Ruf nach Internationalem Strafgerichtshof
Der Menschenrechtsrat der UNO (UNHCHR) hat sich am Montag in Genf mit der Lage in Nordkorea befasst. Dabei wurden die bisher wohl schwersten Vorwürfe gegen das Regime von Diktator Kim Jong Un erhoben. Wegen systematischen Terrors gegen die eigene Bevölkerung müssten die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden, forderte der von der UNO beauftragte Sonderermittler.
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Die von den politisch Verantwortlichen um Kim verübten Verbrechen seien „mit jenen der Nazis, des Apartheid-Regimes (bis 1994 in Südafrika, Anm.) und der Khmer Rouge (Kambodscha 1975 bis 1978, Anm.) vergleichbar“, wurde Michael Kirby, der gleichzeitig Leiter der UNO-Expertenkommission zu Nordkorea ist, am Montag zitiert. Nicht nur der Vergleich mit den Verbrechen der Nazis ist drastisch: Die Terrorherrschaft der maoistisch-nationalistischen Roten Khmer hatte nach Schätzungen mehr als zwei Mio. Menschenleben gefordert.
Die UNO rief Kirby dazu auf, die von Pjöngjang begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Die Partei- und Staatsführung sei direkt für Verbrechen wie systematische Folter und massenhafte Morde verantwortlich zu machen, fügte er hinzu.
China bremst Sanktionen
Nach dem Nazi-Terror habe die Welt einst gesagt: „Niemals wieder!“ Auch deshalb dürfe sie angesichts der Verbrechen in Nordkorea nicht länger gleichgültig zuschauen. Kirby sprach sich dafür aus, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag mit Ermittlungen gegen die nordkoreanische Führung zu beauftragen.
Dass der Menschenrechtsrat tatsächlich eine Resolution mit einer entsprechenden Aufforderung an den UNO-Sicherheitsrat verabschieden könnte, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Forderung stieß schon bisher auf den Widerstand Chinas und einer Reihe afrikanischer Staaten, die den Gerichtshof nicht anerkennen.
Berichte über 120.000 Lagerhäftlinge
Kirby präsentierte den 47 Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates - unter ihnen auch Österreich - offiziell den umfangreichen Bericht seiner Untersuchungskommission. Darin heißt es, Nordkorea sei ein totalitärer Staat, in dem mutmaßliche Oppositionelle systematisch ermordet oder als Arbeitssklaven missbraucht, gefoltert, vergewaltigt und ausgehungert werden. Dazu betreibe das Regime Straflager mit derzeit bis zu 120.000 Gefangenen.
Inhalte des Berichts waren schon im Februar bekanntgeworden, nachdem ihn der Menschenrechtsrat in Auszügen veröffentlicht hatte. Auch die BBC veröffentlichte einige Passagen daraus. Nordkorea begehe „systematische und weitreichende“ Menschenrechtsverletzungen, von denen viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien, hieß es. Pjöngjang betreibe die Vernichtung, Versklavung und das Aushungern der eigenen Bevölkerung. „Unvorstellbare Grausamkeiten“ seien praktisch ohne Entsprechung in der derzeitigen Welt.

Reuters/Denis Balibouse
Der Bericht wurde vom Leiter der UNO-Kommission, Michael Kirby, erstmals im Februar präsentiert
Neben einer Anklage schlug die Expertenkommission auch noch andere Maßnahmen gegen das Regime vor, darunter gezielte Sanktionen gegen einzelne Funktionäre, die im Verdacht stehen, sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht zu haben. Von generellen Sanktionen raten die Experten unter Hinweis auf die Notlage der Bevölkerung ab. Die international weitgehend isolierte kommunistische Volksrepublik kämpft in regelmäßigen Abständen mit Lebensmittelengpässen.
Erschreckende Details
Der Untersuchungsbericht ist beispiellos detailliert: Zwar durften die Ermittler nicht selbst in den abgeschotteten Staat einreisen, schrieb die BBC vergangenen Monat. Als Auskunftsgeber dienten Dutzende Exilanten und Flüchtlinge, die sich in Städten wie Seoul, Tokio, London und Washington aufhalten und über ihre Erfahrungen mit dem Regimeterror in Pjöngjang berichteten.
Deren Angaben zufolge sind Zehntausende politische Gefangene teilweise seit vielen Jahren in Lagern inhaftiert. Ein Exilnordkoreaner erzählte von einer Mutter, die gezwungen worden sei, ihr Baby zu ertränken. Außerdem wurde geschildert, dass eine ganze Familie gefoltert worden sei, weil sie sich im TV eine ausländische Seifenoper angeschaut haben soll. Generell zeichnet der Bericht ein Bild einer vollkommen entsolidarisierten Gesellschaft - hervorgerufen von der totalen Überwachung durch das Regime.
Persönlicher Brief an Kim
In dem in UNO-Auftrag erarbeiteten Dossier wird auch die Verweigerung grundlegender Freiheiten wie die der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Entführung von Bürgern aus Südkorea und Japan angeprangert. Die Untersuchung mit der im Mai 2013 eingesetzten Kommission war die erste ausführliche im Auftrag der UNO zur Menschenrechtslage in Nordkorea.
„Die Schwere, das enorme Ausmaß und die Art und Weise der in diesem Staat begangenen Verbrechen sind in der heutigen Welt beispiellos“, erklärte die Untersuchungskommission. Nordkorea sei eindeutig ein „totalitärer Staat“, in dem das Regime für eine Reihe von Verbrechen verantwortlich sei: Aufgezählt werden „Ausrottung, Mord, Versklavung, Folter, Haft, Vergewaltigung, erzwungene Abtreibungen“ sowie zahlreiche weitere Verbrechen - etwa Zwangsumsiedlungen und das Aushungern von Bevölkerungsgruppen.
In einem separaten Brief an den nordkoreanischen Diktator schrieb Kirby, Spitzenfunktionäre des Regimes würden schwerste Verbrechen „unter der effektiven Kontrolle“ des Staats- und Parteichefs begehen. Die Kommission setze sich für die strafrechtliche Verfolgung aller Verantwortlichen ein - „darunter möglicherweise auch Sie selbst“, hieß es in dem Schreiben. Der nach unterschiedlichen Angaben 30 bzw. 31 Jahre alte „Oberste Führer“ und Chef der Partei der Arbeit hatte sein Amt von seinem Ende 2011 verstorbenen Vater Kim Jong Il übernommen.
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