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Ein Krieg ohne Ende

Die besten Geschäfte lassen sich im Krieg machen - und gewinnen kann man doch nicht dabei: Im Burgtheater ist seit Freitag die Neuinszenierung von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ in der Regie von David Bösch zu sehen. Er interpretiert das Stück als poetisches Märchen in eindrucksvoller Atmosphäre - worauf das Drama aber hinaus will, bleibt trotzdem im Dunkeln.

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Brecht schrieb bereits 1938 bis 1939 im dänischen bzw. schwedischen Exil an einer ersten Fassung des Stücks, das in seiner Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin zehn Jahre später als das Ereignis des deutschen Nachkriegstheaters gefeiert wurde. Er griff dafür auf Motive aus Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman „Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung Der Erzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche“ aus dem Jahr 1670 zurück, dem er nicht nur den Namen der Titelfigur entlehnte, sondern auch das Setting in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges.

Bei Brecht ist es die Marketenderin Anna Fierling, die durch den Dreißigjährigen Krieg zieht und hofft, dass er nie vorbeigeht: Wer würde denn sonst die Ware kaufen? Dabei opfert sie nach und nach ihre drei Kinder, ohne daraus zu lernen. Neben einer allgemeinen Abscheu vor Krieg und Gier sollte nach Brecht die „Mutter Courage“ auch eine Warnung an die skandinavischen Länder sein, sich vom Zweiten Weltkrieg fernzuhalten, soweit es nur ginge. „Ich stellte mir, schreibend, vor, dass von den Bühnen einiger großer Städte herab, die Warnung des Stückeschreibers zu hören sein würde, dass der einen langen Löffel haben muss, der mit dem Teufel frühstücken will,“ kommentierte er.

Um die Parabel herumgeschummelt

In der Inszenierung von Bösch ist von der „Warnung des Stückeschreibers“ aber nicht sehr viel zu hören. Auch wird nicht so recht klar, wohin er mit dem Lehrstück eigentlich will, schon eher kommt der Eindruck auf, als würde er sich um die Brecht’sche Parabel herumschummeln. Was bleibt, sind die Geschichte und die Songs, die in der zweistündigen Aufführung recht volksstückhaft heruntererzählt werden. Das ist schade, weil so ohne die zeitlos-universelle Kernaussage des Antikriegsstücks fühlt man sich verloren im Dreißigjährigen Krieg und weiß eigentlich gar nicht, was man dort suchen wollte.

Szene von "Mutter Courage und ihre Kinder" im Burgtheater in Wien

APA/Hans Klaus Techt

Mutter Courage (Maria Happel) weiß selbst den zerfleddertsten Vogel noch gut an den Mann zu bringen

Rein ästhetisch schaut die Sache wieder ganz anders aus, da will der Bogen schon eher stimmen. Bühne, Kostüme und Video von Patrick Bannwart ergeben ein stimmiges Ganzes und treten den Beweis an, dass sich märchenhafte Poesie und indifferente Alpträume nicht nur gar nicht schlagen, sondern sogar schön ergänzen können. Auf einem dunklen Rundhorizont ziehen comicartige Zeichnungen über die Szene, schaurig schön und gar nicht kitschig dabei. Auf der Bühne gibt der Nebel den Ton an und sorgt bei virtuoser Beleuchtung (Friedrich Rom) für eindrucksvolle Bilder.

Große Schauspieler bis in die kleinen Rollen

Zum Vorteil des Abends wird auch die Besetzung, weil sich einmal mehr zeigt, wie man an der Burg bis in die ganz kleinen Rollen auf großartige Schauspieler zurückgreifen kann. Happel steht als Mutter Courage an vorderster Front und kämpft sich durch die Kriegswirren mit dem Planwagen über die Drehbühne. Sarah Victoria Frick hat dieses Mal nichts zu sagen und zeigt, dass es ihr auch als stumme Kattrin keinen Moment an Bühnenpräsenz mangelt.

Szene von "Mutter Courage und ihre Kinder" im Burgtheater in Wien

APA/Hans Klaus Techt

Als Frau im Krieg muss man sich arrangieren lernen, das wissen Hure Yvette (Regina Fritsch), Kattrin (Sarah Victoria Frick) und Mutter Courage (Maria Happel)

Tino Hillebrand und Andre Meyer glänzen als Courages Söhne Schweizerkas und Eilif durch stringente Naivität, Tilo Nest und Falk Rockstroh sind als Koch und Prediger grandios besetzt. Immer einen Tick zu enervierend und recht facettenarm erweist sich Regina Fritsch als von Geschlechtskrankheiten geplagte Lagerhure Yvette. Hermann Scheidleder, Dirk Nocker und Stefan Wieland sind als Soldaten zwar eher klein besetzt, machen aber aus jeder Rolle eine große.

Aufmarsch der Militärkapelle

Die schräge Interpretation von Paul Dessaus Bühnenmusik tut das Ihrige dazu, dass sich die Inszenierung stilistisch schließt: Unter der Leitung von Bernhard Moshammer bilden Maultrommel, Trompete, Trommel, Horn und Flöte ein Ensemble, das für die Songs auf die Bühne marschiert und sich als Hybrid zwischen heruntergerockter Militärkapelle und Zirkusmusikern eine charmante Nische gesichert hat.

Veranstaltungshinweis

„Mutter Courage und ihre Kinder“ ist im Burgtheater am 12., 19. und 23. November sowie am 2., 6., 11., 13. und 29. Dezember zu sehen.

Am Ende kommt dann der Bruch und die Dramatik - wenn die Bühne in sich zusammenfällt, Musik zu Lärm wird und Happel Helene Weigls „stummen Schrei“ aus der Modellinszenierung Brechts zitiert. Vielleicht muss man Bösch auch dankbar sein, dass er die Geschichte ganz ohne trockene Belehrungen erzählt. Ein bisschen Haltung zur Relevanz der „Mutter Courage“ darf man sich trotzdem wünschen - weil man beim Teufel noch immer besser mit langem Löffel frühstückt.

Sophia Felbermair, ORF.at

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