Gericht sieht Korruption als erwiesen an
Der frühere Innenminister und EU-Abgeordnete für die ÖVP, Ernst Strasser, ist am Donnerstagabend im Wiener Straflandesgericht wegen Bestechlichkeit zu dreieinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt worden.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Schöffensenat (Vorsitz: Helene Gnida) legte außerdem ausdrücklich fest, dass die Fußfessel für Strasser für die Hälfte der verhängten Strafe ausgeschlossen ist. Dieser Ausspruch ist vom Gesetz dann vorgesehen, wenn nach Ansicht des Gerichts die Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest nicht ausreicht, um den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten oder generalpräventive Gründe bzw. das Nachtatverhalten der Fußfessel entgegenstehen.

APA/Helmut Fohringer
Strasser und sein Anwalt Kralik
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, hieße das im konkreten Fall, dass Strasser jedenfalls 21 Monate absitzen muss, ehe er die Fußfessel beantragen kann. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Verteidiger: Enttäuschung
Verteidiger Thomas Kralik legte dagegen umgehend Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein. Strasser selbst wollte seine neuerliche Verurteilung nicht kommentieren. Kralik sprach in einer ersten Reaktion von einer „Enttäuschung“, gab sich aber zuversichtlich, dass auch dieses Urteil nicht halten wird. Es sei „erstaunlich, dass das Erstgericht die Vorgaben des OGH nicht beachtet hat und einfach drübergefahren ist“, meinte der Verteidiger unmittelbar nach der Urteilsverkündung noch im Gerichtssaal.
Die dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe bezeichnete Kralik vor Journalisten als „deutlich überzogen“. Dass der ehemalige Innenminister tatsächlich ins Gefängnis muss, hielt der Anwalt unter Verweis auf seine bereits angemeldeten Rechtsmittel für ausgeschlossen: „Am Ende des Tages ist es natürlich ein Freispruch.“
OGH hob erstes Urteil auf
Strasser hat sich laut Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegenüber zwei als Lobbyisten getarnten Journalisten bereiterklärt, für 100.000 Euro Jahreshonorar Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen. 2013 wurde Strasser deswegen auch wegen Bestechlichkeit zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hob das Urteil aber vergangenen November auf, weil nicht klar genug herausgearbeitet worden sei, dass Strasser das Geld für die Beeinflussung einer konkreten EU-Richtlinie verlangt hat.

APA/Herbert Neubauer
Strasser auch nach der Urteilsverkündigung gelassen
Richterin: Agenten „Schutzbehauptung“
Der Senat sah es als erwiesen an, dass Strasser Geld für die Einflussnahme auf drei konkrete EU-Richtlinien im Sinne der vermeintlichen Lobbyisten gefordert hatte, wie Richterin Gnida ausführte. Strassers Verantwortung, er habe gedacht, bei den „Lobbyisten“ handle es sich um Agenten, wertete der Senat als „Schutzbehauptung“.
Strasser habe als Mitglied des EU-Parlaments und damit als Amtsträger für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil gefordert, indem er ein Honorar von zumindest 100.000 Euro jährlich verlangte. Im Gegenzug habe er zugesagt, auf den legislativen Prozess im Sinne der Auftraggeber Einfluss zu nehmen, erläuterte Gnida.
„Zweck der Umgehung“
Konkret zum Verhängnis wurden Strasser jene - heimlich aufgezeichneten - Gespräche, die er mit den vermeintlichen Lobbyisten am 11. November sowie am 3. Dezember 2010 geführt hatte. Bei ersterem verlangte er nach Ansicht des Gerichts das Honorar, indem er in Brüssel den Journalisten sagte, seine Klienten zahlten ihm üblicherweise für ein Jahr 100.000 Euro. Damit, dass der mögliche Vertrag offiziell mit Strassers Gesellschaft geschlossen werden sollte, sollte der Zweck der Umgehung verfolgt werden, meinte die Richterin außerdem.
Bei einer weiteren Besprechung im Dezember in London habe Strasser erneut das Honorar gefordert, indem er - auf die Konditionen angesprochen - „Wie Sie wünschen“ und „Wenn es etwas zu tun gibt, lassen Sie es mich wissen“ erwidert habe, so die Richterin in ihrer Begründung weiter.
Keine Verurteilung wegen Anlegerschutzrichtlinie
Der Senat habe aufgrund der Vorgaben des OGH ganz genau herausarbeiten müssen, welche Richtlinien der Angeklagte vor Augen hatte. Konkrete „Ausführungshandlungen“ bzw. Beeinflussung ortete der Senat bei einer Richtlinie zur Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektrogeräten, der Elektroschrottrichtlinie und einer Richtlinie zu genetisch verändertem Saatgut.
Nicht verurteilt wurde Strasser im Hinblick auf eine Anlegerschutzrichtlinie. Zwar habe Strasser mehrere Akte gesetzt, um seine ÖVP-Kollegen zu beeinflussen, und es sei eindeutig, dass seine Interventionen etwa bei Othmar Karas (ÖVP) ausschließlich in Verbindung mit seiner Forderung standen, jedoch gebe es keinen Beweis, dass Strasser bereits beim Treffen am 3. Dezember 2010 diese Richtlinie überhaupt kannte.
„Erfundener Geschehensablauf“
Aufgrund der E-Mails, Zeugenaussagen und teils auf Video aufgenommenen Gespräche müsse Strassers Verantwortung, er habe prüfen wollen, ob es sich bei den Lobbyisten um Agenten handle, „als Schutzbehauptung gewertet werden“, erklärte Gnida. Der Senat habe bis zuletzt nicht verstanden, was ein Geheimdienst von Strasser überhaupt hätte wollen. „Als Geisel nehmen? Erpressen? Warum ist das keinem anderen Abgeordneten passiert? Und würde man nicht seine Kollegen und sein Büro warnen und Zeugen zu den Gesprächen mitnehmen?“, stellte die Richterin in den Raum.
Gnida nannte Strassers Verantwortung „lebensfremd“ und ortete bei diesem einen „erfundenen Geschehensablauf“. „Wenn das Kartenhaus im Vorhaus zu bröckeln beginnt und spätestens im Wohnzimmer zusammenstürzt, kann man nur eine Schutzbehauptung konstatieren“, stellte die Richterin fest.
Die Strafdrohung betrug bis zu sieben Jahre - weil Strasser die Taten im Ausland begangen hatte, musste nämlich auf die belgische und britische Rechtsordnung Bedacht genommen werden. Als mildernd wertete das Gericht, dass Strasser bisher unbescholten war. Erschwerend war für den Senat „kein Umstand“, so Gnida abschließend.
Verteidiger: Kein strafbares Verhalten
Ernst Strasser habe „nie im Leben vorgehabt, sich in die EU-Gesetzgebung einzumischen“, auch wenn er den als Lobbyisten getarnten Journalisten etwas anderes vorgemacht habe, hatte Strassers Verteidiger Kralik in seinem Schlussplädoyer gesagt. Strasser habe „kein strafbares Verhalten gesetzt“ und sei daher freizusprechen.
Sein Mandant habe mit den vermeintlichen Lobbyisten zwar EU-Richtlinien besprochen, aber keine Änderungsvorschläge weitergeleitet. Seine Gesprächspartner hätten von ihm auch gar kein „konkretes Amtsgeschäft verlangt“, sagte Kralik. Fazit des Anwalts: „Das ist strafrechtlich nix.“
Technikpanne bei Videobefragung
Am Donnerstagnachmittag hätten jene beiden britischen Journalisten als Zeugen befragt werden sollen, die Strasser in die Falle gelockt hatten. Massive Tonprobleme führten allerdings dazu, dass Richterin Gnida die Befragung abbrach. Die Journalisten sollten per Video befragt werden, die Bildschirme waren im Gerichtssaal so gedreht, dass die Öffentlichkeit sie nicht sehen konnte. Richterin Gnida begründete das mit der weiteren beruflichen Tätigkeit der Undercover-Journalisten.
Die Übertragung bereitete allerdings von Anfang an Schwierigkeiten, es gab massive Ton- und zwischenzeitlich auch Bildprobleme. Die Journalisten Claire Newell und Jonathan Calvert waren so gut wie überhaupt nicht zu verstehen. Richterin Gnida entschied daher nach einer dreiviertel Stunde, die Befragung abzubrechen, da es trotz monatelanger Organisation und mehrtägiger Vorbereitung unmöglich sei, die Zeugen zu vernehmen. Die Journalisten hatten zuvor noch die Aussagen aus der ersten Hauptverhandlung aufrechterhalten, die nun von der Richterin verlesen werden.
In einer der wenigen halbwegs verständlichen Passagen hatte Newell erklärt, man sei bei der Recherche auf Strasser gekommen, weil angedeutet worden sei, dass sich dieser nicht anständig benehme und auch kommerzielle Interessen habe.
Links: