„Niedere Künste“ im Kunstkontext
Frauen haben das Design des 20. Jahrhunderts auf vielfältige Weise geprägt: als Designerinnen, Musen der Modernität, Gestalterinnen neuer Lebensräume, als Performerinnen und Wissensvermittlerinnen. Das Museum of Modern Art (MoMA) New York hebt nun den oft verschwiegenen Beitrag von Frauen zur Designgeschichte von 1890 bis 1990 in einer umfangreichen Schau hervor.
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Das MoMA kann dabei auf seine umfangreiche Designsammlung zurückgreifen. Der spannende Twist an der Ausstellung ist, dass sie die Doppelzange vorführt, in die Frauen im Design, zumal retrospektiv, genommen wurden. Auf der einen Seite hatten sie es neben den männlichen Superstars der Szene, gecovert von männlich geprägten Medien, schwer. Dieses Schicksal teilen sie mit Frauen in so gut wie allen Berufen.
Zum anderen wurde aber, von der ganz anderen Seite kommend, ihr Beitrag lange Zeit verschämt verschwiegen, weil er tradierte Rollenbilder zu verstärken schien. Frauen beschäftigten sich oft mit dem Design von Alltags- und, ja, auch Küchengegenständen. Frauen wurden im Grafikdesign, etwa auf Plakaten, als musenhafte Models dargestellt - nicht selten nackt. Und Frauen beschäftigten sich mit handwerklichen Belangen, mit Mode und Stoffen.

The Museum of Modern Art, New York
Wohnküchenelement von Charlotte Perriand und Le Corbusier
Aufbruch, weiblich
Dabei, schreibt Kuratorin Juliet Kinchin in einem ihrer luziden Wandtexte, die in der Ausstellung die Bilder begleiten, seien es gerade Anfang des 20. Jahrhunderts die Frauen gewesen, die in Kunstschulen strömten, die die sogenannten „niederen Künste“ - Dekoratives, Wohndesign, Textiles - im Kunstkontext salonfähig machten. Sie seien es gewesen, die hinausgegangen seien und Kunst, Design und Architektur niederschwellig vermittelt hätten und zu einem „learning by doing“ abseits der großen Institutionen aufriefen.
Es gab Pioniere des Designs von Margaret MacDonald über Eileen Gray bis zu Lilly Reich, die neue Materialien einführten, diese auf neue Art und Weise verwendeten und für Wohnumgebungen sorgten, die zum modernen Lifestyle passten - insbesondere zu einem Alltag, in dem Frauen arbeiten gingen. Ihre Werke, etwa jene der „Amazonen der Avantgarde“ im revolutionären Russland, wurde von Zeitgenossen anerkannt und international ausgestellt.
Die Geburtsstunde der modernen Wohnküche
Einer der Höhepunkte der MoMA-Schau ist die von der französischen Architektin und Designerin Charlotte Perriand gemeinsam mit dem Architekten Le Corbusier 1952 entworfene Küche im Wohnhausprojekt „Unite d’Habitation“. Erst jüngst wurde sie restauriert, und nun ist sie erstmals ausgestellt. Was heute selbstverständlich erscheint, war damals revolutionär und neu: Es handelte sich um die Kocheinheit für eine standardisierte Wohnküche, wie sie heute in Neubauten weit verbreitet ist.
Die Idee hinter dem Barelement war bestechend: Man konnte kochen und gleichzeitig mit Gästen oder der Familie plaudern. Die Küche wurde in einem Großteil der Appartements eingebaut und unterschied sich lediglich in der Ausrichtung, je nachdem, ob das Tageslicht von rechts oder von links in eine Wohnung kam. Neben der Farbgebung war auch die Durchmischung verschiedener Materialien wie Aluminium und Holz bemerkenswert.
Wo das MoMA Nachholbedarf hat
Perriand studierte Anfang der 20er Jahre Innenarchitektur an der von Henri Rapin geleiteten Kunstgewerbeschule Union Centrale des Arts Decoratifs in Paris. Sie begann bereits in jungen Jahren Möbel zu entwerfen und arbeitete von ihrem 24. Lebensjahr an im Atelier von Le Corbusier und Pierre Jeanneret mit. Später machte sie sich selbstständig. Manche ihrer Möbel werden heute um Hunderttausende Euro versteigert.
Ihre Rolle in der Zusammenarbeit mit Le Corbusier wurde jedoch lange Zeit schmählich vernachlässigt. Ein Beispiel dafür könnte das MoMA New York bei sich selbst suchen und finden. Als das Museum die Küche restauriert hatte, gab es online einen Blogbeitrag. Stolz werden darin Geschichte und Funktionen der Küche „Le Corbusiers“ dargelegt. Was fehlt: jeglicher Hinweis auf Pierrand. Nun stellt man dieselbe Küche aus, wenn es in einer Ausstellung explizit um Frauendesign geht.
Brüche in der monolithischen Modernität
Küchendesign ist freilich nur einer von vielen Ausschnitten der weiblichen Designlebenswelten im MoMA. Die Ausstellung widmet sich auch Punk-Künstlerinnen wie Linder (Linda Sterling) und Roberta Bayley, deren ikonisches Ramones-Foto das Debütalbum der Band zierte und damit die Ästhetik des Punk mitprägte.
Und in den 70er Jahren brachen Designerinnen die männliche Dominanz auf, indem sie ihre Autorinnenschaft für Werke an der Seite ihrer Kompagnons einforderten - etwa Lella neben Massimo Vignelli und Denise Scott Brown neben Robert Venturi. Die Ausstellung im MoMA umreißt das Feld und gibt spannende Einblicke in ein Stück unterbelichtete Kulturgeschichte. Schließlich, so heißt es, hätten die Frauen modernes Design zuerst mitgeprägt - und später das Monolithische der Moderne mit ihren Positionen immer wieder durchbrochen; gleichsam der weibliche Ausbruch aus der Doppelzange.
Simon Hadler, ORF.at
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