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Niederlande als neue Bermudas

Nicht nur an fernen Palmenstränden, auch mitten in der EU finden sich beliebte Steueroasen. Allen voran buhlen die Niederlande mit attraktiven Steuersätzen gezielt um global agierende Unternehmen und bieten diesen legale Wege, ihre Steuern auf ein Minimum zu reduzieren. Ein Ärgernis für die EU und Steuerzahler, die solche Konstrukte nicht in Anspruch nehmen können und die volle Steuerlast tragen.

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„Aggressive Steuerplanung“, so wird in Fachkreisen das Ausschöpfen sämtlicher gerade noch oder vielleicht auch nicht mehr legaler Möglichkeiten bezeichnet, um möglichst wenig an Steuern zu bezahlen. Für andere ist diese Optimierung ganz klar Steuerflucht. Jährlich fließen nach Schätzungen der EU bis zu eine Billion Euro an den Staatskassen vorbei.

Das ist etwa für Deutschland ein zunehmendes Problem. Unzählige deutsche Firmen nutzen die gesetzlichen Möglichkeiten des benachbarten Abgabeneldorados Niederlande, statt ihren Gewinn dort zu versteuern, wo er erwirtschaftet wurde, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) Anfang September. Das Tulpenland punktet dabei mit äußerst großzügigen Regeln, etwa bei der Besteuerung von Lizenzgewinnen und Zinsen. 12.000 mitarbeiterlose Finanzfirmen sind laut „FAZ“ in den Niederlanden registriert, deren einziger Zweck es sei, die Steuerlast zu drücken.

Konzerne rechnen sich gegenüber Finanzamt arm

Zuletzt hatten die Strategien von prominenten, global agierenden US-Konzernen wie Apple, Google und Starbucks zur Reduzierung ihrer Steuerlast in Europa für Empörung gesorgt. Sie beschäftigen ganze Armeen an Steuerberatern und Anwälten, um sämtliche Abgabenschlupflöcher zu nutzen. Die Konzerne erzielen hohe Gewinne, zahlen dank legaler Tricks aber wenig Steuern.

Stattdessen verschieben sie über verschachtelte Firmenkonstrukte Gewinne hin und her. Verlagert werden Patente, Markenrechte, Lizenzgebühren oder Darlehenszinsen in Tochterfirmen in einer Steueroase. Für deren Nutzung verrechnet der Konzern überhöhte Gebühren und drückt so den zu versteuernden Gewinn im Staat, wo er eigentlich erwirtschaftet worden ist. Im Niedrigsteuerland wiederum fallen dank flexibler und entgegenkommender Regelungen wenig Abgaben an.

Auch hochbezahlte Stars unter Nutznießern

Die Grauzone zwischen der legalen Nutzung von Möglichkeiten zur Steuervermeidung und illegaler Aktivitäten zur Reduzierung der Steuerlast ist oftmals nur schwer zu durchleuchten. Im Falle von Internetfirmen kommt hinzu, dass bei Patenten und Markenrechten nur schwer feststellbar ist, wo der Wert entstanden ist und es damit auch Auslegungssache ist, wo Abgaben geleistet werden müssen.

Hochbezahlte Fußballer und Musikgrößen wie Elton John oder Bono von U2 gehören ebenfalls zu den bekannten Nutznießern des niederländischen Steuersystems. Sie profitieren davon, dass in den Niederlanden auf geistiges Eigentum kaum Steuern erhoben werden. Privatpersonen profitieren hingegen nicht. Sie haben als Arbeitnehmer schlicht kaum Möglichkeiten zur Steuergestaltung.

Finanz: Österreich nicht betroffen

Österreich ist jedenfalls - nach Angaben des Finanzministeriums - kein attraktiver Standort für legale Steuervermeidung. „Österreich ist von solchen Fallkonstellationen nicht betroffen. Missbräuchliche Gestaltungen, die im Einzelfall auftreten können, werden von der Betriebsprüfung aufgegriffen und einer sachgerechten Besteuerung zugeführt“, so Daniela Kinz, Sprecherin des Finanzministeriums, gegenüber ORF.at.

„In Österreich werden internationale Strukturen stark bekämpft. Es wird genau überprüft, ob etwas wirtschaftlich vernünftig und gerechtfertigt oder bloße Steuervermeidung ist. Schon früh wurden etwa Irland-Konstruktionen bekämpft“, so auch Deloitte-Unternehmenssprecher Bernhard Gröhs.

Staat gehen Steuereinnahmen verloren

Die Niederlande sind dabei keineswegs die einzige Steueroase in Europa. Sie stehen in direkter Konkurrenz mit anderen Ländern wie Irland, Luxemburg und der Schweiz. Wann aber wird aus der ganz legalen Möglichkeit, seine Steuern zu mindern, ein schädlicher Steuerwettbewerb? „Wenn alle Gewinne steuerschonend, aber legal ins Ausland verlagert werden, verliert der Staat Steuereinnahmen aus diesen Gewinnen, die im Extremfall bis zu zehn Prozent der gesamten Kapitalsteuereinnahmen betragen können“, so Volkswirt Friedrich Schneider von der Johannes Kepler Universität Linz gegenüber ORF.at.

Sorge um Arbeitsplätze

Bei der Bekämpfung dieser Aktivitäten ist allerdings Vorsicht angebracht. Es darf sprichwörtlich nicht das Kind mit dem Bad ausgeschüttet werden, etwa indem österreichischen Unternehmen international gebräuchliche und legale Gestaltungen untersagt würden. Denn das würde einen Wettbewerbsnachteil für österreichische Konzerne bringen, der in letzter Konsequenz österreichische Arbeitsplätze gefährden könnte, zum Schaden der österreichischen Volkswirtschaft.

„Wenn diese Firmen nicht mehr steuerschonend teilweise Gewinnverlagerungen in ein Niedrigsteuerland vornehmen können, werden sie möglicherweise nach einiger Zeit das Land verlassen. Es gehen dann Arbeitsplätze verloren, und dem Fiskus entgehen zudem Lohnsteuer und Lohnnebenabgaben einschließlich Sozialversicherungsbeiträgen“, so Schneider.

Steuervorteile im Visier der EU

Grundsätzlich ist unklar, ob Staaten mit großzügigem Steuerrecht gegen EU-Wettbewerbsregeln verstoßen. In diesem Zusammenhang forderte die EU-Kommission erst kürzlich Informationen von den Niederlanden, Irland und Luxemburg an, wie Mitarbeiter der Brüsseler Wettbewerbsbehörde Mitte September berichteten. Eine formale Untersuchung könnte folgen. In den Firmenzentralen der Großkonzerne dürfte die Beraterarmada angesichts der EU-Untersuchungen bereits an neuen Konzepten tüfteln. „Wir befinden uns in einer Umbruchszeit. Das ist für Firmen durchaus heikel, sie haben einen hohen Erklärungsbedarf gegenüber den Behörden, und die Rechtssicherheit ist nicht mehr gegeben“, so Deloitte-Sprecher Gröhs.

Derzeit versuchen Europas Staaten mit erhöhter Transparenz und mehr Informationsaustausch gegen die internationale Steuerumgehung vorzugehen. Auch Österreich hat zuletzt das OECD-Abkommen für multilateralen Steuerinformationsaustausch unterzeichnet. Dabei geht es zwar noch nicht um den ganz großen Schritt eines automatischen Austauschs von Steuerdaten, sondern lediglich um Amtshilfe auf Anfrage. Mit der Unterzeichnung wird allerdings der potenzielle Empfängerkreis relevanter Steuerinformationen deutlich größer.

Österreich führt Vorsitz von Verhaltenskodex

„Grundsätzlich soll jeder Staat das in seiner Steuerhoheit entstandene Steuersubstrat besteuern. Österreich unterstützt daher die Intention des Projekts zu künftigen Grenzen für Steuervermeidung und Gewinnverlagerung der OECD (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS). Gegen unfairen Steuerwettbewerb, der andere Staaten schädigt, gibt es den Verhaltenskodex (Code of Conduct) als politische Vereinbarung, den Österreich unterstützt und auch den Vorsitz führt“, so das Finanzministerium.

Harmonisierungsbestrebungen bezüglich der Konzernbesteuerung in Europa wird in der Johannesgasse in der Wiener Innenstadt allerdings mit Vorsicht begegnet. Keinesfalls dürften diese in die Richtung gehen, dass die Attraktivität des Standorts Österreichs gefährdet würde, so Sprecherin Kinz.

G-20 unterstützen OECD-Plan

Die globale Steuerflucht war auch eines der wichtigen Themen des zweitägigen G-20-Gipfels, der Anfang September in Sankt Petersburg stattfand. Dabei wollen die G-20 den OECD-Aktionsplan im Kampf gegen Steuervermeidung durch große Konzerne aufgreifen. Ziel ist, dass Konzerne künftig nicht mehr ihre Gewinne so lange über Ländergrenzen verschieben können, bis der Fiskus am Ende leer ausgeht und die Unternehmen kaum noch Steuern zahlen. Doch bis es wirksame Mittel gibt, wird es wohl noch Jahre dauern. Ein erster Schritt betrifft einen Plan zur Besteuerung von Internetfirmen bis Herbst 2014.

Beate Macura, ORF.at

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