Traditionell, aber nicht von gestern
Die Vienna Design Week zeigt spektakuläre und kluge Werke und Werkstücke an der Schnittstelle zwischen Kunst und Handwerk, zwischen Experiment und Alltagstauglichkeit. Auf verschiedenen Erkundungstouren wird ein Gefühl dafür vermittelt, warum unsere Welt aussieht, wie sie aussieht - und vor allem dafür, wie sie aussehen könnte.
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Design, sagt Lilli Hollein, die gemeinsam mit Tulga Beyerle die Design Week kuratiert, sei „mehr als nur Stühle“. Noch viel zu wenig werde in der Öffentlichkeit die Rolle wahrgenommen, die Designer in der Gesellschaft spielen: als Moderatoren zwischen den Bedürfnissen der Menschen und Produzenten, zwischen Stadtplanern und -Bewohnern, zwischen Architekten und Menschen. Das ist einer der Gedanken dahinter, junge Designer und Traditionsbetriebe zusammenzubringen.

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Das Chopper-artige Elektrofahrrad Stroller der Firma Lohner
In solchen Betrieben, so Hollein gegenüber ORF.at, sei viel Wissen vorhanden. Wissen, das verloren zu gehen droht, weil die traditionell hergestellten Produkte vom Preis her mit asiatischen Fabrikaten nicht mithalten können. Dieses Wissen wird hier einer breiten Öffentlichkeit vorgeführt.
Vom „Lohner-Porsche“ zum E-Bike
Ludwig Lohner und Ferdinand Porsche hatten etwa schon vor mehr als 100 Jahren Fahrzeuge mit Elektromotoren und Hybridantrieb hergestellt, bekannt als „Lohner-Porsche“. Bis 1918 fabrizierte Lohner auch Flugzeuge, später Feuerwehrautos, Motorroller und Straßenbahnen. Elektromobilität und Mobilität auf zwei Rädern gab es also schon - daran schloss Andreas Lohner an.
Eigentlich in der IT-Branche tätig, holte er die 1970 verkaufte Firma in Familienbesitz zurück, als klassisches Start-up: Eine Idee nach der anderen wird zum Prototyp - und der dann möglichst oft hergezeigt, um herauszufinden, wofür es einen Markt geben könnte und wofür nicht. In Serie geht man jetzt mit dem Elektrofahrrad Stroller. Das hat keinen klassischen Röhrenrahmen, weil man die meist nur aus China importieren kann, sondern ist aus Metallplatten geschnitten. Der Elektromotor ist im Chassis versteckt.
Ein SUV auf zwei Rädern
Der Künstler Thomas Kwapil hat - nur für die Design Week - einen „SUV“-Aufbau an einem Modell des Stroller installiert. SUV deshalb, weil man von oben auf den Straßenverkehr herabblickt, und zwar durch einen Periskop-artigen Spiegelaufbau. Der Einsatz im Straßenverkehr ist freilich nicht zu empfehlen, aber die Anspielung auf eine umwelttechnisch bedenkliche Maschine, angebracht auf einer umweltfreundlichen, sitzt.
Mobilität in der Stadt ist einer der Schwerpunkte der Design Week und wurde auch von französischen Studenten der ECAL Lausanne Universität aufgegriffen, die ein Fahrrad ganz neu designten: Die Bremse funktioniert mittels eines zwischen den äußeren Enden es Lenkern gespannten Drahts. Andere Bac- und Master-Studenten der Uni haben einen Drucker aus Edding-Markern gebaut, verschmolzene Glasprodukte hergestellt und die vielleicht spektakulärste Spielerei fabriziert: einen Schaukelstuhl, der durch die Schaukelenergie einen Mechanismus antreibt, der eine Haube strickt.

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Oscar Wanless und sein Kaffeehaus-Ensemble aus Riess-Email
Email - alles, was der Werkstoff hergibt
Tradition haben im Rahmen der Design Week bereits die Passionswege. Dabei werden Designer und Traditionsunternehmen zusammengespannt - wie im Fall von Lohner und Kwapil - und man wartet ab, was dabei herauskommt. Entweder gar nichts - wenn die Chemie nicht passt. Oder wirklich bemerkenswerte Projekte. Der britische Designkünstler Oscar Wanless etwa fühlte sich beim Emailhersteller Riess sichtlich wohl. Er war angetan von der Offenheit von Andreas Riess und zutiefst fasziniert von den uralten Maschinen, die in der Ybbsitzer Firma noch verwendet werden.
Da wird von einem Kolben eine Metallplatte so in ein Loch gepresst, dass genau eine bestimmte Form entsteht, etwa ein Häferl oder ein Topf. Wanless hat absichtlich zu kleine Kolben verwendet. Dadurch entstehen Gefäße, die zwar eine fixe Grundfläche haben, deren Seitenwände aber unterschiedlich sind - gewellt und gekräuselt. Wanless gefällt die Idee, dass so jedes einzelne Stück ein Unikat ist. Riess stellt auch Straßenschilder her. Durch abgerundete, gewölbte Ecken bekommen die Metallplatten ihre Stabilität. Wanless ließ nach diesem Prinzip Kaffeehausmöbel herstellen, freilich in typischen Riess-Farben. Bei der Design Week kann man nun das Ergebnis sehen.
Herzerwärmende Kunst
Eine weitere Station auf dem Passionsweg ist die Werkstatt der Firma Fessler Kamine in der Wiener Mozartgasse. Dort werden nach wie vor per Hand Fliesen für Kachelöfen geformt und gebrannt und Sichtfenster- sowie offene Kamine hergestellt. Die Räumlichkeiten der Werkstatt alleine sind einen Besuch wert - man fühlt sich in viel frühere Zeiten zurückversetzt. Ton und Holz dominieren in den dicken Gemäuern.

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Künstlerin Hilda Hellström und Clemes Fritzsche, Geschäftsführer von Fessler Kamine. Das Kunstwerk: ein Ofen, der an seiner Oberfläche Metall schmilzt
Eine inspirierende Umgebung für die schwedische Künstlerin Hilda Hellström. Sie arbeitet gerne im Umfeld von Handwerk und mag symbolische Formen. Hier hat sie einen Ofen entworfen, dessen Oberfläche aus gebranntem Ton an ein Steuerrad erinnert. Zwischen den Segmenten wird Zinn zum Schmelzen gebracht, in dem dann Aluminiumkugeln an der Oberfläche schwimmen, die man wiederum mit einem Schuber herumschieben kann. Hellström sagt, sie sei fasziniert vom unterschiedlichen Schmelzpunkt der Metalle. Fessler-Geschäftsführer Fritzsche ist glücklich mit ihrem Objekt. Was war sein Grund, mitzumachen? „Neugier!“
Tradition statt Billigschrott
Viele der Objekte, die im Rahmen der Design Week gezeigt werden, sind schlicht zum Staunen oder Lachen - vom Haubenstrickschaukelstuhl bis hin zu einer Thermopapierkamera, die ausgelöst wird, wenn zwei Menschen sich berühren oder küssen („Thermo Booth“ von Talia Radford und Jonas Bohatsch). Insgesamt bleibt als Eindruck zurück: Alte Technologien, Materialien und Betriebe sind nicht von gestern, nur weil heute überall Billigschrott aus Niedriglohnländern herumsteht. Und junges Design unterstreicht das.
Simon Hadler, ORF.at
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