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Befragungen durch den Geheimdienst

In 392 Unterrichtsstunden in zwölf Wochen werden Flüchtlinge aus Nordkorea in der südkoreanischen Einrichtung Hanawon auf ihr Leben im Kapitalismus vorbereitet. Zuerst wird in einem harten Training aber noch überprüft, ob es sich nicht um Spione handelt, die sich heimlich in den Süden einschleichen wollen.

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Auf einem Gelände von 15.000 Quadratmetern werden seit 14 Jahren Flüchtlinge aus Nordkorea systematisch auf ihr Leben im Süden vorbereitet. Hanawon heißt dieses Umerziehungslager, das etwa 100 Kilometer südlich von Seoul liegt.

Alle tragen die gleiche Kleidung

Näheres ist von diesem Lager nicht bekannt. Journalisten dürfen laut der deutschen „Welt“ zwar geführte Touren mitmachen, Fotografieren oder Hintergrundwissen bleibt ihnen aber verwehrt. Durch die Türen kann man aber erkennen, dass die zurzeit 158 Nordkoreaner alle die gleiche Kleidung tragen, nur die Kinder brauchen diese Uniform nicht.

Flüchtlingslager in Hanawon

picturedesk.com/EPA/Jeon Heon-Kyun

Das Umerziehungslager Hanawon

Angst vor Spionen

In Südkorea ist man gegenüber Flüchtlingen aus dem Norden sehr misstrauisch. Die zwei-, dreitausend Personen, die jährlich nach Hanawon kommen, müssen sich daher gleich nach ihrer Ankunft einer dreiwöchigen Befragung durch den südkoreanischen Geheimdienst NIS unterziehen. Bereits Wochen zuvor müssen die Papiere der Flüchtlinge vorliegen, um sie im Vorfeld überprüfen zu können. Es werden nur Einreisende aus der Demokratischen Volksrepublik Korea aufgenommen. Sino-Koreaner, die China verlassen wollen, werden umgehend zurückgeschickt.

Wenn die Flüchtlinge angekommen sind, dürfen sie in den drei Monaten Aufenthalt keine Besuche von außen empfangen, nicht einmal, wenn sie Familie in Südkorea haben. Sie dürfen das Lager nicht verlassen, es sei denn als überwachte Gruppe. Nur Anrufe von Telefonzellen aus sind gestattet - Mobiltelefone sind nicht erlaubt.

Nordkoreanische Frauen telefonieren im Flüchtlingslager

AP/Lee Jin-man

Nordkoreanische Frauen telefonieren in Einheitskleidung im Umerziehungslager

Zu Beginn werden die Flüchtlinge, die im Süden auch als „Überläufer“ bezeichnet werden, psychologischen Tests unterzogen und „gesundheitlich und psychologisch aufgebaut“, so Seung Hun Jung, der Lagerdirektor, gegenüber einer Journalistin von „Le Monde diplomatique“. Manche Nordkoreaner versuchen über China nach Südkorea zu gelangen. Dort mussten sie laut Seung unter „fürchterlichen Bedingungen leben“. So seien viele Frauen auf ihrer Flucht vergewaltigt worden. Laut dem Leiter des Lagers wirken aber auch die Befragungen durch den Geheimdienst in Hanawon traumatisierend.

Politische Bildung und Unternehmertum

Nach den Überprüfungen lernen die Lagerbewohner für ihr neues „westliches Leben“. In 121 Stunden erfahren sie die Grundlagen über Politik, Partizipation, Geschichte und Grundfreiheiten. Auch lernen sie die „wahre Geschichte der koreanischen Halbinsel“, die der anderen „wahren Geschichte der koreanischen Halbinsel“ von Kim Il Sung in gewissen Punkten ähnlich ist: Wir sind gut, die anderen sind böse.

Neben dem Theorieunterricht in politischer Bildung wird auch in mindestens 174 Stunden Unternehmertum in der Privatwirtschaft gelehrt. „Man lehrt sie Kapitalismus“, fasst Seung das Programm zusammen. Den Flüchtlingen müsse erst beigebracht werden, wie man sich in einem Unternehmen verhält bzw. wie man sich schon zuvor bei einem Bewerbungsgespräch richtig vermarktet.

„Dreckig, schwierig, gefährlich“

Aber auch die Praxis wird nicht vernachlässigt. Völlig selbstverständlich werden die Flüchtlinge gemäß überkommenen Rollenbildern trainiert. So erlernen die Männer den Umgang mit elektrischen Maschinen und Schweißtechniken, Frauen lernen Büroarbeit, Schneidern und Kochen. Auf dem südkoreanischen Arbeitsmarkt haben sie trotzdem oder gerade deswegen nur geringe Chancen. Ein durch Hanawon eingebürgerter ehemaliger nordkoreanischer Flüchtling fasst die Berufsaussichten folgendermaßen zusammen: Es sei eine „3-d“-Arbeit: „dirty, difficult, dangerous“ („dreckig, schwierig, gefährlich“).

Sieben von zehn „Überläufern“ sind übrigens Frauen, denn für sie und Kinder sei es leichter, der nordkoreanischen Überwachung zu entgehen, sagt Seung. Männer würden - gebunden in den Fabriken und Büros - in ihren Bewegungen viel stärker kontrolliert, so der Direktor weiter. Im letzten Jahr lebten offiziell 25.000 Menschen aus Nordkorea im Süden.

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