Wulff droht Haftstrafe
Erstmals in Deutschland wird einem früheren Bundespräsidenten der Prozess gemacht: Ab 1. November muss sich Christian Wulff vor dem Landgericht Hannover wegen Vorteilsnahme in seiner Amtszeit als Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Niedersachsen verantworten.
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Das hatte zuvor auch der „Spiegel“ (Onlineausgabe) berichtet. Das Gericht hatte seine Entscheidung den Anwälten in einer 14-seitigen Stellungnahme mitgeteilt. Auf Anfrage wollte es sich sich aber zunächst nicht öffentlich zu der Entscheidung äußern. Nach Informationen der Agentur dpa sind zunächst 16 Verhandlungstage angesetzt.
Wegen Vorteilsnahme angeklagt
Die Staatsanwaltschaft Hannover hatte Wulff zunächst im April wegen Bestechlichkeit angeklagt, den Filmproduzenten David Groenewold wegen Bestechung. Das Gericht stufte die Vorwürfe nun auf Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung herunter. Während Vorteilsnahme mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden kann, sieht das Strafgesetzbuch für Bestechung bis zu fünf Jahre Haft vor.

AP/Michael Sohn
Februar 2012: Wulff gibt an der Seite seiner Frau seinen Rücktritt bekannt
Zur Herabstufung der Vorwürfe erklärte das Gericht, dass eine Bestechlichkeit mit einer Verletzung von Dienstpflichten bei einer Diensthandlung zusammenhängt. Bei Vorteilsnahme geht es dagegen darum, dass ein Vorteil bei der Dienstausübung angenommen wird. Dabei ist es egal, ob pflichtwidrig gehandelt wird oder nicht. Es sei ausreichend, dass der Vorteil „allgemein inhaltlich mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft und damit geeignet ist, den bloßen Anschein der Käuflichkeit zu erwecken“.
Oktoberfestbesuch teilfinanziert
Der Filmregisseur Groenewold hatte 2008 einen Teil der Kosten für einen Oktoberfestbesuch des Ehepaares Wulff in München übernommen. Wulff, zu dieser Zeit amtierender niedersächsischer Ministerpräsident, wusste davon nach eigenen Angaben nichts. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Groenewold Wulff motivieren wollte, für eines seiner Filmprojekte um Geld zu werben. Das tat Wulff einige Wochen später auch.
Anwälte sehen „Normalfall“
Wulffs Anwälte kommentierten die Entscheidung auf ihrer Website: „Die Zulassung und gerichtliche Überprüfung einer von der Staatsanwaltschaft erhobenen Anklage ist der Normalfall.“ Das Gericht habe den Vorwurf gegen Wulff „allerdings erheblich reduziert“.
Die Verteidiger Groenewolds reagierten unterdessen enttäuscht: „Die Verteidigung bedauert, dass sich das Landgericht Hannover nur zu einer Herabstufung der Vorwürfe entscheiden konnte und nicht, wie beantragt, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat“, sagte Rechtsanwalt Bernd Schneider der dpa. Beide Kanzleien kritisierten, dass Journalisten bereits vor der offiziellen Verkündung detailliert über die Entscheidung des Gerichts berichtet hatten. Auch im Zuge der Ermittlungen hatten immer wieder Indiskretionen für Ärger gesorgt.
„Hinreichender Tatverdacht“
Die Staatsanwaltschaft Hannover wertete die Verfahrenseröffnung als Bestätigung ihrer Arbeit: Das zeige, „dass aufgrund der sorgfältig geführten Ermittlungen hinreichender Tatverdacht wegen eines Korruptionsdelikts besteht“. Nachdem Wulff und Groenewold im April das Angebot der Staatsanwaltschaft, dem drohenden Prozess gegen Zahlung einer Geldauflage zu entgehen, abgelehnt hätten, „musste gegen sie öffentliche Anklage erhoben werden“.
Die Anklageerhebung ist der vorläufige Höhepunkt in der seit mehr als 19 Monaten andauernden Wulff-Affäre, die mit Berichten über einen 500.000-Euro-Privatkredit für Wulffs inzwischen verkauftes Eigenheim in Großburgwedel bei Hannover begonnen hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte am 16. Februar 2012 infolge von Medienberichten den Antrag auf Aufhebung der Immunität des damaligen Bundespräsidenten gestellt. Daraufhin war dieser einen Tag später von seinem Amt zurückgetreten.
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