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Regierung und Arbeitgeber auf einer Seite

T-Shirts für drei Euro, Schuhe für neun: Wenn Verbraucher in Europa Billigware verlangen, geht das auch auf Kosten der Arbeiter in Entwicklungsländern. Kambodschas Näherinnen haben die Nase voll.

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Chenda ist eine von 600.000 Arbeiterinnen, die in Kambodschas Textilfabriken für europäische und amerikanische Kleidungshersteller näht. Umgerechnet knapp 60 Euro bekommt sie im Monat - zum Leben kaum genug, sagt die 34-Jährige in der Hauptstadt Phnom Penh. Mit ihren Kolleginnen kämpft sie für höhere Löhne. Seit Tagen werden Fabriken bestreikt, in anderen Fällen haben die Besitzer Arbeiter ausgesperrt.

80 Prozent des Exports durch Textilien

Die Gewerkschaften müssen es mit der Regierung und den Fabrikbesitzern aufnehmen. Die Regierung unter dem autoritären Langzeitregierungschef Hun Sen braucht die Deviseneinnahmen. Der Textilsektor bringt im Jahr mehr als 3,6 Milliarden Euro und macht damit 80 Prozent des Exportgeschäfts aus. Unter dem Druck der Arbeiter wurde der Mindestlohn in der Branche gerade auf gut 70 Euro erhöht. Die Gewerkschaften verlangen 115 Euro.

„Ich wollte meine sechsjährige Tochter zu mir holen, sie lebt bei meinen Eltern in der Provinz“, sagt Chenda. „Aber von dem Geld kann ich mir keinen Babysitter leisten.“ Die Gewerkschaft will nicht aufgeben. „Wer meint, das Geld reiche, soll mal ausprobieren, einen Monat wie die Arbeiter zu leben“, sagt Gewerkschaftsführer Kong Athit. Chenda macht wie viele Überstunden, um über die Runden zu kommen.

„Nur“ Ohnmachtsanfälle wegen Erschöpfung

Kamdbodscha ist bei weitem nicht das einzige Land, in dem die Produktionsbedingungen für Textilarbeiter schlecht sind. Hinzu kommen mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und Baumängel. Im April 2013 war in Bangladesch ein Fabrikgebäude in der Nähe der Hauptstadt Dhaka in sich zusammengestürzt, dabei starben mehr als 1.100 Menschen, fast 2.500 wurden verletzt.

Das Unglück hatte bei Verbrauchern und Herstellern in wohlhabenderen Ländern eine Diskussion über ethischen Konsum entfacht. In Kambodscha fallen Arbeiter nach Gewerkschaftsangaben reihenweise in Ohnmacht, manchmal aus Erschöpfung, manchmal wegen mangelnder Lüftung. So schlimm wie in Bangladesch ist die Lage nach Angaben der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) aber nicht.

ILO als Feigenblatt für Hersteller?

Die ILO, die die Branche an Ort und Stelle überwacht, habe für Arbeiter bisher nicht viel erreicht, moniert die Stanford-Universität in einem Bericht. Die realen Löhne seien von 2000 bis 2014 um 30 Prozent gesunken, ohne entsprechende Kompensation. Kaum gebe es mehr Geld, stiegen Mieten und Preise für Nahrungsmittel, sagen Arbeiter. Regierung und Arbeitgeber schüren Angst, dass Fabrikbesitzer ihre Fertigung und ausländische Textilunternehmen ihre Aufträge in andere Länder verlegen könnten.

Davor warnt auch die ILO: „Die Folgen der Proteste und die Reaktion der Industrie können die Einnahmen empfindlich treffen und Kambodschas Ruf bei internationalen Einkäufern beeinträchtigen“, schreibt sie. „Soweit ich weiß, wollen sieben Fabrikanten abziehen“, sagt der Vorsitzende des Textilunternehmerverbands GMAC, Van Sou Ieng. „Kambodscha ist nicht sehr produktiv, und wir stehen im internationalen Wettbewerb mit anderen Anbietern.“

Der Preis muss stimmen

Der Verband warnt, dass Strafzahlungen für späte Lieferungen die Einkünfte schmälern und der Spielraum für höhere Löhne dadurch noch kleiner wird. Die Regierung will hart gegen die Streikenden durchgreifen. Gewerkschaftsvertreter und andere Aktivisten leben gefährlich in Kambodscha: 2004 wurde der bekannte Gewerkschaftsboss Chea Vichea auf offener Straße erschossen. Noch lassen in Kambodscha Firmen wie Levi’s, Walmart, Puma, Adidas und H&M Kleidung und Schuhe fertigen.

„Wir ermutigen alle, diesen Konflikt mit einer zufriedenstellenden Lösung zu beenden“, sagt Elin Hallerby, Sprecherin des schwedischen Unternehmens H&M. Im internationalen Vergleich ist Kambodscha allerdings ein kleiner Fisch. Nach Angaben des Consulting-Unternehmens McKinsey hat China 18.000 Textilfabriken, Indien 11.000 und Bangladesch 5.000. Kambodscha kommt mit 250 erst auf dem siebenten Platz. Viele Unternehmen sähen dort aber großes Wachstumspotenzial. Wenn die Preise stimmen.

Abby Seiff, dpa