Alte Regelungen bleiben
Nach dem Flüchtlingsdrama von Lampedusa mit knapp 300 Toten will die EU trotz heftiger Kritik ihre Asylpolitik nicht ändern. Die bestehenden Regeln zur Aufnahme von Flüchtlingen, die insbesondere Mittelmeer-Länder wie Italien belasten, bleiben erhalten. Das wurde beim Treffen der EU-Innenminister am Dienstag in Luxemburg deutlich.
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Demnach bleibt das Land, in dem ein Flüchtling die EU erreicht, für das Asylverfahren und die Unterbringung verantwortlich. Südeuropäische Länder wie Italien beklagen eine Überlastung. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) betonte, die Dublin-II-Regelung bleibe „selbstverständlich“ erhalten.
Deutschland zeigt Härte
Deutschland sei „das Land, das die meisten Flüchtlinge in Europa aufnimmt“, sagte der CSU-Politiker. Laut Statistik kamen in Deutschland 2012 rund 945 Asylbewerber auf eine Million Einwohner, in Italien dagegen nur 260. „Das zeigt, dass die Erzählungen, dass Italien überlastet ist mit Flüchtlingen, nicht stimmen“, sagte der Minister.
Die Debatte verlief mit teils scharfen Worten. Friedrich wies Kritik des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), zurück. Dessen Forderung, Deutschland müsse mehr tun, beweise „mangelnde Sachkenntnis“. EU-Justizkommissarin Viviane Reding bescheinigte Minister Friedrich „Bierzelt-Aussagen“.
Mikl-Leitner: Änderung „nicht notwendig“
Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte, eine Änderung der Dublin-II-Verordnung sei „nicht notwendig“. Österreich sei nämlich schon jetzt an vierter Stelle der EU-Staaten, was die Asylquote betreffe. Daher sei es nicht in der Pflicht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Vielmehr sprach sich Mikl-Leitner für eine Entlastung der bisherigen Hauptaufnahmeländer aus. „Ich halte sehr viel davon, ein System zu finden, das einfach mehr die Verantwortung gerecht aufteilt.“
Italien verlangt Hilfe
Italien bat in Luxemburg die Partner um Hilfe. „Wir verlangen, dass Europa uns eine starke Hand reicht, um Menschenleben zu retten“, sagte Italiens Innenminister Angelino Alfano. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström appellierte an die EU-Staaten, die Verantwortung besser aufzuteilen. Derzeit entfalle fast die gesamte Last auf sechs oder sieben der 28 Staaten. „Viele können mehr tun“, betonte Malmström.
EU-Kommission für Frontex-Operation
Die Schwedin sieht eine Änderung des bestehenden Asylsystems derzeit nicht als machbar. Stattdessen will sie die Bemühungen zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot verstärken. „Ich werde den Mitgliedstaaten eine große Frontex-Operation im gesamten Mittelmeer von Zypern bis Spanien vorschlagen“, sagte Malmström. „Ich werde nach der politischen Unterstützung und den notwendigen Mitteln dafür fragen, um mehr Menschenleben zu retten.“
Ein EU-Diplomat kritisierte den Plan als „naiv“, die Lösung sei eine strengere Kontrolle der Küsten Libyens und Tunesiens durch die Küstenwachen dieser Länder. Italiens Innenminister Angelino Alfano nannte den Vorschlag hingegen ein „gutes, konkretes Signal“. Alfano forderte einen europäischen Aktionsplan, um sein Land bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen.
EU richtet Task-Force ein
Die EU-Innenminister einigten sich lediglich auf die Einrichtung einer Task-Force. Diese sollte laut Friedrich unter anderem prüfen, wie die europäischen Mittelmeer-Länder im Kampf gegen Schlepper finanziell entlastet werden können. Im Kern gehe es darum, mit den afrikanischen Transitländern zu verhandeln, wie diese effektiver gegen Schlepperbanden vorgehen können. „Wir müssen die Schlepperbanden unschädlich machen“, so Friedrich. Die Task-Force sollte auch operativ tätig werden und eng mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex verzahnt sein, sagte Friedrich.
Scharfe Kritik an italienischen Gesetzen
Die EU-Abgeordneten übten scharfe Kritik an den rigorosen italienischen Antiimmigrationsgesetzen, die Fischer mit Strafe bedrohen, sollten sie in Seenot geratenen Flüchtlingen helfen. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas sagte, eine solche Regelung könnte vor dem EuGH nicht bestehen.
SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried sprach von einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, FPÖ-Europaabgeordneter Andreas Mölzer bezeichnete die Regelung als „puren Schwachsinn“. Er sprach sich für eine Stärkung von Frontex aus, damit die Boote gar nicht erst von Afrika in See stechen. Die grüne Abgeordnete Ulrike Lunacek lehnte diesen Vorschlag ab und forderte vielmehr die Einführung von humanitären Visa für Flüchtlinge.
EU-Grundrechtsagentur: „Jetzt handeln“
Auch die EU-Grundrechtsagentur (FRA) rief die EU auf, ihre Flüchtlingspolitik zu ändern. „Wir müssen jetzt handeln, um ein Gleichgewicht zu finden zwischen unseren Grenzkontrollrechten und den Bedürfnissen und Rechten der Migranten“, betonte FRA-Direktor Morten Kjaerum in einer Aussendung. Konkret forderte er, dass Fischer künftig nicht mehr bestraft werden sollen, wenn sie in Seenot geratene Migranten retten.
Ärger über Deutschland
In der EU-Kommission ist man verärgert und irritiert über Deutschland, das erneut das Thema der Armutseinwanderung in die EU-Debatte einbrachte - also von Bulgaren und Rumänen, die angeblich nach Deutschland kommen, um Geld aus den Sozialsystemen zu beantragen. Friedrich sprach von „Leistungserschleichung“.
Die EU-Kommission nannte diese Darstellung „überzogen“ und verlangte Zahlen als Beweise. Der Ärger entlud sich ganz undiplomatisch. EU-Justizkommissarin Viviane Reding bescheinigte Friedrich „Bierzelt-Aussagen“ - etwa um am Stammtisch Wähler zu begeistern. In der politischen Debatte seien aber Sachargumente gefragt, so Reding.
Enttäuschung nach Ministertreffen
Bei der Flüchtlingspolitik enttäuschen die EU-Staaten Menschenrechtler wie etwa jene von Pro Asyl. Diese fordern, die Abschottungspolitik aufzugeben. „Die Schleuserkriminalität ist eine Folge der für Flüchtlinge verschlossenen EU-Grenze“, kritisierte Pro Asyl.
Das Treffen der Innenminister rief auch im EU-Parlament Enttäuschung hervor. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda, sagte im RBB-Inforadio, es gebe viele Politiker, die alles bedauerten, aber wirkliche Lösungen verhinderten: „Die Krokodilstränen, die viele jetzt vergießen, sind zynisch.“ Im EU-Parlament hofft man darauf, dass das Flüchtlingsthema auf die Agenda des EU-Gipfels Ende Oktober kommt.
Die EU-Kommission hält die Sorge Deutschlands jedoch für unbegründet. Malmström sprach von teils „stark übertriebenen“ Bedenken.
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