US-Kleinstadt mitten im Dschungel
Propere Vorstadthäuschen mit weißen Zäunen, Cafeterias, Schulen, sogar Tennisplätze, ein Tanzpavillon und ein Golfplatz: Der Autoproduzent Henry Ford hat Ende der 20er Jahre binnen kurzer Zeit die Kopie einer US-Kleinstadt mitten in den brasilianischen Dschungel gepflanzt. Dort sollte der Kautschuk gewonnen werden, den er zur Fertigung seiner Autos benötigte.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Doch kein Tropfen Kautschuk aus dem Städtchen Fordlandia kam jemals in den Fabriken in den USA an. Fords Projekt, nicht nur Produktionsbedingungen, sondern auch US-Lebensstil zu exportieren, wurde zu einem einzigen Desaster.
Unabhängigkeit von Zulieferern
Dabei war der Plan nachvollziehbar: Ford wollte seine Produktion durch den Kauf von Betrieben, die ihm seine Rohstoffe zulieferten, absichern. Bei Kautschuk sah er sich aber niederländischen, britischen und deutschen Kartellen gegenüber, die Plantagen in Südostasien betrieben. Der Samen dafür stammte aus dem Dschungel des Amazonas. Und genau dort wollte Ford, damals reichster Mann Amerikas, seine Plantagen anlegen.
Pilz raffte Pflanzen dahin
1927 kaufte er 10.000 Quadratkilometer Land in der Nähe der Stadt Santarem. Tausende Gummibäume wurden gepflanzt - ohne botanische Kenntnisse. Experten hätten die Amerikaner wohl drauf hingewiesen, dass sie die Pflanzen in dem feuchten, hügeligen Gelände viel zu eng aneinandersetzten.
Damit gediehen nicht die Gummibäume, dafür aber ein Pilz, der mit der Südamerikanischen Blattfallkrankheit die Pflanzen dahinraffte. Dass der zwielichtige Unterhändler, der Ford das Grundstück vermittelte, dieses früher selbst besessen hatte und wohl wusste, dass es kaum für die geplante Nutzung geeignet war, ist nur eine Fußnote der Geschichte.
Kultivierung des Menschen
Nach dem ökonomischen Scheitern rechtfertigte Ford sein Projekt mehr und mehr fragwürdig-idealistisch als Versuch der Zivilisierung und als soziologisches Experiment, schreibt der Historiker Greg Grandin in seinem 2009 erschienenen Buch über Fordlandia. Eine Zeitung berichtete damals, Fords Absicht sei es weniger gewesen, Gummibäume als vielmehr Arbeiter und Menschen zu kultivieren.
Doch Ford scheiterte darin, sein in den USA erfolgreiches Modell der Verknüpfung von Massenproduktion und Massenkonsum auf den brasilianischen Urwald zu übertragen. In der westlichen Welt sollte sein Konzept - die Automatisierung der Produktion bei gleichzeitig recht hohen Löhnen, die wiederum den Konsum der Arbeiter und damit die Umsätze der Unternehmer ankurbeln - als Fordismus in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. In Fordlandia floppte das Modell.
Rebellion gegen US-Lebensweise
Die brasilianischen Arbeiter wurden nach US-Vorbild mit Haferflocken, Vollkornbrot und Dosenpfirsichen abgespeist. Arbeitszeiten von 9.00 bis 17.00 Uhr wie in den Heimatfabriken waren in der tropischen Hitze wahnwitzig. Tanz- und Literaturabende stießen ebenfalls auf wenig Begeisterung.
Auch noch die Prohibition aus den USA zu exportieren und Alkohol in der Stadt zu verbieten erwies sich überhaupt als Desaster: Um die Stadt herum entwickelte sich ein Moloch an Bars. Als die Arbeiter schließlich - bereits im Dezember 1930 - ihr Essen auch noch per Selbstbedienung aus den Cafeterias abholen sollten, revoltierten sie und schlugen die halbe Stadt kurz und klein. Fords US-Gewährsleute mussten kurzerhand fliehen.
Gigantischer Verlust
Aufgeben wollte Ford - ohne den Ort je besucht zu haben - dennoch nicht: Noch jahrelang wurde das Projekt weitergeführt, einige Kilometer weiter in Belterra versuchte man auf geeigneterem Boden die Produktion. Einmal, 1942, wurde der Spitzenwert von 750 Tonnen Gummi erreicht. Ziel waren 38.000 Tonnen pro Jahr.
Als schließlich auch noch synthetischer Kautschuk langsam dem Naturkautschuk auf dem Markt das Wasser abgrub, beendete Ford 1945 das Experiment und verkaufte Fordlandia um 250.000 Dollar an die brasilianische Regierung. 20 Millionen Dollar nach damaligem Wert hatte Ford das Abenteuer gekostet - nach heutigen Maßstäben sprechen Quellen von 200 Millionen bis zu einer Milliarde Dollar.
Geisterstadt im Dschungel
Fordlandia wurde noch eine Zeit lang bewohnt, heute gleicht es einer Geisterstadt. Die Produktionshallen verfallen, werden von Pflanzen überwuchert und sind fast vergessen. Nur ein einziges anderes Projekt Fords erwies sich - wenn auch mit weniger megalomanischen Ausmaßen - als derartiger Schlag ins Wasser: sein Versuch, ein Auto herzustellen, bei dem sowohl Karosserie als auch Treibstoff aus Hanf gewonnen werden.
Links: