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Datenanalyse führt zum Wähler

Bei der Wählermobilisierung für die Nationalratswahl setzen heimische Parteien heuer stark auf den direkten Kontakt durch Hausbesuche. Richtig vorbereitet, sind Hausbesuche laut dem Politologen Peter Filzmaier ein „entscheidendes Wahlkampfelement“. Wichtig sei, möglichst früh damit zu beginnen, die notwendigen Daten zu sammeln. Dann würden sich auch Wahlkampfkosten einsparen lassen.

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Bereits im Hochsommer hatten die Generalsekretäre von SPÖ und ÖVP angekündigt, im Nationalratswahlkampf verstärkt auf den direkten Kontakt zum Wähler an der Haustür setzen zu wollen. Auch die anderen Parteien wollen auf diesem Weg Wähler gewinnen - und die aufwendige Arbeit zahlt sich aus. Hausbesuche seien tatsächlich weit unterschätzt, sagt der Politologe Filzmaier gegenüber ORF.at.

„Exzellente“ Datenbank benötigt

Über Medien könne man Themen setzen und versuchen, Stimmungslagen zu beeinflussen, wirklich Wählerstimmen mobilisieren könne man so nicht. Gerade der Wahlkampf der US-Demokraten für Barack Obama habe gezeigt, wie wichtig das von Tür-zu-Tür-Gehen sei. In den USA habe man das wiederentdeckt. Allerdings brauche es für eine erfolgreiche Direktkampagne neben Zeit und Geld vor allem eine „exzellente Datenbank“.

Denn damit ein Hausbesuch effektiv ist, müsse man das Zielpublikum genau auswählen: „Es bringt nichts, wenn SPÖ-Funktionäre von einem ÖVP-Haushalt zum anderen gehen und umgekehrt - das ist Verschwendung von Personal und Zeit.“ Im Gespräch müssten die Funktionäre möglichst zielgenau die für die jeweilige Person und ihre Umgebung wichtigen Themen ansprechen, sagt Filzmaier. Gespräche an der Haustür müssten viel persönlicher als mit Slogans wie „Wir sichern die Pensionen“ geführt werden, mit Themen wie der Hausdämmung in der Siedlung oder der Schließung einer nahe gelegenen Fabrik. „Das entscheidende Kriterium bei den Hausbesuchen ist ein persönlicher Anknüpfungspunkt.“

Je mehr Daten, desto zielgenauer der Wahlkampf

Je mehr Daten verfügbar sind, desto zielgenauer kann wahlgekämpft werden. Obamas Team habe rund 15 Mio. Wählerdatensätze gehabt, so Filzmaier. In der Datenbank einer Politikberaterin Obamas sei von der Zahl der Kinder bis zu den Essgewohnheiten „so ziemlich alles drin“. Diesen Umfang erreiche man aber nur, wenn man konsequent über Jahre hinweg sammle. Die Demokratische Partei erhebe etwa bei jeder Anmeldung zu einer Veranstaltung von Obama über den Computer eine Reihe von Daten. Man könne bestimmte Daten zwar auch kaufen, diese seien aber nur bedingt brauchbar und auch teuer.

Die Daten, in welchen Haushalten überhaupt Wähler für die jeweilige Partei mobilisierbar sind, kommen aus unterschiedlichen Quellen: Einerseits stehen den Parteien das Wählerverzeichnis sowie Wahlergebnisse des jeweiligen Sprengels bei Gemeinde-, Landtags- und Nationalratswahlen zur Verfügung. Andererseits gibt es Daten wie die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft oder Einkommensdaten. Technisch wie rechtlich könnten diese Daten zwar nicht auf eine Person genau heruntergebrochen werden, sagt der Kommunikationsberater Yussi Pick, aber relativ eng auf ein paar Häuserblocks. Zudem geben auf Social-Media-Kanälen viele Leute bereitwillig Infos von sich preis.

Heimische Parteien noch am Anfang

Auch heimische Parteien sammeln laut Filzmaier bereits Daten über Wähler, nur noch nicht so intensiv. Sie seien noch am Anfang, nicht zuletzt wegen der Geldfrage. Zudem sei das nur bedingt populär, entsprechend würden die Parteien es auch nicht so detailliert zugeben, sagt Filzmaier. Manche Parteien wie die Grünen würden bei Direktmailings jedoch angeben, warum die angesprochene Person überhaupt in der Datenbank zu einem bestimmten Thema aufscheint, etwa weil sie sich schon früher dafür interessiert hat.

Startvorteil durch Funktionäre

Die heimischen Parteien, allen voran SPÖ und ÖVP, haben dafür einen anderen Startvorteil: ihr Funktionärsnetz, das meist bis auf Gemeindeebene hinunterreicht. Das sei zwar auch bei den Großparteien nicht mehr so strukturiert und organisationsstark wie früher, könne aber wichtige Infos aus dem jeweiligen Wahlsprengel liefern, so Filzmaier. Zudem hätten gerade Lokalpolitiker oft gute Image-, Sympathie- und Vertrauenswerte und seien daher bei Hausbesuchen gut einsetzbar.

Die FPÖ unter Haider habe Anfang der 1990er Jahre kleine Sprengelfunktionäre sehr systematisch eingesetzt. Die Wirkung sei schon damals von Beobachtern unterschätzt worden, so Filzmaier. Die KPÖ in Graz habe ihre möglichen Wähler ebenfalls sehr zielgerichtet angesprochen, sie habe etwa nicht im Villenviertel über hohe Heizkosten diskutiert.

Mitunter könne die Taktik mit den Funktionären bei divergierenden Interessenlagen zwischen Bundes- und Landespolitik aber auch schiefgehen, wie nun in der Steiermark. Dort hat die Gemeindeinitiative, der rund 120 Gemeinden angehören, beschlossen, den Nationalratswahlkampf für SPÖ und ÖVP zu boykottieren. Sie protestieren unter anderem mit eigenen Plakaten mit dem Slogan „Keine Stimme für die Demokratieverweigerer SPÖ und ÖVP“ gegen die Gemeindefusionen in der Steiermark - mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Laut Filzmaier sind davon rund 150.000 Wahlberechtigte betroffen.

Kleinparteien scheitern oft an Zeit und Personal

Für kleinere Parteien seien Hausbesuche gerade bei knappem Wahlbudget zwar auch eine gute Möglichkeit, Wähler zu akquirieren, meist fehle es ihnen aber an Personal, Zeit und Geld, so Filzmaier. Denn einerseits müssten die notwendigen Daten eingeholt und aufbereitet, andererseits die Funktionäre rechtzeitig geschult und auf eine Linie gebracht werden. Kleinparteien mit einigen hundert Funktionären oder Aktivisten könnten zudem gerade bei Nationalratswahlen nicht das ganze Bundesgebiet abdecken. Für sie sei es besser, sich mit Informationsständen an strategischen Punkten mit dem gewünschten Zielpublikum aufzustellen. Das könne einmal ein Shoppingcenter, einmal die Kärntner Straße in Wien sein.

Umgehung der Wahlkampfkostenbeschränkung

Filzmaier ist überzeugt, dass die heimische Politik in Zukunft verstärkt auf diese Art des direkten Kontakts setzen wird - aus einem weiteren, einfachen Grund: Sie spart damit Geld. „Wenn ich die Dienstleistung nicht zukaufe, sondern mit meinen Funktionären selber mache, ist das eine Möglichkeit, die Wahlkampfkostenbeschränkung zu umgehen“, so Filzmaier. Sobald eine Dienstleistung zugekauft wird, müsste diese ebenfalls in die Beschränkung von sieben Millionen Euro eingerechnet werden. „Wenn ich es mit den eigenen Funktionären mache, gibt es keine Grenze.“ Entsprechend hätten große Parteien mit vielen Funktionären hier einen weiteren Vorteil.

„Nach der Wahl ist vor der Wahl“

Allerdings sollten die notwendigen Vorarbeiten schon jetzt anfangen - am besten bereits im Oktober, sagt Filzmaier, nach dem Motto „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. Die Republikaner bräuchten nach eigenen Einschätzungen mindestens zwei Jahre, um den Vorsprung Obamas bei der Wählerdatenbank aufzuholen. Gerade in „unverdächtigen“ Nichtwahlkampfzeiten seien die Leute zudem zugänglicher als wenige Wochen vor einer Wahl.

Entsprechend sollte die „erste Welle“ der Hausbesuche im Fall einer Wahl im Herbst schon im Frühling beginnen. Optimal wären überhaupt mehrere Besuchswellen, mit der Vorgabe für den Start: „Das Gespräch war gut, wenn du mehr zugehört hast als selbst gesprochen.“ Damit baue man Kontakte auf und sammle auch Themen.

Hausbesuche in Wien, NÖ und OÖ

Gerade in jenen Bundesländern, wo SPÖ und ÖVP bei den Funktionären gut aufgestellt sind - Wien (SPÖ), Niederösterreich und Oberösterreich (ÖVP) sowie Burgenland (SPÖ) und Vorarlberg (ÖVP) - würden die Wahlkampfpläne, die je nach politischem Ereignis laufend adaptiert werden, bereits zwei Jahre vor den Landtagswahlen starten, sagt Filzmaier.

Neben Wien sollen in Niederösterreich und Oberösterreich laut einem Bericht der „Presse“ die meisten Hausbesuche durch ÖVP und SPÖ stattfinden. Alleine die SPÖ hat angekündigt, etwa im Burgenland 115.000 Haushalte besuchen zu wollen. In Wien sollen es ebenfalls rund 100.000 werden.

Nadja Igler, ORF.at

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