Munition im Hinblick auf die EU-Wahl
Das Votum einer knappen Mehrheit der Schweizer, die Zuwanderung zu begrenzen, ist bei Rechtspopulisten quer durch Europa mit frenetischem Beifall quittiert worden. Gleichzeitig kritisierten sie die Reaktion der EU auf das Votum scharf. EU-Gegner und Rechtspopulisten erhielten so neue Munition im Hinblick auf die EU-Wahl.
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FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache forderte eine Volksabstimmung über Zuwanderungsbegrenzung nach Schweizer Vorbild auch in Österreich. Von Brüssel verlangte der FPÖ-Chef, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren, „auch wenn sie einem nicht passen“. Einem Vorschlag, dem sich die Rechtspopulisten in Norwegen sogleich anschlossen: „Norwegen sollte auch ein Referendum zur Einwanderung organisieren“, sagte Mazyar Keshvari, ein Sprecher der Fortschrittspartei, am Dienstag in Oslo. Er sei sich völlig sicher, dass „eine Mehrheit für Restriktionen“ zustande kommen würde.
„Wird die EU nun Panzer schicken?“
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders bezeichnete das Abstimmungsresultat via Twitter als „fantastisch“ und schrieb weiter: „Was die Schweizer können, das können wir auch.“ Ebenso erfreut zeigte sich die Französin Marine Le Pen, EU-Parlamentarierin und Parteivorsitzende der rechtsextremen Front National (FN), die twitterte: „Die Schweiz sagt Nein zur Masseneinwanderung, bravo! Wird die EU nun Panzer schicken?“ Die EU-kritische britische UKIP (United Kingdom Independence Party) twitterte, ihr Chef und EU-Abgeordneter Nigel Farage habe das Resultat in der Schweiz als „wundervolle Neuigkeit für die nationale Souveränität“ bezeichnet.
Harsche Reaktionen aus der EU
In der Schweiz stimmten am Sonntag 50,3 Prozent für ein Referendum mit dem Titel „Gegen Masseneinwanderung“. Die Regierung wird damit verpflichtet, binnen drei Jahren Obergrenzen für die Aufnahme von Asylbewerbern und EU-Ausländern festzusetzen. In der EU sorgte das Ergebnis für Irritationen und zur Drohung, im Gegenzug den freien Warenverkehr mit der Schweiz wieder einzuschränken. Frankreich will überhaupt seine „Beziehungen zur Schweiz überprüfen“.
Der französische Außenminister Laurent Fabius hält das Ergebnis der Abstimmung für „paradox“, wickle doch die Schweiz 60 Prozent ihres Außenhandels mit der EU ab. Als „besorgniserregend“ bezeichnete die italienische Außenministerin Emma Bonino das Resultat. „Erhebliche Probleme“ erwartet sich auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel von dem Ergebnis. Es liege nun an der Schweiz, auf die EU zuzugehen und ihr darzulegen, wie sie mit dem Ergebnis umgehen wolle.
Freizügigkeit ist Grundpfeiler
Ob Verträge tatsächlich bedroht sind, lässt die EU noch offen. Jetzt liege „der Ball bei der Schweiz“, betonte die EU-Kommission am Montag. Man wolle nicht über allfällige Maßnahmen der EU spekulieren, so eine Sprecherin der EU-Kommission. Allerdings sei die Personenfreizügigkeit ein Grundpfeiler. Die Gefahr, dass mit der Schweiz ein Präzedenzfall für EU-Mitglieder geschaffen wird, will die EU vehement verhindern.

APA/Margret Schmitt; ORF.at
Auch Großbritannien hatte Forderungen nach Zuwanderungsbegrenzungen erhoben. Darauf wollte die Kommissionssprecherin aber nicht eingehen: „Die Personenfreizügigkeit wird von uns verteidigt. Diese Botschaft bleibt gültig.“ Allfällige Konsequenzen werde man nun analysieren.
EU stoppt Gespräche über Stromabkommen
Erste Hinweise auf solche gibt es bereits: So setzte die EU-Kommission die Gespräche mit der Schweiz über einen grenzüberschreitenden Stromhandel aus. Neue Verhandlungen seien gegenwärtig nicht abzusehen, sagte eine EU-Sprecherin am Montag. „Das weitere Vorgehen muss im größeren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden.“ Das Abkommen mit der Schweiz soll einen geplanten Energiebinnenmarkt der 28 EU-Staaten ergänzen. Die Teilnahme des Alpen-Staates wäre wichtig für die Anbindung von Staaten wie Italien.
Asselborn: Auf keinen Fall nachgeben
Die EU dürfe auf keinen Fall nachgeben, warnte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Montag gegenüber dem SWR. Von dem Votum sind vor allem EU-Bürger betroffen, kommen doch 80 Prozent der Zuwanderer in der Schweiz aus der EU - bei einem gesamten Ausländeranteil von 23 Prozent. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus der EU dürfe nicht „verunstaltet und verwässert werden“, so Asselborn. Ein privilegierter Zugang zum EU-Binnenmarkt sei ohne Personenfreizügigkeit nicht möglich.
Als die Schweiz in den Verhandlungen mit der EU die Freizügigkeit für EU-Bürger akzeptiert habe, „haben wir als Gegenleistung einen freien, privilegierten Zugang zu unserem Markt angeboten“, fügte Asselborn hinzu. „Wenn das eine fällt, fällt natürlich auch das andere.“ In den gegenseitigen Beziehungen werde nun „wahrscheinlich über alles“ diskutiert. „Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen“, sagte auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, der Deutsche Elmar Brok, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montag-Ausgabe).
Konkrete Umsetzung noch offen
Die Schweizer Regierung hat nun drei Jahre Zeit, die Anliegen des Referendums umzusetzen und neue völkerrechtliche Verträge auszuhandeln. Doch wie die Umsetzung konkret aussehen soll, ist noch völlig offen. Die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga kündigte an, künftig die Aufenthaltsbewilligung von Ausländern durch Kontingente zu begrenzen. Wie hoch diese sein sollen, weiß noch niemand.
Albert Rösti von der SVP, die die Initiative zur Volksabstimmung hatte, forderte die Schweizer Regierung auf, die Personenfreizügigkeit mit der EU neu zu verhandeln, ohne die übrigen Abkommen des ersten bilateralen Vertragspakets zu gefährden, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.
Kurz warnt vor politischer Signalwirkung
Laut Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) „gefährdet die Schweiz natürlich das gesamte Vertragswerk mit der Europäischen Union“. Aufgrund der „Guillotine-Klausel“ wären beim Scheitern von nur einem der sieben bilateral geschlossenen Verträge über Bereiche wie Freizügigkeit, Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen die anderen ebenfalls hinfällig und müssten neu verhandelt werden. Nicht betroffen von der gesamten Causa und den sieben in „Bilaterale I“ zusammengefassten Punkten sind Schengen und die Zinsbesteuerungsrichtlinie.
Jenen Österreichern, die derzeit in der Schweiz leben und arbeiten, versicherte Kurz, dass sie vorerst keine Konsequenzen durch das Votum zu befürchten hätten. Kurz warnte aber auch vor der politischen Signalwirkung des Ergebnisses, das auf große Akzeptanz bei vielen rechten und nationalistischen Parteien in Europa stößt. Gerade diese politischen Kräfte würden das Ergebnis „verfälscht“ darstellen, so Kurz.
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