Politik sucht nach Antworten
Das Flüchtlingsdrama vor der italienischen Mittelmeer-Insel Lampedusa hat in Italien am Donnerstag die laufende Regierungskrise kurz vergessen lassen. Regierungschef Enrico Letta sprach von einer „riesigen Tragödie“ und ordnete für Freitag einen nationalen Trauertag an. Die Regierung, aber auch die Internationale Gemeinschaft wurden gleichzeitig für ihre bisherige Flüchtlingspolitik scharf kritisiert.
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Die Bürgermeisterin der Inselhauptstadt, Giusi Nicolini, forderte Letta laut dem Nachrichtenportal Huffington Post Italia auf, nach Lampedusa zu kommen, „um mit mir die Toten zu zählen“ und „dem Horror ins Gesicht zu blicken“. Die per Brief und Twitter an die Regierung in Rom gerichtete Botschaft sei, so Huffington Post, nicht als Provokation zu verstehen - es handle sich vielmehr um einen Aufschrei der Hilflosigkeit, da die Behörden an Ort und Stelle sich nach wie vor mit der anhaltenden Flüchtlingsproblematik alleingelassen fühlten.

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Nicolinis Twitter-Botschaft an Letta: „Kommen Sie nach Lampedusa, um dem Horror ins Gesicht zu blicken“
Laut Außenministerin Emma Bonino habe man es mit einem „unaussprechlichen Drama“ zu tun. Nun gelte es nicht nur, erneut Tote aus dem Meer vor Lampedusa zu bergen - die Politik müsse sich nun endlich auch die Frage der Verantwortung stellen. Erneut sei deutlich geworden, dass sie „unfähig“ war, in der Flüchtlingsproblematik eine brauchbare Lösung zu finden.
„Unsere Küste ist auch Küste Europas“
Einmal mehr fühlt sich Italien unterdessen mit den Flüchtlingen an seinen Küsten allein gelassen und dringt auf Hilfe aus der EU. „Wir stehen jetzt vor Massakern an Unschuldigen, weshalb man sich nicht mehr um die absolute Notwendigkeit von Entscheidungen und Aktionen der internationalen Gemeinschaft und vor allem der EU herumdrücken kann“, sagte Staatspräsident Giorgio Napolitano. Innenminister Angelino Alfano, der selbst nach Lampedusa reiste, sagte: „Wir hoffen, dass die EU Notiz davon nimmt, dass es nicht nur ein italienisches, sondern ein europäisches Drama ist.“
Neben Verkehrsminister Maurizio Lupi forderte auch Integrationsministerin Cecile Kyenge bei einer Pressekonferenz die EU zu verstärkter Solidarität auf. Jedes Land sei zwar in unterschiedlichem Maß verantwortlich - die EU müsse aber erkennen, dass Italiens Küste auch die Küste Europas sei.
„Globalisierung der Gleichgültigkeit“
Unterdessen steht auch für UNO-Generalsekretär Bin Ki Moon außer Frage, dass die Nachrichten aus Lampedusa zum Handeln bewegen müssen. Der UNO-Flüchtlingsbeauftragte Antonio Guterres erklärte, er sei „schockiert“ über die steigende Zahl von Flüchtlingen, die im Meer ihr Leben verlören. Insgesamt wurden seit Jahresbeginn in Italien mehr als 22.000 Bootsflüchtlinge gezählt - dreimal mehr als im gesamten Jahr 2012. Scharfe Kritik kam auch von Papst Franziskus, der bereits im Juli bei seinem Besuch auf Lampedusa die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ an den Pranger stellte und nun von einer „Schande“ sprach - mehr dazu in religion.ORF.at.
„Anstrengungen verdoppeln“
Für mehr gemeinsame Anstrengungen in der Flüchtlingspolitik sprach sich unter anderen auch EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström aus. „Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln im Kampf gegen Schlepper, die menschliche Hoffnungslosigkeit ausbeuten“, teilte Malmström am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Sie forderte einen besseren Schutz von Migrantenrechten und mehr legale Möglichkeiten für Flüchtlinge, nach Europa zu kommen. Neben einem verschärften Kampf gegen kriminelle Schlepperorganisationen etwa durch eine bessere Überwachung des Mittelmeers müsse die EU mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge besser kooperieren, um mehr legale Möglichkeiten zur Einwanderung nach Europa zu schaffen, fügte der Sprecher der Innenkommissarin in Brüssel hinzu. „Aber dafür brauchen wir die Unterstützung der Mitgliedsstaaten.“
„Machen nicht genug“
Malmströms Sprecher forderte zudem einen verstärkten Einsatz für die Aufnahme von hilfsbedürftigen Flüchtlingen in Europa: „Wir machen nicht genug.“ Die Flüchtlinge setzen oft ihr Leben aufs Spiel, um in kleinen, unsicheren Booten über das Mittelmeer in die EU zu kommen. „Wir hoffen, dass alle Mitgliedsstaaten Solidarität zeigen und verstehen, dass die Zeit gekommen ist, eine stimmige Einwanderungs- und Asylpolitik zu definieren und umzusetzen.“
Was Flüchtlinge aus Syrien angeht, sieht die EU-Kommission demnach aber im Moment keinen dringenden Handlungsbedarf. „Bisher sind die Ströme und der Druck noch handhabbar aus der Sicht der Europäischen Union“, sagte der Malmström-Sprecher angesichts von rund 50.000 Asylanträgen von Syrern seit Beginn des Konflikts in ihrem Heimatland vor mehr als zwei Jahren. Die Situation könne sich jedoch verschlimmern.
Hahn sieht EU-Gesamtverantwortung
EU-Regionalkommissar Johannes Hahn verwies unterdessen auf die gesamteuropäische Verantwortung. „Es ist nicht mein Dossier, aber natürlich, Europa als Ganzes hat eine Verantwortung“, sagte Hahn am Rande einer Pressekonferenz in Brüssel. „Es ist wirklich eine Tragödie, ganz besonders, weil auch Kinder betroffen sind“, so Hahn weiter. Er spreche stellvertretend für die Kommission und die anderen EU-Institutionen: „Wir sollten sehen, wie wir die Lage verbessern.“
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