Erdogan und die Gewaltenteilung
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich als starken Mann der Türkei. Als er am Dienstag erstmals seit drei Jahren wieder zu einem Besuch im Ministerrat der EU in Brüssel erschien, sahen ihn seine Gastgeber eher als politisches Sorgenkind. Also führten sie mit ihm ein „offenes und freimütiges Gespräch“, wie es Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso formulierte.
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Seit Erdogan angesichts von Korruptionsermittlungen gegen politische Weggefährten Ende vergangenen Jahres Hunderte von Polizisten versetzt und den Druck auf Richter und Staatsanwälte massiv erhöht hat, wächst die Unruhe bei seinen EU-Gesprächspartnern. Ihre Auffassung, Erdogan verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung, wurde durch dessen Warnung vor einem „Land unter der Herrschaft der Justiz“ nicht gerade ausgeräumt.
Neues „Kapitel“ im November eröffnet
Noch im Dezember hatten sich die mit Erdogan in Brüssel speisenden drei EU-Präsidenten Herman Van Rompuy (Rat), Barroso (Kommission) und Martin Schulz (Parlament) gefreut, dass Ankara und die EU nach jahrelangen Verhandlungen Fortschritte in Richtung visafreier Einreise türkischer Bürger in die EU machten. Und im November hatte man sogar erstmals seit mehr als drei Jahren wieder ein neues „Kapitel“ in den Beitrittsverhandlungen eröffnet - allerdings erst das 14. von insgesamt 35.
Leicht war das nicht gewesen. Schließlich hatte Erdogan im Mai auf dem Taksim-Platz in Istanbul und anderswo prowestliche Demonstranten immer wieder brutal niederknüppeln lassen. Bei einer ganzen Reihe von EU-Regierungen begann man sich zu fragen, wie diese Innenpolitik der verbrannten Erde zu jenen europäischen Werten passt, die künftige ebenso wie derzeitige EU-Mitglieder zu achten haben. EU-Diplomaten befürchten, Erdogan wolle jetzt erneut Langmut und Nachsicht der EU-Regierungen austesten.
Erdogans unorthodoxer Umgang mit Justiz
Die Brisanz der Lage zeigt sich unter anderem darin, dass sich die 28 EU-Außenminister am Tag vor Erdogans Auftritt in Brüssel ganz informell und abseits der Tagesordnung über den unorthodoxen Umgang Erdogans mit Polizei und Justiz seines Landes unterhielten.
„Je mehr die Antworten (der Türkei) ausbleiben, desto schwieriger wird der Umgang mit einer Thematik, die wir eigentlich vom Tisch hatten, nämlich die Eröffnung neuer (Verhandlungs-)Kapitel, die auch für die Türkei wichtig sind“, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Zwar habe niemand dazu aufgerufen, die Beitrittsverhandlungen wieder einzufrieren, doch Steinmeier schwant: „Eine solche Debatte wird man nicht vermeiden können, wenn es nicht zu befriedigenden Antworten kommt.“
Fragen von grundsätzlicher Bedeutung
Das Problem der EU besteht darin, dass es bei den Problemen mit der Türkei nicht um technischen Kleinkram, sondern um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht: Die Bekämpfung der Korruption gehört ebenso zu den Voraussetzungen für eine EU Mitgliedschaft wie eine unabhängige Justiz oder das Recht auf Meinungsfreiheit. Wer das nicht garantieren kann, darf gemäß den 1993 in Kopenhagen beschlossenen Kriterien nicht EU-Mitglied werden.
Die Verhandlungen mit der Türkei sind aber nicht erst jetzt, sondern schon seit ihrem Beginn im Oktober 2005 schwierig. Nur mit Mühe hatte die EU damals in Luxemburg die interne Spaltung zwischen jenen Staaten, die die Vollmitgliedschaft wollten, und anderen (wie Deutschland und Österreich), die für eine privilegierte Partnerschaft eintraten, abwenden können. 2006 aber weigerte sich Ankara, das bestehende Assoziierungsabkommen mit der EU auch auf das EU-Mitglied Zypern anzuwenden. Die Folge war, dass die EU-Regierungen gleich acht Themenbereiche der Verhandlungen blockierten. Bis heute.
Ministerpräsident sprach von „negativer Haltung“
Erdogan, der in Brüssel mit grüner Krawatte vor die Presse trat, versuchte, die Spannungen wegzulächeln. Zu seiner Behauptung, er habe einen „Putsch“ der Justiz abwenden müssen, wollte er gar nichts mehr sagen. Es gebe Falschinformationen über die Türkei und „negative Haltungen“ wegen ihres wirtschaftlichen Erfolges.
Nur einmal gab er kurz zu erkennen, dass ihn die Befragung zum Rechtsstaat durch die Brüsseler Journalisten zu nerven begann: „Statt über die Medien zu kommunizieren, sollten wir das über unsere jeweiligen Minister tun“, sagte er. Barroso und Van Rompuy schauten geradeaus, in die Weite des Pressesaals.
Dieter Ebeling, dpa
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