„Vieles hat sich nicht realisiert“
Die Historikerinnen Christa Hämmerle und Birgitta Bader-Zaar beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema Geschlechterforschung im Ersten Weltkrieg. Im Gespräch mit ORF.at erklärten sie, warum sich die Frauen das Wahlrecht nicht erkämpft haben, was Männer verunsicherte und warum es keine Kriegsheldinnen gibt.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
ORF.at: Sie schreiben im Vorwort Ihres Buches „Heimat/Front“, dass Historiker es lange als wenig lohnend sahen, sich in einem so männlich dominierten Feld wie der Militärgeschichte mit dem weiblichen Einfluss zu beschäftigen. Was interessiert Sie an den weiblichen Aspekten?

ORF.at/Carina Kainz
Christa Hämmerle (l.) und Birgitta Bader-Zaar
Hämmerle: Dass Frauen nur am Rande behandelt werden, hat sich bis heute gehalten. Zum Beginn der Forschung Anfang der 1990er musste die Frauengeschlechtergeschichte erst aufzeigen, wie relevant die Kategorie Geschlecht oder die Situation der Frauen ist. Geoffrey Best (britischer Historiker, Anm.) hat noch in den 80er Jahren in seiner großen Sozialgeschichte des Militärs gesagt: „Mit Frauen müssen wir uns nicht befassen, weil das für uns nicht relevant ist.“
ORF.at: Der Erste Weltkrieg wird gerne als die Wiege der Emanzipationsbewegung bezeichnet. Kann man das heute noch so sagen?
Bader-Zaar: Die Bewegung von Frauen für gleiche Rechte ist viel älter als der Erste Weltkrieg. Seit Ende des 18. Jahrhunderts setzten sich Frauen aktiv für ihre Rechte ein. Während des Krieges waren die Zeitgenossinnen loyal gegenüber dem Staat, patriotisch, und hofften, Anerkennung als gleichberechtigte Bürgerinnen zu finden.
ORF.at: Wie haben die Frauenverbände, die vor 1914 bereits sehr aktiv waren, auf den Krieg reagiert?
Hämmerle: Auch die Frauenverbände haben sich ganz in den Dienst des Staates gestellt. Das haben Frauenverbände in allen kriegsführenden Ländern gemacht. Das heißt aber nicht, dass sie ihre Ziele wie das Frauenwahlrecht aufgegeben haben.
ORF.at: Haben sich die Frauen ihr Wahlrecht also selbst erkämpft?
Bader-Zaar: In einigen Ländern wurde das Frauenwahlrecht nach dem Krieg eingeführt. Wenn man sich das aber genauer ansieht, sieht man, dass das eher mit einer gewissen politischen Konstellation zu tun hatte und Politiker eigentlich gar nicht interessiert waren, Frauen die vollen Rechte zu geben. England ist ein gutes Beispiel, wo Frauen erst ab 30 das Wahlrecht bekommen haben und sie politisch nicht den Einfluss ausüben konnten, wie sie es sich vielleicht gedacht hatten.

ORF.at/Carina Kainz
Bader-Zaar im Interview mit ORF.at
ORF.at: In Österreich bekamen die Frauen am 12. November 1918 das gleichberechtigte Wahlrecht. Waren die Frauen hierzulande besser organisiert?
Bader-Zaar: In Österreich und Deutschland war es anders, da es hier einen revolutionären Umbruch gegeben hat. Dieser war zwar die Folge des Krieges, aber dass das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, hat mit der politischen Macht der Sozialdemokratie zu tun und steht nicht wirklich im Konnex mit der Frauenbewegung. Viele Dinge, die sich Frauen erwartet haben, wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder Familienreform, haben sich nicht realisiert.
ORF.at: Dennoch haben Frauen während des Krieges viele neue Aufgaben übernommen. Sie wurden im Berufs- wie im Gesellschaftsleben sichtbarer. Wie reagierten die Männer darauf?
Hämmerle: Aus der Feldpost kann man sehen, dass es zu Konflikten kommt. Die jahrelange Trennung führte zu Unsicherheiten, sowohl beim Mann wie auch bei der Frau. Die Feldpost funktionierte oft mangelhaft, und es kommt zu Überlegungen, ob er oder sie mich vergessen hat. Aber es kommt auch zu einem Neuaushandeln, weil Frauen an der Heimatfront selbstständige Entscheidungen treffen. Überall dort, wo es die familiäre Oberhoheit des Mannes, des Vaters tangiert, kommt es zu Konflikten. Das sind aber immer Fallstudien. Das lässt sich schwer auf einen Nenner bringen.

ORF.at/Carina Kainz
ORF.at: Zehntausende Österreicherinnen waren für das Militär als Krankenschwestern oder Helferinnen an der Front. Ihre Rolle wird weder in Denkmälern noch in der Nachkriegsliteratur gewürdigt.
Hämmerle: Die ersten Erinnerungsbücher von Frauen erscheinen erst im Faschismus. Aus den 1920er Jahren habe ich keine einzige in Österreich publizierte Lebenserinnerung gefunden, die durch einen Verlag publiziert worden ist. Es gibt bis auf den „Engel von Sibirien“, die bekannte schwedische Krankenschwester (Elsa Brändström arbeitete in einem russischen Gefangenenlager, Anm.), kaum bekannte Figuren. Aber auch in den Siegernationen wie England oder Frankreich wurden nur manche Frauen heroisiert. Die Masse wird nicht erinnert.
ORF.at: Warum wurden die Traumata der Frauen ausgeblendet?
Hämmerle: Das wollte niemand hören. Es wollte aber auch niemand hören, was traumatisierte Soldaten zu sagen hatten. In der österreichischen Erinnerungskultur haben sich nach einem anfänglich sehr kontroversen und auch pazifistischen Klima Erinnerungskämpfe abgespielt. Die Sozialdemokratie macht sich zur Verwalterin des Kriegserlebnisses der Mannschaftssoldaten. Da gibt es viel Disput. Den Deutungskampf gewinnen die gesellschaftlichen Eliten, die Kirche, die Offiziere, die rechten Parteien, die Heimwehr.
ORF.at: Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?
Hämmerle: Das Frauen vergewaltigt wurden, wurde nach dem Krieg nicht breit debattiert. Für Österreich-Ungarn gibt es da fast nichts dazu. Auch über Prostitution, aber auch einvernehmliche Beziehungen, die ja auch in verändertes sexuelles Verhalten und Vorstellungen gehören, weiß man wenig. Die internationale Weltkriegsforschung hat schon viel gemacht. Für Österreich-Ungarn haben wir einen völlig unbefriedigenden Forschungsstand.
Bader-Zaar: Das betrifft auch die Ostfront. Deshalb wollten wir im Buch „Gender and the First World War“ hier einen Schwerpunkt legen. Es war aber schwer Material zu finden. Frauenbewegung im Krieg und Wahlrecht - das war alles bekannt. Über Erfahrungen von Frauen im Krieg und neue Themen gibt es wenig.
Interview: Gabi Greiner, ORF.at