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Nach 100 Jahren „leicht zu kritisieren“

Eine neu erschienene Biografie über den legendären australischen Antarktis-Forscher Douglas Mawson lässt derzeit die Wogen hochgehen. Der Grund: Dem gefeierten Forscher wird vorgeworfen, eine tragisch verlaufene Expedition Anfang 1913 nur durch Kannibalismus überlebt zu haben.

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Ausgangspunkt der Ereignisse war der November 1912, als Mawson zusammen mit dem Briten Belgrave Ninnis und dem Schweizer Xavier Mertz zu einer mehrwöchigen Erkundungstour aufbrach. Als Ninnis samt Ausrüstung und Proviant in eine Gletscherspalte stürzte, nahm das Schicksal seinen Lauf. Auch Mertz verstarb wenig später unter nie ganz geklärten Umständen, und Mawson erreichte erst im Februar 1913 als Einziger völlig entkräftet das Basislager. Da das Expeditionsschiff „Aurora“ zu diesem Zeitpunkt bereits wieder Segel gesetzt hatte, musste Mawson dort schließlich noch bis zum Frühjahr 1914 überwintern.

Illustration von Douglas Mawson während der Expedition

picturedesk.com/Mary Evans

Illustration der Ereignisse rund um Ninnis’ tödlichen Unfall (1913, Ausschnitt)

Mawson wurde nach seiner Rückkehr für seinen eisernen Überlebenswillen gefeiert und in den in den Ritterstand erhoben. Heute erinnert unter anderem der Name des einzigen aktiven Vulkans Australiens, der Mawson Peak, an den mehrfach ausgezeichneten Leiter der ersten australischen Antarktis-Expedition.

Hunde- oder Menschenfleisch?

Doch auf der Heldengeschichte könnte ein dunkler Schatten liegen, so der britische „Independent“ mit Verweis auf die nun erschienene Mawson-Biografie „Flaws in the Ice“. Außer Frage steht, dass nach Ninnis’ Absturz für den rund 500 Kilometer langen Rückweg der wenige verbliebene Proviant streng rationiert werden musste. Nachdem die letzten Vorräte verbraucht waren - so die überlieferten Berichte -, waren die beiden gezwungen, ihre Schlittenhunde zu schlachten. Der bis dahin vegetarisch lebende Mertz sei kurz darauf verstorben, da er die Umstellung auf rein fleischliche Ernährung nicht vertragen haben soll.

Mawsons's Hütte in der Commonwealth-Bucht heute

Reuters/Pauline Askin

Noch heute zu besichtigen: Mawsons Basisstation in der Commonwealth-Bucht im antarktischen Adelieland

Auf den letzten 150 Kilometern war Mawson somit auf sich allein gestellt, wobei er zu diesem Zeitpunkt, so das Schweizer Webportal 20Minuten, in sein Tagebuch notiert haben soll: „Ich kochte den ganzen Rest des Hundefleisches.“ Laut Day sei der letzte Hund aber bereits zwei Wochen zuvor getötet worden, weswegen der Autor die Frage stellt: „Könnte es etwas anderes gewesen sein, das er gekocht hat?“

Buchcover "Flaws In The Ice"

Scribe Publications

Buchhinweis:

David Day: Flaws in the Ice. In Search of Douglas Mawson. 285 Seiten, Scribe Publications. Preis laut Verlagsangaben 23,18 Euro.

Damit nicht genug: Angesichts der knappen Vorräte soll Mawson bereits zuvor mit dem Tod seines Schweizer Begleiters spekuliert haben. „War Mawson zur schrecklichen Schlussfolgerung gelangt, dass nur genügend Proviant vorhanden war, damit einer von beiden die Basis lebend erreichen könnte? Gab seine Erfahrung Mawson Zuversicht, dass er die Hungerrationen besser überstehen konnte als Mertz?“, wie 20Minuten aus „Flaws in the Ice“ zitiert.

Kritik von Angehörigen und Forschern

Days Thesen stießen nicht nur bei Mawsons Nachkommen, sondern auch in den Reihen aktiver Polarforscher auf scharfe Kritik. Laut Mawsons Urenkelin Emma McEwin seien Days Ausführungen jedenfalls wenig überzeugend. Gründe dafür seien nicht nur zahlreiche „blinde Flecken“, sondern auch Fehleinschätzungen, so McEwin laut „Independent“. Tim Jarvis, der 2007 Mawsons Gewaltmarsch in der Antarktis wiederholte, gab zudem zu bedenken, dass es 100 Jahre nach den Ereignissen sehr einfach sei, diese zu kritisieren.

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