Kampflustige Töne nach Referendum
Dass sich die Schweizer Bevölkerung am Sonntag „gegen Masseneinwanderung“ entschieden hat, bringt Brüssel auf die Palme. Dass sich EU-Bürger eidgenössischen Zuwanderungsquoten unterwerfen müssten, widerspreche klar der beidseitig vereinbarten Freizügigkeit und lässt Brüssel mit nicht näher genannten „Konsequenzen“ drohen. Die Schweizer wollen allerdings hart dagegenhalten.
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Innerhalb von drei Jahren muss die Schweizer Regierung den Volksentscheid laut Verfassung in Gesetzesform gießen. Die „Guillotine-Klausel“ in den Verträgen mit der EU wiederum besagt, dass bei Verstoß gegen einen Vertragsbestandteil auch alle weiteren mitfallen: mit der Personenfreizügigkeit etwa auch Erleichterungen beim grenzüberschreitenden Handel, in der Landwirtschaft und im Verkehr. Nach Schweizer Ansicht muss sich die EU davor mindestens genau so fürchten wie die Schweizer.
Auch Konsequenzen für Grenzgänger angedroht
Während die offizielle Schweiz nach dem Referendum mit Kommentaren geizt, jubeln Abgeordnete der rechtspopulistischen Schweizerische Volkspartei (SVP) und sympathisierende Boulevardzeitungen über die „schallende Ohrfeige“ sowohl für den Schweizer Bundesrat, der mehrheitlich gegen die SVP-Initiative war, als auch für Brüssel. Obwohl gerade die Schweizer Wirtschaft vor dramatischen Folgen warnt, sehen die Befürworter des Einwanderungsstopps die Wirtschaftsbeziehungen als Hebel in den bevorstehenden Verhandlungen.
„77 Prozent unserer Importe beziehen wir aus der EU. Stellt sie auf stur, posten wir im Rest der Welt!“, feixte etwa das Boulevardblatt „Blick“ (Onlineausgabe) am Montag. Dass sich die Schweizer Wirtschaft zu einem Gutteil auf billige Arbeitskräfte aus dem Ausland stützt, wollen die Einwanderungsgegner ebenso wenig anerkennen, im Gegenteil: Sogar Konsequenzen für täglich in die Schweiz pendelnde Arbeitskräfte werden angedroht. In Vorarlberg etwa nimmt man derlei Drohungen allerdings gelassen - mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.
„Kommt uns die EU krumm ...“
Selbst über das Verkehrswesen könnte demnach Druck ausgeübt werden: Die Rückkehr von Beschränkungen im Flugverkehr würde vor allem die Lufthansa-Tochter Swiss und damit Deutschland treffen, hieß es. Und beim Autoverkehr wird sogar von der Sperre des Gotthardtunnels für ausländische Lkws und Pkws fantasiert. Darüber hinaus kann die Schweiz aber tatsächlich in jenen Themengebieten Druck erzeugen, in denen sie mit der EU derzeit verhandelt.
Abgesehen von den Abkommen, die über die „Guillotine-Klausel“ gemeinsam mit der Freizügigkeit automatisch fallen würden, geht es zwischen der Schweiz und der EU derzeit vor allem um die Zinsbesteuerungsrichtlinie, über die die Schweiz derzeit als einer von fünf Drittstaaten mit der EU-Kommission verhandelt. „Blick“ kampagnisiert außerdem: „Kommt uns die EU krumm, locken wir mit noch tieferen Steuern noch mehr Unternehmen an!“
Schulz sieht Gefahr in „aufgeheizter“ Stimmung
Die Schweizer Drohungen mögen überzogen und unrealistisch sein - allerdings weiß auch Brüssel, dass für Rechtspopulisten vor allem im Tessin und der deutschsprachigen Schweiz eine Bevölkerungsmehrheit für einen strikt antieuropäischen Kurs zu finden wäre, zum Nachteil aller. Nicht umsonst konstatierte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in einem Interview mit dem deutschen „Spiegel“ (Onlineausgabe) am Montag eine „aufgeheizte“ Stimmung, die die EU nicht noch zusätzlich durch Drohungen belasten sollte.
Kurz gegen Sonderbehandlung der Schweiz
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich unterdessen gegen eine Sonderbehandlung der Schweiz aus. Gefragt nach einem möglichen Modell „Personenfreizügigkeit light“ sagte Kurz der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“, Montag-Ausgabe), dass es nicht möglich sei, „einzelne Rechte und Pflichten zu kippen, und den Rest zu behalten“. Ob es eine Lösung gibt, werde vom Vorgehen der Schweiz und vom „Wohlwollen“ der EU abhängen, so Kurz. Den Konflikt aufzulösen werde jedenfalls „sehr schwierig“.
Auch unternimmt die EU bereits erste Schritte: Als Reaktion auf das Schweizer Votum wurden noch am Montag die Gespräche über einen grenzüberschreitenden Stromhandel ausgesetzt. Neue Verhandlungen seien gegenwärtig nicht abzusehen, sagte eine EU-Sprecherin. Das weitere Vorgehen müsse nun „im größeren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden“. Das Abkommen mit der Schweiz soll einen geplanten Energiebinnenmarkt der 28 EU-Staaten ergänzen.
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