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Aus die Maus im Kartenhaus

In Graz tummeln sich Hunderte Künstler und Tausende Kunstinteressierte: Am Freitag hat der Steirische Herbst begonnen. Heuer geht man es ganz grundsätzlich an und lotet die Beziehungen der Menschen untereinander aus - und die sind nicht selten übers Geld geregelt.

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Der Steirische Herbst besteht immer aus einer Vielzahl an Aktivitäten. Da gibt es Theater, Performance, Musik, Theorie und bildende Kunst in allen Varianten. Das Generalthema lautet diesmal „Gefährliche Beziehungen“. Auch wenn Gerti Senger in der Begleitpublikation zum Festival einen Beitrag über Seitensprünge in Liebesbeziehungen schreibt, ist die Stoßrichtung ansonsten klar: Es geht um eine Aufarbeitung der Finanzkrise.

Am Deutlichsten wurde das wohl in der von Luigi Fassi und Katerina Gregos kuratierten Hauptausstellung „Liquid Assets“ im beeindruckenden ehemaligen Zollamt und bei einem Vortrag des norwegischen Künstlers Amund Sjolie Sveen im Rahmen des Eröffnungsmarathons.

„Beherrschen Superreiche die Welt?“

Jahre, eigentlich Jahrzehnte lang war Kapitalismuskritik in der Kunst als ewiggestrig verschrien, als Schwarz-Weiß-Denken, als langweilig, mehr noch als peinlich. Das hat sich geändert. Nun darf die Kuratorin Gregos als eines der Leitthemen ihrer Ausstellung „Beherrschen einige Superreiche die Welt?“ nennen - und ein Künstlerteam legt vergoldete Porzellan-Fäkalien auf geschredderte Euros. Wieso geht das heute wieder? „Dazwischen war die Krise“, sagt Sveen im Gespräch mit ORF.at.

Sein Beitrag zum Steirischen Herbst ist eine Lecture Performance über den Kapitalismus. Sveen ist eigentlich Musiker. Als die Wirtschaftskrise ausgebrochen war, begann er sich vermehrt für das Finanzwesen zu interessieren - aber er verstand kaum ein Wort von dem, was er auf den Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen vorfand. Also vertiefte er sich in die Thematik und versuchte, sich Basiswissen über grundlegende Fragen anzueignen.

Amund Sjolie Sveen

ORF.at/Simon Hadler

Amund Sjolie Sveen und seine „Economic Theory for Dummies“

Dieses angelesene Basiswissen gibt Sveen nun weiter. Beim zehnstündigen Eröffnungsparkours des Steirischen Herbsts am Freitag spielte er den nerdigen Professor und erklärte quer durch die Historie den Homo oeconomicus anhand von - wirklich einmal sehenswerten - PowerPoint-Folien. Das Ganze war eine Art Kabarett mit Musik. Denn Sveen musizierte, wenn es um die Steinzeit ging mit Steinen, zur Industrialisierung mit Dampflock- und Fabriksgeräuschen und schließlich malträtierte er im Zeitalter der Finanzkrise zwecks Soundgenerierung einen Laptop.

Die Hitparade der Kapitalismuskritik

Sveen bringt die Dinge gut auf den Punkt, aber, wie er selbst sagt, ein Ökonom dürfte ihm bei all den Verkürzungen - eine Stunde für die gesamte Wirtschaftsgeschichte - nicht zuhören. Auch die in der Ausstellung „Liquid Assets“ zur Schau getragene Kapitalismuskritik verhält sich mitunter zur Kritischen Theorie oder den Wirtschaftswissenschaften in etwa so wie die aktuellen Top Ten der Hitparade zur Zwölftonmusik. Es sind pointenreiche Volltreffer unter den Beiträgen, aber es geht eher um das berechtigte Ablassen von Dampf, um einen Ausdruck von Wut oder Trauer bis hin zu bassem Erstaunen als um eine differenzierte Analyse.

Blutiger 5-Euro-Schein

ORF.at/Simon Hadler

Salinas und Bergman: „Stained Euros (Las Preferentes)“ (2013) - so sehen Euro-Noten aus, wenn nach dem Raub das Farbpaket explodiert ist

In diesem Zusammenhang sind die Werke von Salinas und Bergman zu nennen, neben den bereits erwähnten Fäkalien sind das auch Euro-Scheine, die rot eingefärbt sind - so als ob bei einem Raubüberfall ein Farbpaket explodiert wäre, Stichwort „Raubtierkapitalismus“. Ebenfalls in diese Kategorie passen James Becketts Porträts von (teilweise verurteilten) Bankern und Beamten, die er als Hauptschuldige der Krise ausmacht. Vor deren Konterfeis legte er schwarze Steine, das Werk nennt sich „Voodoo Justice for People of Finance“.

Das knallbunte Finanzkartenhaus

Andere Werke wiederum gehen in die Tiefe, sie leuchten weniger naheliegende Ecken des Finanzwesens aus. Dazu zählt mit Sicherheit "Allessandro Balteo Yazbecks „Eames-Derivative“. Hier sieht man das englische Wort für Derivate - grob gesagt sind das Wetten auf fallende oder steigende Kurse -, dargestellt als fragiles Kartenhaus. Die Buchstaben wirken gleichsam architektonisch, als ob sie einen Finanzdistrikt bilden würden.

Die Karten des Kartenhauses zeigen Bilder von Relikten der Informationstechnologie. In einer knappen Timeline wird der Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Computern und des Internets auf der einen und des Finanzwesens auf der anderen Seite herausgearbeitet. Flankiert wird das von alten IBM-Werbeanzeigen in Magazinen.

Hier ganz besonders, aber auch sonst in weiten Teilen der Ausstellung, wird der Anspruch von Kuratorin Gregos eingelöst, dass die Werke sowohl inhaltlich als auch ästhetisch bemerkenswert sein sollen. Das knallbunte und dennoch fragile „Derivatives“ sieht einfach gut aus. Auch Künstlerökonom Sveen mag dieses Werk besonders.

 Ausstellungsansicht von „Liquid Assets“

ORF.at/Simon Hadler

Ausstellungsansicht von „Liquid Assets“: Das Wort Derivatives als Kartenhaus, links im Bild alte IBM-Werbungen. Die IT- und Finanzmarktentwicklung hängen eng zusammen.

Kein böser Masterplan

Ebenfalls vielschichtig ist die Arbeit „Mass Media: Today and Yesterday“ von Gustav Metzger. In einem kleinen Raum stapeln sich eineinhalb Meter hoch heimische Zeitungen, es müssen viele tausend sein. Die Besucher sind dazu angehalten, alle Artikel auszuschneiden und an eine große Pinnwand zu heften, die mit der Wirtschaftskrise und, etwas weiter gefasst, „unserem heutigen Lebensstil“ zu tun haben.

Die Arbeit reist, jeweils adaptiert, bereits seit längerem um die Welt. Am Ende sollen dann die Pinnwände aus allen Ausstellungsorten zu einem eigenen Kunstwerk zusammengefügt werden - einem Kunstwerk, das dann wohl über unsere Zeit, wahrgenommen durch die Brille der Medien, aussagekräftig sein könnte.

Der künstlerische Brachial-Pädagoge Sveen findet, bei den Medien fängt das Problem an. Alles werde in der Wirtschaftsberichterstattung so grottenschlecht erklärt, dass kaum jemand etwas verstehen könne. Dabei sei das Wirtschaftssystem ohnehin schon kompliziert genug. Es gebe keine einfachen Erklärungen, keinen bösen Masterplan, keinen Demiurgen, der die Entwicklung des Wirtschaftssystems vorhergesehen und herbeigeführt habe. Das System hänge von so vielen Faktoren ab, dass auch die größten Profiteure oft nur reagieren können - aber eben besser als alle anderen.

Ausstellungsstück von James Beckett: „Voodoo Justice for People of Finance“, Steine liegen vor Bildern

ORF.at/Simon Hadler

James Beckett: „Voodoo Justice for People of Finance“ (2013) - das gezeichnete „J’accuse“ der Finanzkrise, „böse“ Steine beschweren das Schicksal der Banker

IPhones zu Fortpflanzungszwecken

Sveen erklärt die Krise wirtschaftstheoretisch und anthropologisch. Das System kranke daran, dass mit Schulden gehandelt werde, die nie wieder jemand zurückzahlen könne (wie bei den ausständigen US-Immokrediten, die von Banken weiterverkauft wurden) und daran, dass an den Finanzmärkten - ohne mit irgendetwas Realem zu handeln - auf fallende oder steigende Kurse gewettet werde. In beiden Fällen wird mit Geld gehandelt, obwohl es dahinter keine tatsächlichen Werte gibt. Es ist wie bei einem Kettenbrief oder einem Schneeballsystem: Irgendwann ist Schluss.

Anthropologisch erklärt Sveen es in etwa so: Früher konsumierte man nur, was man brauchte. Für die Partnersuche war wichtig, dass man fortpflanzungsfähig wirkte. Heute häufe man Konsumgüter an, in der Hoffnung, dadurch attraktiver zu werden. Auch wenn das iPhone noch funktioniert, werfen wir es weg und kaufen ein neues - in Wahrheit, um damit angeben zu können.

So werde das ewige Wirtschaftswachstum am Laufen gehalten, es sei ein Wachstum um des Wachstums willen. Genau dieses Wachstum gelte es zu hinterfragen. Denn, da ist sich Sveen sicher und mit ihm sämtliche Künstler der Hauptausstellung des Steirischen Herbsts: Glücklich macht diese Art von Wachstum nicht.

Simon Hadler, ORF.at

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