Neue Studie erfasst erstmals alle Toten
Passanten, Kinder, Alte: Die meisten Opfer der Kämpfe 1934 sind Unbeteiligte gewesen. Das zeigt eine Studie von Kurt Bauer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft (LBIHS), der an einer namentlichen Erfassung und damit genauen Zahl aller Todesopfer arbeitet. Die Datenbank wird auf der Website des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) veröffentlicht.
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„Die vorliegenden Angaben über die Opferzahlen des österreichischen Bürgerkriegs weichen stark voneinander ab“, so Bauer im Gespräch mit der APA. Die Bandbreite der bisher veröffentlichten Zahlen reicht von einigen hundert bis mehreren tausend Toten. Denn beide Seiten - der sozialdemokratische Schutzbund und der Verband aus Bundesheer, Polizei und den teils faschistischen, regierungstreuen Heimwehren - hätten Interesse daran gehabt, die Zahlen zu verändern.
Eigene Opferzahlen „nach oben lizitiert“
Die regierungsnahe „Reichspost“ veröffentlichte etwa eine Aufstellung, die 293 Opfer auf beiden Seiten zählte, gab jedoch „nicht geringe Schwierigkeiten“ bei der Zählung zu - denn viele Angehörige von Schutzbund-Opfern hätten eine behördliche Meldung vermeiden wollen. Die durch das Regime von Engelbert Dollfuß ins Exil getriebenen Sozialdemokraten und Kommunisten wollten dagegen möglichst hohe Opferzahlen kommunizieren und gingen von etwa 1.500 bis 2.000 Toten aus.
„Auch aufseiten des Dollfuß-Regimes gab es Tendenzen, die eigenen Opferzahlen nach oben zu lizitieren“, meinte Bauer. Mindestens in drei Fällen lasse sich etwa nachweisen, dass aus dem 1934 errichteten „Denkmal für die Opfer der Exekutive“ auf dem Wiener Zentralfriedhof die Namen von Personen verzeichnet seien, die gar nicht an den Kämpfen teilgenommen hatten, sondern zufällig zu Opfern wurden.
Bis zu 140 getötete „Nicht-Kombattanten“
In dem vom Zukunftsfonds der Republik Österreich finanzierten Forschungsprojekt „Die Opfer des Februar 1934“ versucht Bauer nun, der genauen Anzahl der Opfer nachzugehen sowie eine Kollektivbiografie der Opfer zu erarbeiten. Dafür wertet er sowohl Grabsteine und Gedenktafeln, zeitgenössische Polizeiberichte, Literatur, Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Grab- und Friedhofsverzeichnisse aus. Mitte dieses Jahres sollen die endgültigen Ergebnisse vorliegen und die Datenbank erstellt werden - eine Zwischenbilanz liegt jedoch bereits vor.
Insgesamt zählt Bauer 350 bis 370 Opfer der Februarkämpfe. „Die Todesopfer der beiden Kampfparteien halten sich ungefähr die Waage. Die stärkste Opfergruppe stellen allerdings die Unbeteiligten, also Nicht-Kombattanten, dar, die mehr oder weniger zufällig ins Kampfgeschehen gerieten“, so Bauer. Ihre Zahl liegt bei 120 bis 140 Personen. Die meisten Todesopfer gab es in Wien (200 bis 220), dann folgen Oberösterreich und die Steiermark. Das erklärt sich der Historiker vor allem mit der stärkeren Industrialisierung dieser Bundesländer und der damit höheren Anzahl der Arbeiter.
Ausschreitungen auf beiden Seiten
„Die Februarkämpfe beschränkten sich ausschließlich auf stark industrialisierte Bezirke“, so der Historiker weiter. In Wien war die Anzahl der unbeteiligten Todesopfer besonders hoch - vor allem aufgrund der Kämpfe im dicht verbauten Gebiet. Die Schuldfrage für die vielen Opfer unter Nicht-Kombattanten sieht Bauer auf beiden Seiten gleichermaßen - Ausschreitungen ließen sich sowohl aufseiten der Regierung als auch der Aufständischen nachweisen.
Am 12. Februar 1934 brach der vier Tage währende Aufstand der Sozialdemokraten gegen das Regime von Bundeskanzler Dollfuß aus. Für die Sozialdemokraten war es ein letzter Verzweiflungsschlag ohne Aussicht auf Erfolg. Ihr bewaffneter Flügel, der Schutzbund, war bereits verboten worden, ihre letzte Machtbastion - das „Rote Wien“ - wurde von der Regierung finanziell ausgehungert. Der Generalstreik misslang, der Schutzbund war der Übermacht aus Bundesheer, Polizei und Heimwehren nicht gewachsen.
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