Themenüberblick

Als BBC-Hören lebensgefährlich war

Millionen Deutsche haben im Zweiten Weltkrieg heimlich BBC gehört. Mit dem Verlauf des Krieges wuchs das Misstrauen gegenüber den Berichten des NS-Regimes. Dabei riskierten die Radiohörer ihr Leben, denn auf das Abhören des „Feindsenders“ stand die Todesstrafe. Begonnen hatte es am 27. September 1938, als die BBC ihre erste Sendung in deutscher Sprache ausstrahlte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

1936 hatte Hitler das Rheinland besetzt, 1938 Österreich „angeschlossen“ und als Nächstes die Sudetengebiete im Visier. Der britische Premier Neville Chamberlain, der eine „Appeasement“-Politik (Beschwichtigungspolitik) verfolgte, wollte auf die drohende Kriegsgefahr in Europa hinweisen und hielt am 27. September 1938 eine Rede, die möglichst viele Menschen erreichen sollte - besonders auch in Nazi-Deutschland.

„Ich bin ein Mann des Friedens“

„Ich bin ein Mann des Friedens bis in die tiefste Tiefe meiner Seele. Für mich ist der bewaffnete Konflikt zwischen Nationen ein Angsttraum. Aber wenn ich die Überzeugung gewinnen sollte, dass eine Nation entschlossen ist, die Welt durch die Drohung mit Gewalt zu beherrschen, dann fühle ich, dass Widerstand geleistet werden muss“, lauteten Chamberlains Worte.

Premierminister Chamberlain bei Hitler 1938

cc-by-sa Bundesarchiv

Hitler empfängt Chamberlain im Vorfeld des Münchner Abkommens auf dem Obersalzberg

Die britische Regierung hegte aber Zweifel daran, dass Chamberlains Aussagen in Deutschland wahrheitsgetreu wiedergegeben würden. So erhielt der Londoner Korrespondent der Wiener „Neuen Freien Presse“, Robert Ehrenzweig-Lucas, den Auftrag, den Redetext ins Deutsche zu übersetzen. Der Maler und Karikaturist Walter Goetz las die Übersetzung im Radio vor.

Das Münchner Abkommen

Damit war der erste deutschsprachige Beitrag der BBC auf Sendung gegangen und der Deutsche Dienst der BBC geboren. Hinter seiner Gründung steckte die Hoffnung, einen Kriegsausbruch doch noch zu verhindern, indem man die öffentliche Meinung beeinflusste. Zwei Tage nach Chamberlains Rede wurde die Sudetenkrise mit dem Münchner Abkommen, das Deutschland das Recht gab, ein Fünftel der Tschechoslowakei zu annektieren, vorerst beigelegt.

Unter Berufung auf das Münchner Abkommen bemächtigte sich Polen des Olsa-Gebiets und Ungarn der Südslowakei. Im März 1939 zerschlug Hitler die Tschechoslowakei dann vollständig: Böhmen und Mähren wurden „Reichsprotektorat“, die Slowakei nominell unabhängig unter dem Marionettenregime des Prälaten Jozef Tiso.

BBC-Sendezentrale "Bush House" in London

AP/Kirsty Wigglesworth

BBC-Sendezentrale „Bush House“

„Strategie der Wahrheit“

In dieser Zeit wurde der Deutsche Dienst der BBC für viele Menschen in Nazi-Deutschland immer mehr zum Symbol für eine zuverlässige Informationsquelle. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 verfolgte die BBC eine von Leiter Hugh Carleton Greene festgelegte „Strategie der Wahrheit“, die sich vehement gegen das Hitler-Regime richtete und vor allem darin bestand, Glaubwürdigkeit zu vermitteln.

„Ziel ist nicht, Propaganda mit Gegenpropaganda zu begegnen, sondern ein größeres Publikum für einen Nachrichtendienst zu gewinnen, der in Englisch bereits in aller Welt einen Ruf für Fairness und Unparteilichkeit gewonnen hat“, war im BBC-Handbuch zu lesen. Im Vordergrund standen bei den BBC-Sendungen verlässliche Informationen über die Kriegssituation und Aufklärung über NS-Verbrechen. Schon 1942 informierte die BBC ihre deutschen Hörer über die Verfolgung und Ermordung der Juden.

Beethovens Fünfte und „Victory“

Eingeleitet wurden die Nachrichten mit den Worten „Hier ist England“, der vier Paukenschläge - dreimal kurz, einmal lang - vorausgingen. Sie sollten sowohl an die Eröffnungstakte der Fünften Symphonie von Ludwig van Beethoven erinnern als auch das Morsezeichen für den Buchstaben „V“ wiedergeben, der im Englischen für „Victory“ („Sieg“) steht.

Nachrichten, Satiren und Lieder

Neben Nachrichten über die Frontlage gab es politische Kommentare und Sendefolgen, in denen prominente deutsche Emigranten zu Wort kamen - darunter Sigmund Freud, Albert Einstein und Thomas Mann. Satirische Sketche und Lieder ergänzten das Programm. Die Sendung „Kurt und Willi“ etwa zog in scheinbar belanglosen Zwiegesprächen die Nazi-Ideologie ins Lächerliche.

Die fiktiven „Briefe des Gefreiten Hirnschal an seine Frau Amalia“ entlarvten die NS-Propaganda, indem sie beim Wort genommen und mit der Wirklichkeit konfrontiert wurden. In „Hitler gegen Hitler“ wurden Auszüge aus dessen Reden so gegenübergestellt, dass sich eindeutige Widersprüche ergaben. Und zur Melodie von „Lili Marleen“ sang Lucie Mannheim: „Der Führer ist ein Schinder, das weiß man ganz genau. Zu Waisen macht er Kinder, zur Witwe jede Frau.“

„Englisch inhalieren“

Der deutsche Propagandaminister Joseph Goebbels installierte Störsender, um den Empfang des britischen Programms zu verhindern. Denn schätzungsweise zehn bis 15 Millionen Deutsche schalteten in den Kriegsjahren regelmäßig die BBC ein. „Englisch inhalieren“ nannten sie das Hören des „Feindsenders“, das oft unter der Bettdecke getan wurde, um verdächtige Geräusche zu dämpfen, denn auf das Hören der BBC stand die Todesstrafe.

Anonyme Briefe aus der DDR

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Deutsche Dienst der BBC zwar weiterbetrieben, das Programm hatte jedoch zwischen 1939 und 1945 seine größte Bedeutung erlangt. Während des Kalten Krieges lernten viele DDR-Bürger den Deutschen Dienst der BBC zu schätzen. Beliebt waren humoristisch-satirische Serien wie „Der verwunderte Zeitungsleser“ oder „Die zwei Genossen“. Zahlreiche Hörer in der DDR schrieben dem BBC-Büro in Berlin anonyme Briefe und bedankten sich darin für das Programm oder lieferten Anregungen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 schien der vom britischen Außenministerium finanzierte Deutsche Dienst der BBC seine Rolle allmählich einzubüßen und fiel zehn Jahre danach schließlich einem Sparprogramm zum Opfer. Am 26. März 1999 wurden die deutschsprachigen BBC-Programme unter großem Protest der Hörer eingestellt.

Links: