsvertretern zusammengetroffen war, zeigte sich am Samstag erfreut über die Freilassung: „Angesichts der dramatischen Entwicklungen vor Ort müssen unsere obersten Prioritäten Dialog und Deeskalation sein. Wir dürfen nicht weiter in eine Gewaltspirale abrutschen.“ Das Genfer Abkommen müsse „jedenfalls vollständig umgesetzt werden“.

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