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Historisches Erbe vor dem Aus

Um einen Backsteinbau in bester Londoner Innenstadtlage tobt derzeit ein Bieterrennen, es soll wohl eine Luxusimmobilie daraus werden. Doch es ist kein ganz normales Wohnhaus, das seit Montag zum Verkauf angeboten wird. In der ehemaligen U-Bahn-Station in der Brompton Road wurden nicht nur Züge abgefertigt. Im Zweiten Weltkrieg beherbergte sie die geheime Zentrale der britischen Fliegerabwehr.

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1906 wurde die Station in der Nähe des Luxuskaufhauses Harrods in Betrieb genommen. Doch schon drei Jahre später hielten die Züge immer seltener in der Station, zu wenige Passagiere verwendeten sie. Als gleich um die Ecke die Station Knightsbridge modernisiert wurde, schloss man die Station 1934. 1938 wurde die Immobilie dann an das Kriegsamt, den Vorläufer des britischen Verteidigungsministeriums verkauft.

Archivaufnahme der U-Bahn-Station Brompton Road in London

APA/EPA/London Transport Museum

Die Station, als sie noch genutzt wurde

Zentrale der Luftabwehr

Anschließend wurden in den unterirdischen Anlagen Böden eingezogen und Räume eingerichtet, die Luftabwehr der britischen Armee machte die Station zu ihrer Kommandozentrale. Im Sommer 1940 hatte Nazi-Deutschland begonnen, Großbritannien aus der Luft anzugreifen. Mit Anfang September wurden auch Ziele in der Hauptstadt London bombardiert. Die vehementen Angriffe dauerten bis Ende Oktober, dann stellten die Deutschen die Bombardements bei Tageslicht ein. Vereinzelte Angriffe in der Nacht gab es bis ins Frühjahr 1941.

Heß dort verhört?

Premier Winston Churchill soll in dieser Zeit die Kommandozentrale besucht haben, öfter war er aber in einer anderen Station zugegen. Seine Kabinettsitzungen fanden in der ebenfalls aufgelassenen Station Down Street statt, bis ein eigenes angelegter Bunker fertigstellt war. Generell diente die „Tube“ als Luftschutzbunker für die Londoner Bevölkerung.

Und eine weitere namhafte Person soll in der Brompton-Road-Station gewesen sein: Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß war im Mai 1941 in einer größenwahnsinnigen Aktion nach Großbritannien geflogen, um kurz vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion einen Separatfrieden zu verhandeln. Er sprang mit dem Fallschirm ab und wurde prompt inhaftiert. Und in der Brompton-Road-Station soll er verhört worden sein.

Etliche geschlossene Stationen

Rund 40 geschlossene U-Bahn-Stationen gibt es in London: Die meisten wurden wegen geringer Frequentierung bereits früh geschlossen, andere wurden mit neueren Stationen in der Nähe zusammengelegt.

Investor will historisches Erbe erhalten

Das behauptet zumindest Ajit Chambers, ein Exbanker und einer der Bieter für die Immobilie. Seine Firma, die Old London Underground Company, hat sich auf die Neuadaption von alten U-Bahn-Gebäuden spezialisiert. Einen Dachgarten will er anlegen und das Gebäude mit Restaurants und Bars der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die unteririschen Räumlichkeiten sollen besichtigt werden können und so ihrer historischen Bedeutung angemessen erhalten bleiben. Chambers glaubt auch, in der Politik und der Armee, die das Gebäude bis zuletzt für Schulungszwecke verwendete, Fürsprecher für seine Pläne zu haben.

Archivaufnahme der U-Bahn-Station Brompton Road in London

APA/EPA/London Transport Museum

Stationsname und Plakatwand auf dem Bahnsteig

Preis schon bei 100 Millionen Pfund

Doch beim Kaufpreis wird Chambers wohl nicht mithalten können. Als im Sommer bekanntwurde, dass die Station verkauft wird, ging man von einem Preis von 20 Millionen Pfund (rund 23,7 Mio. Euro) aus. Später wurde schon mit 60 Millionen Pfund spekuliert, laut „Telegraph“ liegt der Preis bei der mit der Abwicklung beauftragten Firma Jones Lang LaSalle mittlerweile bei 100 Millionen Pfund (rund 118,6 Mio. Euro).

Hinaufgetrieben dürfte der Preis durch die Bieterschlacht zweier Interessenten worden sein. Laut „Independent“ rittern ein „mysteriöser“ - weil namentlich unbekannter - ukrainischer Milliardär und die Herrscherfamilie von Katar um die Immobilie. Und beide haben wohl wenig Interesse daran, das historische Erbe zu erhalten, sondern werden die Station wohl eher in ein Luxusdomizil umbauen wollen.

Katar auf großer Shoppingtour

Das Emirat Katar ist seit Jahren mit seiner Qatar Investment Authority auf Shoppingtour in London. Das Luxuskaufhaus Harrods gehört seit 2010 dem Investmentunternehmen, auch das Olympische Dorf von 2012 wurde – in einem Joint Venture mit einem britischen Industriellen – gekauft.

Das Hochhaus „The Shard“ und das umliegende London Bridge Quarter gehören ebenfalls den Investoren aus dem Land am Persischen Golf. Schon 2007 erwarb man die Chelsea Barracks, ehemaliges Militärgebäude im Herzen der Stadt, die hochtrabenden Pläne für das Areal sind derzeit aber auf Eis gelegt. Und auch die alte US-Botschaft in London, freilich ebenfalls in bester Lage, gehört seit einigen Jahren Katar.

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