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Liste mit mehr als hundert Einzelwerken

Einige der spektakulär in München in der Wohnung von Cornelius Gurlitt aufgetauchten Kunstwerke wurden einem Bericht zufolge offenbar nach Kriegsende von den Alliierten beschlagnahmt und von diesen von 1945 bis 1950 verwahrt. Das schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) unter Berufung auf ihr vorliegende Dokumente.

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Dabei handle es sich um Protokolle, die die Alliierten von Befragungen des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, des Vaters von Cornelius Gurlitt, zu dessen Rolle im „Dritten Reich“ anfertigten. Eine an diese Protokolle angehängte Liste gibt demnach Auskunft über Gurlitts mehr als hundert Einzelwerke umfassende Privatsammlung, die zu diesem Zeitpunkt in einer Wiesbadener US-Sammelstelle eingelagert war.

Darauf eingetragen seien offenbar auch einige der am Dienstag in Augsburg präsentierten Werke, darunter ein bisher unbekanntes Selbstbildnis von Otto Dix, ein Gemälde von Max Liebermann und eine Gouache von Marc Chagall. Laut dem Zeitungsbericht forderte Hildebrand Gurlitt die Werke mit Erfolg von den Alliierten zurück. Bis auf zwei Bilder sei ihm seine angebliche Privatsammlung 1950 zurückgegeben worden.

Herkunft der Kunstwerke nicht geklärt

Zollfahnder hatten Cornelius Gurlitt der Steuerhinterziehung verdächtigt und bei einer Hausdurchsuchung die Sammlung mit Werken von unschätzbarem Wert entdeckt und beschlagnahmt. Das war im Februar 2012 - aber erst nach einem Bericht des Magazins „Focus“ machten die Behörden die Sensation jetzt publik.

Welche Kunstwerke von den Nazis als „entartete Kunst“ in Museen, Galerien oder bei Sammlern beschlagnahmt und zum Verkauf an den Kunsthändler und Sammler Hildebrand Gurlitt übergeben worden waren, welche Gurlitt selbst vor oder nach 1945 gekauft hatte, ist unklar. Einige Kunstgegenstände aus der Sammlung seien als vernichtet oder veräußert bezeichnet worden, andere seien bisher unbekannt gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft am Dienstag.

Unbekannte Meisterwerke

Das Dix-Selbstporträt gehört zu den 1.401 Bildern, die in der Wohnung Cornelius Gurlitts entdeckt wurden, gegen den wegen des Verdachts der Unterschlagung und Steuerhinterziehung ermittelt wird. Unter den Kunstwerken befinden sich laut der Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann auch bisher unbekannte Meisterwerke von Picasso, Dürer, Renoir und Toulouse-Lautrec. Ein Großteil davon scheint Nazi-Raubkunst zu sein, darunter Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus und Kubismus - Kunstströmungen, die von Adolf Hitler als „entartet“ stigmatisiert worden waren.

Komplizierte Rechtslage

Der spektakuläre Kunstfund wirft auch für eine künftige Rückgabe der als NS-Raubkunst eingeschätzten Kunstwerke viele Fragen auf: So hieß es etwa bei der Pressekonferenz in Augsburg, dass „1938 von den Nazis beschlagnahmte Kunstwerke nicht rückgabepflichtig“ seien. Diese Aussage bezieht sich auf ein deutsches Gesetz aus dem Jahr 1938.

Weder die Aliierten noch die junge Bundesrepublik Deutschland hoben das „Gesetz zur Einziehung von entarteter Kunst“ auf, das im Sommer 1938 beschlossen worden war. Es regelte die Entfernung „entarteter Kunst“ aus öffentlichen und halbstaatlichen Sammlungen - die Entziehung konnte also durchaus auch „arische“ Sammler treffen, wie das Ö1-Morgenjournal am Donnerstag berichtete.

Die Frage ist also, ob die Nazis der Familie Gurlitt die Kunstwerke verkauft oder nur in Kommission gegeben hatten. In ersterem Fall wäre Gurlitt heute der rechtmäßige Eigentümer, in zweiterem wäre das noch immer der deutsche Staat, und die Bilder würden in die Museen zurückwandern - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Zentralrat der Juden fordert Aufklärung

Der sensationelle Kunstfund bleibt voller Rätsel. Wem die mehr als 1.400 Bilder ursprünglich gehörten, wie sie in den Besitz des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt kamen, wo sich dessen 79-jähriger Sohn Cornelius heute aufhält - all das blieb auch nach der Pressekonferenz der Augsburger Staatsanwaltschaft und Hoffmanns offen. Der Zentralrat der Juden forderte zügige Aufklärung.

„Spekulationen helfen hier nicht weiter. Wichtig sind jetzt Transparenz und ein zügiges Verfahren“, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch-Ausgabe). „Schließlich geht es hier um Erben einstmals beraubter jüdischer Sammler, die nun späte Gerechtigkeit erfahren könnten, indem das Hab und Gut ihrer Familie wieder in ihren, den rechtmäßigen, Besitz kommt.“

Auch Staatsanwalt weiß nicht, wo Gurlitt ist

Der Augsburger Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz hatte dagegen gesagt: „Die Ermittlungen haben Vorrang, ich kann nicht darüber spekulieren, wer Eigentümer von irgendwelchen Sachen sein kann.“ Wer glaube, Anspruch auf ein Werk zu haben, könne sich gerne melden. Cornelius Gurlitts Verbleib sei unklar: „Ich weiß nicht, wo er sich aufhält, weil uns diese Frage gar nicht beschäftigt“, sagte Nemetz. Nicht einmal die Liste der Werke wird veröffentlicht. Die Ermittlungen gegen Cornelius Gurlitt seien noch nicht abgeschlossen, so die Staatsanwaltschaft.

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