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Kein Recht auf ein Nein

Die internationalen Bemühungen um eine Entspannung in der Ukraine-Krise sind trotz tagelanger hektischer Bemühungen bisher im Sand verlaufen. Russland drohte am Freitag den Westen, Sanktionen mit Gegensanktionen zu beantworten. Zugleich schob Moskau dem Westen die Schuld an der gegenwärtigen Krise zu und warf diesem schwere Fehler vor.

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Die Tatsache, dass das russische Parlament im Eilverfahren die gesetzlichen Grundlagen für einen Anschluss der Krim an die Russische Föderation schaffen will, ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Kreml die Abspaltung der Krim nicht nur als Druckmittel sieht, sondern als reales Ziel verfolgt.

Das Krim-Referendum entpuppt sich indessen bereits jetzt immer mehr als Farce. Wie die „Kyiv Post“ berichtet, haben die am 16. März zur Abstimmung aufgerufenen Bewohner der Krim nur zwei Möglichkeiten: unmittelbarer Anschluss an Russland oder Inkraftsetzen der - von Kiew stets abgelehnten - Verfassung von 1992, die die Krim für unabhängig erklärt. Die Alternative, für einen Verbleib bei der Ukraine zu stimmen, wird demnach gar nicht angeboten.

Nicht anerkannt

Das Regionalparlament, das die weder von Kiew noch international anerkannte Abstimmung organisiert, veröffentlichte am Freitag den Stimmzettel. Die prorussische Regionalregierung, die am 27. Februar die Macht übernahm, will das Referendum abhalten, obwohl der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow dieses als verfassungswidrig bezeichnet und es annulliert hat.

Zwei Möglichkeiten können angekreuzt werden. Die erste Frage lautet: „Unterstützen Sie einen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation als Subjekt der Russischen Föderation?“ Die zweite Frage: "Unterstützen Sie die Wiederherstellung der Krim-Verfassung von 1992 und den Status der Krim als Teil der Ukraine?

Im Februar 1992 hatte das Krim-Parlament die Halbinsel für unabhängig erklärt, das wurde jedoch von Kiew nie anerkannt und die entsprechende Krim-Verfassung annulliert. Im Juni 1992 wurde ein Kompromiss ausgehandelt: Die Krim erhielt mehr Rechte durch den Status einer „autonomen Republik“ innerhalb der Ukraine.

„Es gibt keinen Unterschied“

Wladimir Yavorsky von der Charkow Human Rights Group kritisierst nicht nur das Referendum als völlig illegal, sondern auch das Abstimmungsverfahren. „Es gibt keine Möglichkeit für ein Nein. Gezählt wird nicht die Summe der abgegebenen Stimmen, sondern nur, welche Option mehr Stimmen erhält", so Yavorsky. Außerdem gehe es in der ersten Frage darum, ob die Krim sich Russland anschließen soll und in der zweiten darum, ob sich die Krim für unabhängig erklären soll und dann Russland beitritt. Anders ausgedrückt, es gibt keinen Unterschied.“

Verhärtete Fronten

Doch am Samstag gab sich der Chef der prorussischen Autonomieregierung zu diesem Thema kompromisslos. Das Parlament auf der Halbinsel habe mit seinem Votum, das Volk am 16. März darüber entscheiden zu lassen, den Willen der Krim-Bevölkerung einstimmig umgesetzt, sagte Sergej Axjonow am Samstag laut ITAR-TASS im russischen Fernsehen. „Niemand kann es (das Referendum, Anm.) absagen“, fügte Axjonow hinzu. Das Referendum sei so kurzfristig angesetzt worden, um Provokationen zu vermeiden.

Gleichzeitig bekräftigte die ukrainische Regierung mit Nachdruck ihren Gebietsanspruch auf die Halbinsel. „Die Krim war, ist und bleibt ukrainisch“, sagte Außenminister Andrej Deschtschiza am Samstag in Kiew. Beim Verfassungsgericht der früheren Sowjetrepublik liege eine Anfrage von Übergangspräsident Alexander Turtschinow, ob das Referendum über einen Beitritt der Krim zu Russland vereinbar sei mit den Gesetzen. Deschtschiza forderte die Regierung der Halbinsel auf, nicht länger den Zugang für internationale Beobachter zu blockieren.

Russland zu Aufnahme der Krim bereit

Gut eine Woche vor einem Referendum auf der Krim stellte Moskau der ukrainischen Halbinsel eine Aufnahme in die Russische Föderation in Aussicht. Die Präsidenten beider Parlamentskammern sagten am Freitag ihre Unterstützung zu, sollte die Krim-Bevölkerung in einem Referendum am 16. März für die Abspaltung stimmen. Die Ukraine will eine Abspaltung nicht akzeptieren.

Das russische Parlament steht für die Aufnahme der Krim bereit: „Wenn eine solche Entscheidung bei dem Krim-Referendum getroffen wird, dann wird die Republik zu einem gleichberechtigten Subjekt der Russischen Föderation mit allen Rechten und Vollmachten“, sagte die Chefin des russischen Föderationsrates, Valentina Matwijenko, am Freitag bei einem Treffen mit einer Delegation der Autonomen Krim-Republik.

TV: 30.000 russische Soldaten auf der Krim

Ebenso wie der Präsident des Unterhauses (Duma), Sergej Naryschkin, sprach Matwijenko von einer „historischen Entscheidung“, die die Krim-Bevölkerung zu treffen habe. Sollte die Krim tatsächlich zu Russland gehen, wäre das der erste Anschluss seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion 1991. Bereits am 21. März - also fünf Tage nach dem Referendum auf der Krim - könnte die Duma in Moskau über das Gesetz abstimmen, wie Sergej Mironow von der kremltreuen Partei Gerechtes Russland Freitagabend mitteilte. Das Gesetz bedeutet noch nicht die Aufnahme, sondern schafft nur eine der Voraussetzungen dafür.

Das Regionalparlament der Krim hatte am Donnerstag den russischen Präsidenten Wladimir Putin um die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation gebeten. Zudem wurde beschlossen, das Referendum über die Zukunft der Region auf den 16. März vorzuziehen und zu erweitern. Die rund zwei Millionen Einwohner sollen nun die Wahl haben zwischen einer deutlich verstärkten Autonomie innerhalb der Ukraine und der Eingliederung in Russland.

Karte zur Verteilung von russischsprachigen Ukrainern

APA/ORF.at

Die mehrheitlich von ethnischen Russen besiedelte Krim verfügt bereits seit 1992 über Autonomie. Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow kündigte am Donnerstag an, die Auflösung des Parlaments der Krim in die Wege leiten zu wollen. Auf der Krim sind nach Angaben der ukrainischen Grenztruppen inzwischen 30.000 russische Soldaten. Das berichtet der ukrainische Sender Kanal 5 TV.

Gesetzesentwurf bereits eingebracht

Die EU und die USA verurteilten den Beitrittsbeschluss und die Ansetzung des Referendums als „illegal“. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte Russland vor einer widerrechtlichen Eingliederung der Krim. Es gelte nach wie vor die Aussage von Präsident Putin, dass „keine Annexion beabsichtigt ist“, sagte Steinmeier am Freitag in Berlin.

Der Kreml dagegen teilte mit, Putin habe am Donnerstag bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrats die Aufforderung aus der Krim geprüft. Ein Abgeordneter der Regierungspartei Geeintes Russland erklärte, bereits einen Gesetzesentwurf eingebracht zu haben, der die Aufnahme des Gebiets eines ausländischen Staates erleichtern soll.

Jazenjuk weiter gesprächsbereit

Die Übergangsregierung in der Ukraine setzt unterdessen weiter auf Gespräche. Einen Anschluss der Krim an Russland per Volksentscheid wird nach Darstellung des ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk „niemand in der zivilisierten Welt“ anerkennen. Die Ukraine sei bereit zu Verhandlungen mit Russland. Moskau müsse jedoch seine Unterstützung für Separatisten auf der Krim beenden und seine Soldaten abziehen, sagte er am Freitag in Kiew.

Doch Russland reagierte auf das Gesprächsangebot bisher verhalten. Der Bitte Jazenjuks nach einem zweiten Telefongespräch mit seinem russischen Kollegen Dimitri Medwedew wurde bisher nicht nachgekommen. Russlands Führung lehnt Gespräche mit der amtierenden Regierung der Ukraine ab, die aus ihrer Sicht durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist. Rechtlich sei Viktor Janukowitsch nach wie vor Präsident der Ukraine, heißt es aus Moskau.

Völkerrechtler: Krim zu Abspaltung nicht befugt

Doch so einfach sich Russland einen Anschluss auch vorstellen mag, völkerrechtlich habe das Votum nach Ansicht des deutschen Völkerrechtlers Georg Nolte kein Gewicht. „Das Parlament in Simferopol ist nach ukrainischem Recht ebenso wenig dazu befugt, wie der saarländische Landtag nach deutschem Recht dazu befugt wäre, für einen Beitritt des Saarlandes zu Frankreich zu stimmen“, so Nolte gegenüber der dpa.

Das gelte auch für die geplante Abstimmung der Bürger auf der Krim über einen Beitritt zu Russland. „Wenn eine solche Abstimmung verfassungswidrig organisiert wird und nicht international überwacht ist, dürfte sie auch keine nachhaltige politische Wirkung haben“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht am Freitag.

Ein Russland-Beitritt sei mit dem Völkerrecht nur vereinbar, wenn entweder die Ukraine als Gesamtstaat zustimmen würde - „und zwar nach den Verfahren, die dafür in der ukrainischen Verfassung vorgesehen sind“ - oder die Bevölkerung der Krim ohne militärische Hilfe oder Druck durch andere Staaten zunächst eine eigenständige Staatsgewalt bilden würde. „Beitrittserklärungen von Marionettenregimen werden international nicht anerkannt“, so Nolte.

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