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Was schlummert noch in den Depots?

Schaut man im Kunsthandel auf die Provenienz, die Herkunft der Bilder? Wohl kaum. Denn eigentlich ist es fast ein Zufall, dass einer der größten Fälle mutmaßlicher Raubkunst vor zwei Jahren aufgeflogen ist und jetzt auch öffentlich bekanntwurde.

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In einer Wohnung in München lagerten beim Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, Cornelius, 1.500 verschollen geglaubte Bilder der klassischen Moderne - Werke, die die Nazis als „entartet“ eingestuft hatten; Werke, von deren Verkauf sie sich wichtige Deviseneinnahmen erwarteten; und Werke, bei deren Verkauf ihnen Kunsthändler halfen, die nicht nur jüdische Wurzeln hatten, sondern die davor gerade dieser Moderne bei der Durchsetzung geholfen hatten.

Mehrfamilienhaus

APA/dpa/Marc Müller

Das Mehrfamilienhaus, in dem 1.500 Gemälde jahrzehntelang in einer Wohnung lagen

Dass man Geschichte nicht in Schwarz-Weiß erzählen kann, wird an der Familie Gurlitt deutlich. Der Sohn lebte wohl über Jahre ausschließlich vom Verkauf dieser Bilder. Einige habe er, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“, Montag-Ausgabe), über den Schweizer Galeristen Eberhard Kornfeld absetzen können. Auf dem Rückweg von einem Verkauf ging er den Zollfahndern an der deutschen Grenze deshalb ins Netz, weil er, so die Zeitung, 18 neue 500-Euro-Scheine in der Tasche gehabt habe. Ein kleiner Fisch also dort, wo man nach Menschen mit den großen Geldkoffern und dem Verschieben von Geld zwischen Deutschland und der Schweiz sucht.

Die verbrannten Sammlungen

Am Ende fand man aber schließlich die Wohnung als Hort der Kunstwerke - und steht seitdem vor vielen Fragen. Es sind Bilder, die angeblich verbrannt waren. Dabei kommt gleich eine andere Geschichte in Erinnerung, die auch von verbrannten Kunstwerken handelt: Hildebrand Gurlitts Neffe Wolfgang Gurlitt, ebenfalls Kunsthändler und Mentor der Moderne, will in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943 in Berlin auch seine gesamte Kunstsammlung verloren haben.

1945 kam Wolfgang Gurlitt nach Bad Aussee, wurde danach Österreicher und als Gründer der Neuen Galerie in Linz einer der wichtigsten Mentoren der Moderne in einem nicht gerade modernefreundlichen Kulturklima. Ohne Gurlitt (und man muss auch sagen: Bruno Kreisky) keine Heimkehr etwa von Oskar Kokoschka aus dem englischen Exil.

Gurlitt, zu dessen Biografie auch das Lentos-Museum, die Nachfolgeinstitution der Neuen Galerie, immer die „offenen Stellen“ anführt, hatte Werke aus seiner Sammlung in den Bestand des Lentos eingebracht. Dass sich Raubkunst in den Lentos-Beständen befinde, verneinte das Museum, wie die Zeit im Bild am Montag berichtete. Laut dem Linzer Kulturdirektor Julius Stieber hat der Fund in Deutschland für Linz „aller Voraussicht nach keine große Relevanz“. Denn es habe nur eine verwandtschaftliche, aber keine Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Gurlitts bestanden - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Kein Schwarz-Weiß-Bild

Hildebrand und Wolfgang Gurlitt waren wie so viele im Kunsthandel zwischen 1933 und 1945 in keiner eindeutigen Rolle unterwegs. Beide waren Förderer neuartiger Kunst, Hildebrand Gurlitt etwa als Leiter des Hamburger Kunstvereins. Gleichzeitig waren sie groß im Geschäft und damit auch mittelbar an der Enteignung von jüdischen Kunstsammlern beteiligt.

Nach dem Krieg hörte man das Argument, sie hätten die Moderne vor dem Zugriff der Nazis gerettet. Ähnlich verteidigte sich nach 1945 etwa der Direktor der Österreichischen Galerie Belvedere, Bruno Grimschitz, der ebenfalls im Kunsthandel der Zeit mitmischte.

„Sonderauftrag Linz“

Die Gurlitts sollten trotz jüdischer Wurzeln durch ihre Kontakte über „Tauschgeschäfte“ am Aufbau des geplanten „Führermuseums“ in Linz mitwirken, beim „Sonderauftrag Linz“. Hildebrand Gurlitt hatte wegen seiner nicht rein „arischen“ Herkunft seine Stellung am König-Albert-Museum in Zwickau verloren. Als Händler mit Kontakten war er den Nazis trotzdem gelegen. Gurlitt verkaufte Werke, die die Nazis als „entartete Kunst“ ins Ausland verkauft sehen wollten, auch an deutsche Sammler der Zeit, etwa die Familie Sprengel.

Jedes Bild erzählt eine Geschichte

Hildebrand Gurlitt war in Kunsthandel und -tauschgeschäfte der Nazi-Zeit verstrickt. Nach dem Krieg wurde er von den Alliierten als Nazi-Opfer eingestuft, der ja erwiesenermaßen als Enkel einer jüdischen Großmutter der Durchsetzung der Moderne geholfen hatte. Gurlitts Narrativ der Dinge: Er habe vielen Juden geholfen, durch seine Geschäfte die Flucht vor den Nazis zu finanzieren. Sein Kunstlager sei im Dresdner Feuersturm zerstört worden.

Die Forschungsstelle Entartete Kunst der Freien Universität Berlin arbeitet seit zwei Jahren die Herkunft der Bestände auf, die man in der Wohnung von Hildebrand Gurlitts Sohn Cornelius fand. Ein Frauenbildnis von Henri Matisse stand zwischen Saftpackungen und Konservendosen.

Behörden schweigen weiter

Nach dem Sensationsfund des Kunstschatzes in München gibt es noch keine Stellungnahme der Behörden. Ein Sprecher der Augsburger Staatsanwaltschaft sagte am Montag, er könne weder bestätigen noch dementieren. Das Nachrichtenmagazin „Focus“ hatte berichtet, dass in einer Wohnung zwischen lauter Müll etwa 1.500 Werke von Meistern der klassischen Moderne lagerten, darunter Gemälde von Pablo Picasso, Franz Marc und Max Beckmann.

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