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Polizei kapituliert vor Plünderern

Bis zum Freitag ist Guiuan für seine malerischen Strände und seine reiche Kolonialgeschichte bekannt gewesen. Durch den Taifun „Haiyan“ verwandelte sich die Fischerstadt auf der philippinischen Insel Samar aber in einen Vorort der Hölle. „Es ist der Terror hier“, sagt ein verängstigter Anwohner inmitten der Taifun-Trümmer einem AFP-Reporter.

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„Bewaffnete Diebe streunen herum. Wenn sie herausbekommen, dass du Lebensmittel gelagert hast, werden sie in dein Haus eindringen und dich mit vorgehaltener Waffe ausrauben.“

Lebensmittel sind Gold wert

Auch andere Anwohner berichten von Männern, die ihre Pistolen schwingen und nicht etwa nach Geld fragen, sondern Reis rauben wollen. Lebensmittel sind in Guiuan Gold wert, im Gegensatz zu Geld, das sich nicht essen lässt. Die Lebensmittelbestände in den Depots der 47.000-Einwohner-Stadt sind entweder fast aufgezehrt oder geplündert.

Inzwischen sind erste Soldaten eingeflogen worden, vom Helikopter aus wird das Grauen sichtbar: Wie Streichhölzer umgeblasene Palmen, so weit das Auge reicht - und an der Küste der Stadt haben sich Fischerhütten, Boote und Stege zu einem tödlichen Knäuel aus Metall und Holz verkeilt.

Opferzahl weiter offen

Eine offizielle Opferzahl gibt es nicht. „Weniger als 100“, vermutet und hofft ein sichtlich mitgenommener Mann. „Dort lagen viele Leichen, und dort auch“, sagt ein zweiter Mann und zeigt auf die Trümmerhaufen. „Wir haben sie alle schon begraben.“ Auf einem Platz im Zentrum ist eine wütende Menge dabei, ein Einkaufszentrum zu plündern. Nicht nur Lebensmittel, auch Kleidung, Spielzeug, billiger Schmuck und Farbdosen werden mitgenommen.

Wahllos werden Waren herausgeschleppt und weggebracht - oder gleich zu Geld gemacht. „Wir sind völlig hilflos. Sie sind so viele, und wir so wenige“, sagt ein Polizist. Von den 35 Polizisten des Viertels ist seit Freitag nur eine Handvoll zum Dienst erschienen. Die übrigen kämpfen ums Überleben - oder wurden selbst zu Opfern das Taifuns.

Ein Ende der Gesetzlosigkeit ist in Guiuan nicht in Sicht. Der Monstersturm zerstörte die Wasserversorgung und das Kommunikationsnetz. Strommasten und Bäume liegen mit anderen Trümmern über den Straßen. Darunter begraben liegt die Hoffnung auf rasche Lieferungen von Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten.

„Jeder kämpft für sich selbst“

In Tacloban auf der Insel Leyte kamen nach UNO-Schätzungen mehr als 10.000 Menschen ums Leben. Und von denen, die überlebten, versuchen viele verzweifelt vor dem Alptraum zu fliehen. Hunderte Menschen drängen sich am Dienstag vor dem ruinierten Passagierterminal des Flughafens und betteln um Plätze in den Transportmaschinen, die Lebensmittel bringen. Jemalyn Lamberto steht in der Schlange im Regen und weint. „Sie haben uns gesagt, wir sollen unsere Position nicht verlassen. Aber wenn ein Flugzeug landet, dann kämpft jeder für sich selbst.“

Für Maria Adelfa Jomerez war es eine schlimme Entscheidung, überhaupt zum Flughafen aufzubrechen. Denn sie musste die Leichen ihres Sohnes, ihrer Schwiegertochter und ihres Enkels in Tacloban zurücklassen - ohne sie beerdigen zu können. „Es gibt keine Fahrzeuge, um sie zum Friedhof zu bringen“, sagt sie. „Ich will nicht, dass sie in einem Massengrab beigesetzt werden. Aber ich kann nichts tun.“

Vor dem Terminal steht auch eine Gruppe von Kindern. Sie haben von Beamten Schilder um den Hals gehängt bekommen, auf denen steht „Überlebender“. So soll sichergestellt werden, dass sie bevorzugt mit in die Hauptstadt Manila genommen werden, wenn es freie Plätze in einer Militärmaschine gibt. In Tacloban gibt es niemanden mehr, der sich um sie kümmern könnte.

Ted Aljibe, Cecil Morella/AFP

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