Vom gefeierten Multitalent zum Ketzer
Universalgenie, Vater der modernen Astronomie, begnadeter Ingenieur, Revolutionär: Der Name Galileo Galilei steht für bahnbrechende Erkenntnisse und Aufbegehren gegen die Obrigkeit. Doch Galilei hinterließ der Nachwelt nicht nur ein umfangreiches wissenschaftliches Erbe - auch Alltägliches wie ein Einkaufszettel bringt die Forschung eine Spur näher an das am 15. Februar vor 450 Jahren geborene Multitalent.
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Entdeckt wurde das handschriftliche, laut „Corriere della Sera“ lange unterschätzte Dokument, auf der Rückseite eines Briefes in den Archiven der Nationalbibliothek von Florenz (Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze). Neben Malvasia-Wein, Zucker, Gewürzen wie Pfeffer und Nelken sowie einem Hut für Sohn Vicenzo findet sich auf Galileis Einkaufszettel auch ein Sammelsurium skurril anmutender Utensilien, die es im Zuge einer 1609 anstehenden Venedig-Reise zu beschaffen galt.

Reuters/Marco Bucco
Galileo Galilei wurde am 15. Februar 1564 in Pisa geboren
Initialzündung für moderne Astronomie
Aufgelistet sind etwa Kanonenkugeln, Orgelpfeifen, Tonerde aus Tripolis und Pech aus Griechenland, deutsche Brillengläser, Spiegelscherben, Bergkristall, Eisenschüsseln und Filz. Allesamt Gegenstände, von denen sich Galilei erwartete, eine unmittelbar zuvor bekanntgewordene niederländische Erfindung eines Fernrohrs verbessern zu können. Was folgte, war der Bau eines bis dahin beispiellosen Teleskops, das erstmals tiefe Einblicke auf die Mondoberfläche bis hin zu den Jupitermonden ermöglichte und Galilei dank des 1610 veröffentlichten, als revolutionär betrachteten Werks „Sidereus Nuncius“ („Sternenbote“) über Nacht in ganz Europa berühmt machen sollte.
Galileis Teleskop gilt bis dato als die Initialzündung der modernen Astronomie, und dank der vom Wissenschaftshistoriker Matteo Valleriani entschlüsselten Einkaufsliste verfüge man nun auch über den einzigen Hinweis auf die unmittelbare Entstehungsgeschichte, so der „Corriere della Sera“. Es handle sich um einen einzigartigen Blick auf „Galileos Gedankenwerkstatt“, so das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, das sich zum 450. Geburtstag intensiv dem Thema widmete.
Deutlich werde durch das Dokument etwa, wie Galilei seine theoretischen Erkenntnisse dank umfangreicher praktischer Erfahrungen auch in die Tat umsetzen konnte. Beispielsweise galt es, die für sein Teleskop notwendigen Linsen selbst zu konstruieren, was etwa die von Galilei benötigten Kanonenkugeln erklärt: Nahezu perfekt gerundet wurden diese von Brillenmachern zum Schleifen von Linsen verwendet.
In den Fängen der Inquisition
Galileis zunehmende Popularität blieb unterdessen auch vor den Machthabern im damaligen Italien nicht unentdeckt, und für den in Padua tätigen Mathematikprofessor öffneten sich schon bald ungeahnte Karrieretore. Galilei wechselte zu den Medici nach Florenz, von denen er zum Hofphilosophen ernannt wurde. Selbst Papst Urban VIII. zeigte sich vom gefeierten Wissenschaftler angetan und empfing diesen zu langen Gesprächen in den Vatikan.
Erste Ermahnungen von Kardinal-Inquisitor Roberto Bellarmino deuteten allerdings bereits ein baldiges Zerwürfnis an. Der Grund: Ungeachtet des von der Inquisition erhobenen Zeigefingers trat Galilei immer offener für das kopernikanische Weltbild ein.
1633 wurde Galilei schließlich der Prozess gemacht, er wurde zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Dem Scheiterhaufen entging er dabei nur, weil er vor dem Inquisitionsgericht „seinem Irrtum“ abschwor, wobei er der Legende zufolge gleichzeitig „und sie dreht sich doch“ gemurmelt haben soll.
Feyerabend-Zitat in Parma
„Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen.“ 1990 zitierte der damalige Kurienkardinal Josef Ratzinger bei einer Rede in Parma den österreichischen Philosophen Paul Feyerabend. 2008 sorgte diese Aussage für eine heftige Debatte.
Trotz Rehabilitierung noch rotes Tuch?
Von einem Fehler war schließlich auch im Vatikan die Rede: Nach einem 13 Jahre dauernden Prüfprozess wurde Galilei 1992 - und somit rund 400 Jahre nach dem Urteilsspruch - von Papst Johannes Paul II. rehabilitiert. Mit der Akte Galilei konfrontiert wurde aber auch Karol Wojtylas Nachfolger Joseph Ratzinger, der 2008 als Benedikt XVI. für seine 1990 getätigten Aussagen über Galileis Inquisitionsgericht den Zorn der Studenten an der römischen Universität La Sapienza zu spüren bekam.
Ein Jahr darauf beteuerte mit Gianfranco Ravasi zwar ein gewichtiger Vatikanvertreter: „Die Zeit ist reif für eine Neubewertung der Figur Galilei.“ Von einer anlässlich des damals gefeierten Jahres der Astronomie angekündigten Galilei-Statue in den Vatikanischen Gärten wollte Ravasi gleichzeitig aber nichts mehr wissen - das symbolträchtige Projekt sei, wie unter anderem „Il Giornale“ berichtete, vielmehr wieder ohne großes Aufsehen in den Akten verschwunden.
Peter Prantner, ORF.at
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