Kalkspritzen für Gräber
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hat man in Norwegen damit begonnen, Leichname in Plastik einzuhüllen und erst dann in Holzsärge zu legen. Diese Bestattungsform war besonders im Sommer, also bei fehlender Kälte, üblich, um Verwesungsgeruch vor der Beerdigung zu verhindern. Bis weit in die 1980er Jahre hinein war diese Praxis in Norwegen verbreitet.
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Hunderttausende Leichname waren bestattet worden, bevor die Bestatter bemerkten, dass die luftdichte Verpackung die Zersetzung verhindert. In der norwegischen Hauptstadt Oslo werden Gräber von der Kommune gratis zur Verfügung gestellt - allerdings nur für einen Zeitraum von 20 Jahren. Wer möchte, dass das Grab eines verstorbenen Familienmitglieds über diese Zeit hinaus erhalten bleibt, muss dafür bezahlen.
Kein „Asche zu Asche“
„Der Pfarrer sagt ‚Asche zu Asche‘, aber wir haben am anderen Ende keine Asche“, so die Leiterin der städtischen Friedhöfe und des kommunalen Bestattungsinstituts von Oslo, Margaret Eckbo, gegenüber dem „Wall Street Journal“ („WSJ“). Das Problem ist in Städten wie Oslo, wo es wenige verfügbare Grundstücke gibt, besonders drängend. Der übliche Vorgang, Gräber neu zu belegen, wird durch die „Plastikbestattung“ unmöglich. Denn es ist per Gesetz verboten, diese Gräber wieder zu benutzen.
Zunächst überlegte Eckbo, die Friedhöfe einfach zu vergrößern, das war allerdings zu teuer und traf bei der Politik auf wenig Gegenliebe. „Politiker sind nicht gerade begeistert, Grundstücke für Tote herzugeben, wenn sie darauf Seniorenheime oder Kindergärten bauen könnten“, bringt es Eckbo gegenüber dem „WSJ“ sehr trocken auf den Punkt.
Luft, Kalk und Wasser
Die Kombination von Kunststoff und lehmhaltiger, feuchter Erde verhinderte den Zerfallsprozess und führte dazu, dass die Toten mumifziert wurden. Es kam bei diesen Fällen zur Leichenwachsbildung - das ist bei sehr lehmigen Böden auch möglich, wenn der Leichnam nicht in Kunststoff gewickelt ist.
Kjell Larsen Ostbye, selbst früher Mitarbeiter eines Bestattungsinstituts, erdachte eine Lösung für dieses Problem. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem Löcher in den Boden des Grabes und in die Plastikhülle gegraben werden. Dann wird Luft mit gebranntem Kalk eingeblasen, bei gleichzeitiger Wasserzufuhr unter Hochdruck. Dadurch wird die Temperaturentwicklung im Grab beeinflusst, um die Zersetzung des Leichnams zu beschleunigen. Ein Jahr später kann das Grab wiederverwendet werden.
Umweltverträglich und leise
Ostbye hat mittlerweile ein eigenes Unternehmen, Nomias, gegründet, das Gräber laut eigenen Angaben „umweltverträglich und kostengünstig“ saniert. Pro Grab zahlt die Stadtverwaltung Oslos umgerechnet 500 Euro. Für Nomias gibt es auf Jahre jedenfalls genügend Arbeit - und das Unternehmen hofft, sein Verfahren auch in andere Länder exportieren zu können, etwa nach Deutschland.
Die Sanierung hinterlässt kaum Spuren am Grab und geht vergleichsweise geräuscharm vonstatten. Ein kleiner Bagger, wie auch zum Ausheben von Gräbern üblich, und mehrere Erdsonden sind die wichtigste - für Beobachter sichtbare - Ausstattung. Die Nomias-Mitarbeiter werden immer wieder von Friedhofsbesuchern gefragt, was sie eigentlich tun.
Einige würden sich nach der Antwort zunächst unbehaglich fühlen, freundeten sich dann aber zumeist mit der Idee an, so der Schwede Rikard Karlsson, der Ostbye bei der Entwicklung des Zersetzungsverfahrens half. Eine 77-jährige Besucherin des Grefsen-Friedhofs in Oslo meinte gegenüber dem „WSJ“: „Ich denke, das ist eine gute Sache, besonders für künftige Generationen.“
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