Themenüberblick

„Das Grauen wird absolut sichtbar“

Der Erste Weltkrieg und die Macht der Bilder - so lautet eines der Themen, die das laufende Gedenkjahr begleiten. Zwar standen etwa im Krimkrieg, im Amerikanischen Bürgerkrieg und im Burenkrieg bereits Kriegsfotografen im Einsatz. Eigene Behörden für eine maßgeschneiderte Bildberichterstattung wurden aber erst ab 1914 etabliert. Doch nicht nur Profis zogen mit der Kamera Richtung Front.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Überall waren Soldaten mit privaten Kameras unterwegs“, so der deutsche Historiker Gerd Krumeich laut dem Magazin „Der Spiegel“, und „die haben fotografiert wie Touristen“. Der Hintergrund: Erstmals waren handliche, leicht zu bedienende Kleinkameras auf dem Markt erhältlich - und das auch noch zu einem erschwinglichen Preis. Diesem Aspekt dürfte nicht zuletzt etwa die Vest Pocket Kodak ihren durchschlagenden Erfolg verdanken.

Kamera aus dem Ersten Weltkrieg

picturedesk.com/Stuart Clarke/Rex Features

Kameras wie die „Soldaten-Kodak“ machten Fotografie zum Massenphänomen

Allein die als „Soldaten-Kodak“ bekannte Kamera wurde von Hundertausenden gekauft, und ungeachtet dessen, dass unautorisiertes Fotografieren an der Front grundsätzlich verboten war, sind zahllose Bilder überliefert bzw. verstauben in mittlerweile häufig in Vergessenheit geratenen privaten Fotoalben. Für die breite Öffentlichkeit spielten die Amateuraufnahmen während des Krieges dennoch kaum eine Rolle - vielmehr bestimmten die überaus effektiv arbeitenden Zensurbehörden das von Profifotografen erstellte Bild vom Krieg.

Kriegspressearchiv & Co.

Wie nie zuvor wurden beim Ersten Weltkrieg auf militärisch kontrollierte Foto- und Bildpropagandastellen gesetzt. In Österreich-Ungarn bestimmte die Lichtbildstelle des Kriegspressequartiers über Auswahl und Veröffentlichung von Fotos. Deren deutsches Pendant fand sich im Bild- und Filmamt (BUFA).

Standards, „die noch heute gelten“

Aus Historikersicht handelt es sich beim Ersten Weltkrieg um den ersten umfassend mit der „Waffe“ Bild unterstützten großen Propagandakrieg - und dessen Folgen wirken bis heute nach. Es seien Standards gesetzt worden, so der „Spiegel“, „die noch heute gelten“. Als richtungsweisend gilt etwa die „Ikonisierung der eigenen Soldaten, Heroisierung des Kampfes und Herabwürdigung des Feindes“ - aber auch die in die Strukturen der Militär- bzw. Zensurbehörden eingebundenen Kriegsberichterstatter, die seit dem Irak-Krieg 2003 weitläufig auch als „eingebettete Journalisten“ bekannt sind.

Ein weiteres Detail gewann indes erst in den vergangenen Jahren erhöhte Aufmerksamkeit: die Tatsache, dass die Bilder nicht nur zensuriert, sondern im großen Maß auch gestellt waren. Von einem „nachgespielten Krieg“ spricht mit Wolfgang Maderthaner etwa der Chef des Österreichischen Staatsarchivs, in dessen Beständen geschätzte 300.000 Bilder aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu finden sind.

Photoatelier der 57. Infanterietruppendivision

Österreichisches Staatsarchiv

Eines der zahlreichen Fotoateliers des Kriegspressequartiers

„Inszenierter Krieg“

Authentische Aufnahmen von Gefechten sind dem Historiker zufolge in den Archivbeständen Mangelware. Die überlieferten Kampfszenen seien vielmehr erst nach den eigentlichen Kämpfen nachgestellt worden. Dazu kommt, dass viele Bilder, „die wir als typische Kriegsbilder bis heute in den Köpfen haben“, fernab der Front entstanden sind, etwa von Militärübungen im Hinterland und in manchen Fällen sogar von Filmsets aus der Zwischenkriegszeit stammen, so der Wiener Fotohistoriker Anton Holzer.

Österreich-Ungarn ist hier alles andere als ein Einzelfall. „Der Krieg wurde für die Kameras regelrecht inszeniert“, lautet beispielsweise auch das Urteil der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) in Deutschland.

Bestandteil der Kriegshandlungen

Der historische Wert der großen Bildbestände wird dadurch allerdings keineswegs infrage gestellt - wichtig ist laut dem deutschen Experten Andreas Weinhold die Erkenntnis, dass es sich um Zeitdokumente handelt, die den Krieg nicht bloß „illustrierten“, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Kriegshandlungen an sich waren und verstärkt auch als solche wahrgenommen werden müssen.

Publikum sitzt vor Leinwand

ORF.at/Peter Prantner

Maderthaner (r.) bei der Präsentation seines Buches „Untergang einer Welt“

Durchaus überrascht zeigte sich in diesem Zusammenhang Maderthaner, der im Rahmen eines Buchprojekts zuletzt rund 1.000 Bilder des Wiener Kriegsarchivs durchforstete. Gemeinsam mit Koautor Michael Hochedlinger sei er an das Projekt mit der Vorstellung herangegangen, dass die „Bilder lügen“ und nicht die Realität dargestellt sei. Ganz im Gegenteil „wurde das Grauen des Krieges absolut sichtbar“ - insbesondere mit Blick auf die von der Zensur nicht freigegebenen, aber auch aus Privatnachlässen stammenden Aufnahmen - mehr dazu in science.ORF.at.

Buchhinweise:

Wolfgang Maderthaner, Michael Hochedlinger: Untergang einer Welt. Der Große Krieg 1914 - 1918 in Fotografien und Texten. Brandstätter Verlag, 320 Seiten, 39,90 Euro.

Anton Holzer: Die letzten Tage der Menschheit. Der Erste Weltkrieg in Bildern. Primus Verlag, 144 Seiten, 30,80 Euro.

Alfred Pfoser, Andreas Weigl: Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Metroverlag, 692 Seiten, 35 Euro.

Geht es nach dem Historiker und Leiter der Wiener Rathausbibliothek, Alfred Pfoser, sind die rund 300 für „Untergang einer Welt“ ausgewählten und bis dahin unveröffentlichten Abbildungen „keine propagandistischen Bilder“. Vielmehr könne man die „Realität dieser industrialisierten Kriegsmaschinerie“, die Millionen von Toten forderte und ganze Landstriche in Schutt und Asche legte, nun „zumindest erahnen“.

„Anziehungskraft, weil sie so perfekt sind“

„Unglaublich überrascht“ zeigte sich Maderthaner unterdessen auch von der technischen Qualität des gesichteten Bildmaterials. Außer Frage stehe demnach, dass man es bei den Urhebern des größtenteils anonymisierten Agenturmaterials mit Profis zu tun habe, deren Arbeit durchaus als stilbildend betrachtet werden könne. Obwohl „noch ein junges und naives Medium“, habe man es mit „perfekt“ komponierten Aufnahmen zu tun, so Maderthaner, der den Bildern aus diesem Grund auch eine „gewisse Anziehungskraft“ nicht absprechen wollte.

Peter Prantner, ORF.at

Links: