Ban: Leid der Kinder „unaussprechlich“
Die Vereinten Nationen (UNO) werfen Regierung und Opposition im syrischen Bürgerkrieg schwere Kindesmisshandlungen vor. Die Regierung foltere Kinder und Jugendliche und versuche sie als Soldaten anzuwerben, die Opposition rekrutiere Minderjährige in Flüchtlingslagern in den Nachbarländern für den Kampf.
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„Das Leid der Kinder in Syrien seit Beginn des Konflikts ist unaussprechlich und inakzeptabel“, sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon am Dienstag in New York (Ortszeit) bei der Präsentation des Berichts von Ende Jänner. Dabei spiele die vom Westen gestützte Opposition eine unrühmliche Rolle. Sie setze Jugendliche auch bei Kampfhandlungen ein.

Reuters/Hosam Katan
Kinder Ende Jänner in der belagerten syrischen Stadt Aleppo
Erst zwölf Jahre alte Buben würden an Waffen ausgebildet, um als Kämpfer oder Wachen eingesetzt zu werden, heißt es weiter. Aus Mangel an Bildung und Arbeitsmöglichkeiten entschieden sich Minderjährige in Flüchtlingslagern, zu den Waffen zu greifen. „Viele Buben geben an, dass sie es als ihre Pflicht empfunden haben, sich der Opposition anzuschließen“, sagte Ban.
Manche Kinder würden als Schmuggler, Melder oder Köche missbraucht. Andere sollten Waffen reinigen, Munition transportieren oder Leichen begraben. Auch Mädchen seien eingesetzt worden, etwa um Medikamente an die Front zu bringen, „eine Aufgabe mit hohem Risiko“.
Elektroschocks und Ausreißen von Nägeln
„Regierungstruppen sind auch verantwortlich für die Festnahme, eigenmächtige Verhaftung und Misshandlung von Kindern“, heißt es in dem Bericht. Auch Regierungstruppen und regierungstreue Milizen schüchterten immer wieder Jugendliche an Kontrollpunkten ein und drängten sie dazu, sich ihnen anzuschließen, heißt es in dem Bericht.
Die Regierung foltere zudem Kinder und Jugendliche, die Verbindungen zur Opposition hätten. Zum Instrumentarium der Folterer gehörten Schläge, Elektroschocks, auch an den Genitalien, das Ausreißen von Finger- und Zehennägeln, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen und Konfrontation mit der Folter Angehöriger. Dabei seien Schulen und Krankenhäuser in Kerker umgewandelt worden, die „nicht einmal den Mindeststandards“ entsprächen.
Als menschliche Schutzschilde verwendet
Regierungstruppen hätten Zivilisten - unter ihnen gerade auch Kinder - als Geiseln genommen und danach Rebellen zur Kapitulation aufgefordert. Andernfalls hätten Soldaten mit dem Tod der Kinder gedroht. Frauen und Kinder seien als menschliche Schutzschilde während der Offensiven der Regierungsarmee eingesetzt worden.
In Homs hätten Soldaten Kinder aus der Schule geholt und vor sich hergetrieben. Über Lautsprecher hätten sie verkündet, die Rebellen sollten nicht schießen, die Armee habe Kinder dabei. Auch der „unverhältnismäßige und rücksichtlose“ Einsatz schwerer Waffen habe zum Tod vieler Kinder geführt.

Reuters/Thaer Al Khalidiya
Ein Bub auf einer zerstörten Straße in Homs Mitte Jänner
Es ist nicht das erste Mal, dass die UNO Syriens Konfliktparteien Misshandlung von Kindern vorwerfen, noch nie aber wurden so viele Details genannt. In dem Bericht werden Vorkommnisse seit Beginn des Aufstandes gegen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad aufgelistet. Was im März 2011 mit Demonstrationen begonnen hatte, hat sich inzwischen zu einem Bürgerkrieg mit deutlich mehr als 100.000 Toten entwickelt, darunter über 10.000 Kinder.
Über eine Million Kinder geflüchtet
Mehr als zwei Millionen Menschen haben sich in Nachbarländern in Sicherheit gebracht. Darunter sind laut dem jüngsten Bericht des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR von Ende November über eine Million Kinder. „Die Zukunft Syriens - Flüchtlingskinder in der Krise“ ist die erste UNHCR-Forschungsarbeit über syrische Kinder seit dem Ausbruch der Krise.

Reuters/Muhammad Hamed
Kinder vor einem Zelt des UNHCR in einem Flüchtlingslager in Jordanien
Mehr als eine Million syrische Kinder sind laut dem Bericht vor dem Bürgerkrieg ins Ausland geflüchtet. 425.000 von ihnen sind jünger als fünf Jahre. Das UNHCR verzeichnet die höchsten Zahlen von Kinderflüchtlingen im Libanon (385.000), der Türkei (294.000) und in Jordanien (291.000).
Traumatisiert und in zerrissenen Familien
UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres warnte, eine „Generation Unschuldiger“ dürfe nicht „geopfert werden“. Der UNHCR-Direktor für internationalen Flüchtlingsschutz, Volker Türk, wies darauf hin, dass viele Kinder psychisch traumatisiert seien. Das sei an Symptomen wie Schlaflosigkeit, Stottern und Bettnässen abzulesen. Viele wachsen auch in zerrissenen Familien auf. Teils sind Kinder auf sich alleine gestellt. Sie wurden von ihren Eltern getrennt bzw. wurden diese Todesopfer des Bürgerkrieges.
Ein Großteil der Kinder auf der Flucht ist zur Lohnarbeit gezwungen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Sowohl im Libanon als auch in Jordanien gibt es Kinder, die zum Teil nicht älter als sieben Jahre sind und viele Stunden für wenig Geld arbeiten müssen, viele von ihnen unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen, heißt es in einer Aussendung des UNHCR zu dem Bericht.
Einsamkeit, Unsicherheit und Ausgrenzung
Die UNHCR-Studie dokumentiert für viele Flüchtlingskinder auch ein schmerzhaftes Leben voller Einsamkeit, Ausgrenzung und Unsicherheit. Von den interviewten Kindern gaben 29 Prozent an, ihr Zuhause nur einmal in der Woche oder seltener zu verlassen. „Zuhause“ bedeute dabei zumeist ein überfülltes Apartment, eine provisorische Unterkunft oder ein Zelt, so die Aussendung weiter.
Schlecht sieht es auch in den überfüllten Flüchtlingslagern mit dem Schulbesuch der Kinder aus. Ein weiteres schwerwiegendes Problem sei die hohe Anzahl an Kindern, die im Exil geboren werden und keine Geburtsurkunden haben, heißt es weiter. Die Dokumente seien wichtig, um der Staatenlosigkeit vorzubeugen.
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