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Neuausrichtung fehlt

Nach dem Tod von fast 400 afrikanischen Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa haben die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel Ende Oktober die Solidarität der EU-Staaten im Umgang mit Flüchtlingen bekundet. Doch dabei handelte es sich offenbar nur um Lippenbekenntnisse. Beschlüsse gab es nicht.

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Zu einer grundlegenden Neuausrichtung oder Reformen der Asylpolitik - etwa einer anderen Verteilung der Flüchtlinge - sind die meisten Länder, darunter die „EU-Supermacht“ Deutschland, nicht bereit. Das Europaparlament kritisierte die Ergebnissen des EU-Gipfels zur Flüchtlingspolitik scharf. Es fehle Klartext, sagte Rebecca Harms, Kofraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, am zweiten Tag des Gipfels in Brüssel in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa. „Klartext heißt: Alle europäischen Mitgliedsstaaten müssen dazu gebracht werden, dass sie Asylrecht umsetzen.“ So gebe es im Süden des Kontinents keinen ordentlichen Zugang zu Asylverfahren.

Bootsflüchtlinge

APA/EPA/ANSA/Giuseppe Lami

Während des Gipfels mussten rund 700 Flüchtlinge vor Sizilien aus Seenot gerettet werden

EU: Ursachen bekämpfen

In der Erklärung zur Flüchtlingspolitik wurde auf italienisches Drängen an zwei Stellen ein Bekenntnis zur Solidarität zwischen den EU-Staaten aufgenommen. Die Staats- und Regierungschefs bekundeten ihre „tiefe Trauer angesichts der jüngsten Ereignisse“. „Geleitet vom Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten“ sollten „konsequente Maßnahmen“ ergriffen werden, um zu verhindern, dass Menschen auf See ihr Leben lassen und dass sich solche menschlichen Tragödien wiederholen.

Die eigentlichen Ursachen der Migrationsströme müssten bekämpft werden. Experten sollten „gemäß den Grundsätzen der Vorbeugung, des Schutzes und der Solidarität“ Vorschläge für die EU-Flüchtlingspolitik machen.

Längerfristige Maßnahmen nächsten Juni

Entscheidungen wurden auf den nächsten Europäischen Rat der 28 Staats- und Regierungschefs im Dezember verschoben. Beim EU-Gipfel im Juni nächsten Jahres sollten längerfristige Maßnahmen überlegt werden. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy sagte nach dem Gipfel, ein rasches Handeln sei nötig. Es sei nicht hinnehmbar, dass Tausende Personen vor den Toren Europas ums Leben kommen. „Jetzt gibt es das Gefühl der Dringlichkeit, es muss etwas geschehen“. Dabei sprach er die Task-Force an, die beim Dezember-Gipfel ihren Bericht vorlegen werde.

Barroso: FRONTEX stärken

In verschiedenen Bereichen müsse, so Van Rompuy weiter, stärker agiert werden, beispielsweise bei Such- und Rettungsoperationen und Unterstützung jener Staaten an den südlichen Grenzen, die am meisten exponiert seien. Darüber hinaus müsse mit den Herkunfts- und Transitländern stärker zusammengearbeitet werden, um die Migrationsströme besser in den Griff zu bekommen. Außerdem sei der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den Menschenhandel zu verstärken.

Ebenso wie Van Rompuy sagte Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso, dass die Grenzschutzagentur FRONTEX gestärkt werden müsse. Konkrete Zahlen nannte der Ratspräsident aber nicht. Barroso sprach von einer Bündelung von Ressourcen. Natürlich müsse FRONTEX auch operationell aufgestockt werden. Es gehe um vorbeugende Bemühungen. Van Rompuy will die „Wurzel der illegalen Migrationsströme ausmerzen“. Im Dezember seien dazu operationelle Entscheidungen zu treffen.

Faymann für europäische Flüchtlingsquote

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sprach sich während des Gipfels für eine europäische Flüchtlingsquote aus. Es gebe „unterschiedliche Sichtweisen für die mittel- und längerfristige Zukunft“, so Faymann. Eine Flüchtlingsquote in Europa sei „doch angebracht“. „Teil bei der Lösung oder bei der Milderung des Problems für Flüchtlinge wäre natürlich, wenn jedes Land bereit wäre, eine gewisse Quote Asylwerber und Flüchtlinge auch aufzunehmen.“ Die Niederlande seien aber dagegen.

Insbesondere die Frage von Flüchtlingsquoten sei kontroversiell. Sollte eine schnelle Reaktion erforderlich sein, sei der Vorschlag von EU-Kommissionschef Jose Manuel Durao Barroso richtig, Italien finanziell zu unterstützen. „Aber der nächste Schritt müsste meiner Meinung nach eine Quote sein, an die sich alle Länder halten.“ Man könne sich aber vorstellen, dass diese Diskussion in der EU länger dauern werde. Derzeit seien die Lasten unter den EU-Staaten bei der Flüchtlingsaufnahme pro Million Einwohner sehr unterschiedlich verteilt.

Österreich sei weit vorne bei der Aufnahme von Flüchtlingen, Malta sei aber noch weiter vorne, sagte Faymann. „Das würde zumindest für Malta eine Entlastung bedeuten.“ Ähnliches gelte für jene Länder, die derzeit die meisten Flüchtlinge haben. Die EU müsse Instrumente vorsehen, wie man künftig mit dem Flüchtlingsschutz umgehe, sagte Faymann.

Grünes Lob für Faymann

Lob erntete Faymann dafür bei den Grünen. „Es ist erfreulich, dass nun auch Bundeskanzler Faymann den Vorschlag der Grünen bezüglich einer solidarischen und fairen Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Länder unterstützt“, so die grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun während des Gipfels. „Dafür muss sich die gesamte österreichische Bundesregierung nun bei EU-Räten und in der Kommission starkmachen. Denn während manche EU-Länder kaum Schutzsuchende aufnehmen, werden jene an den EU-Außengrenzen wie z. B. Malta oder auch die Insel Lampedusa seit Jahren mit der Versorgung alleingelassen“, sagte Korun.

Die Folge sei ein Verelenden der Flüchtlinge. „Damit diese faire Verteilung stattfinden kann, braucht es eine Reform des Dublin-Systems, das die Länder an der EU-Außengrenze zu Alleinverantwortlichen erklärt. Auch da setzen wir auf den Einsatz der Regierung.“ Das Ziel müsse eine solidarische europäische Asylpolitik sein. Solange das nicht erreicht sei, würden Schutzsuchende entweder wie heiße Kartoffeln zwischen den EU-Ländern hin- und hergeschoben oder müssten von Land zu Land ziehen, damit sie Schutz und eine menschenwürdige Behandlung bekämen, so Korun.

700 Flüchtlinge aus Meer gerettet

Vor der Küste der italienischen Mittelmeer-Insel Sizilien wurden genau während des Gipfels etwa 700 Flüchtlinge aus dem Meer gerettet. Die italienische Marine teilte mit, es habe mindestens fünf Einsätze gegeben, bei denen die Menschen geborgen worden seien. Unter ihnen waren demnach auch Frauen und Kinder. Woher die Flüchtlinge stammten, war zunächst unklar.

318 Flüchtlinge wurden den Angaben zufolge von zwei Schiffen der Marine aufgenommen und stiegen später auf ein größeres Schiff um. Die italienische Küstenwache rettete demnach etwa 300 weitere Menschen von zwei Flüchtlingsbooten. Weitere 91 Flüchtlinge seien von einem maltesischen Frachtschiff geborgen worden.

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